Freitag, 29. März 2024

Archiv

Einsparungen im Kulturjournalismus
"Eine Rezension ist ein Medium des Schalls"

Bei der Suche nach neuen Formen des Kulturjournalismus steht schnell die Rezension zur Debatte, beobachtet Kulturjournalist Claudius Seidl. Doch ausgerechnet im Radio darauf zu verzichten, sei nicht verständlich, sagte er im Dlf. Den Standort Deutschland für Kulturradio sieht Seidl dennoch gut aufgestellt.

Claudius Seidl im Gespräch mit Mirjam Kid | 15.02.2021
Ein Stapel neuer Bücher liegt auf einem Verkaufstisch in einer Buchhandlung
Wie soll neue Literatur besprochen werden? Die klassische mehrminütige Rezension steht für einige Programmmacher zur Disposition. (picture alliance/dpa | Frank Rumpenhorst)
"So viel Literatur, so viel Kultur im Radio wie in Deutschland gibt’s sonst nirgendwo", findet Claudius Seidl, bis zum vergangenen Jahr Feuilleton-Chef der "Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung". Wenn sich in Deutschland darüber beschwert werde, dass die Buchrezension in Frage gestellt wird, so wie zuletzt im WDR-Radio, sei das deshalb auch ein "Jammern auf hohem Niveau".
Seit seinen eigenen Anfängen als Kulturjournalist Mitte der 1980er-Jahre würden Programmverantwortliche weniger Rezension als Weg zu neuer Kultur-Berichterstattung ins Spiel bringen, beobachtet Seidl.
Claudius Seidl von der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung
Claudius Seidl, Redakteur bei der der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung (imago / Metodi Popow)
Dabei sei eine Rezension "ein Medium des Schalls" und anspruchsvoller als etwa ein Kollegengespräch, so Seidl. So sei eine Buchbesprechung im Radio "viel leichter wahrzunehmen als auf einer Zeitungsseite". Deshalb sei es für ihn unverständlich, wenn man das abschaffen wolle, zumal davon auch Literaturkritikerinnen und -kritiker betroffen seien.

Debatte um WDR-Pläne

Ende Januar war bekannt geworden, dass der WDR eine Reform der Literaturkritik in seinem Kulturradio WDR3 plant. Kritikerinnen und Kritiker warfen dem Sender in einer Petition vor, Kürzungen zu planen – und das vor allem bei der Buchrezension. Die WDR-Verantwortlichen widersprachen den Vorwürfen und betonten, es gehe vor allem um neue Ideen fürs Programm.
Die Entscheidung, künftig eine lange Buchrezension nicht mehr um 6.45 Uhr zu spielen, so wie es bisher der Fall war und was der WDR nun ändern will, begrüßt Elke Heidenreich, die auch für den Sender arbeitet. Der Sendeplatz sei tatsächlich "idiotisch". Doch insgesamt empfindet die bekannte Literaturkritikerin die Entwicklung in der Literaturberichterstattung der öffentlich-rechtlichen Sender als negativ. "Alles, was Erfolg hat, reden sie klein und schaffen es ab", sagte Heidenreich im Deutschlandfunk. Kultur fände im Programm der Sender keinen "normalen Platz" mehr.
"Was Erfolg hat, reden sie klein"
Die Sender handhabten Literaturkritik von Grund auf falsch, sagte die Autorin Elke Heidenreich im Dlf. Sie fordert mehr Buchtipps in einfacher Sprache und über den ganzen Tag verteilt – gerade in Corona-Zeiten.
In der aktuellen Ausgabe der "Zeit" schreibt die Journalistin Insa Wilke, eine der Initiatorinnen der Protest-Petition gegen den WDR, es gehe "um die Gesamtheit all dessen, um Entwicklungen in den Literatursparten der öffentlich-rechtlichen Sender, um eine gewisse Wurschtigkeit im Umgang und um solche Fragen: Wird es weiterhin angemessene literaturkritische Formate wie die Rezension geben? Werden weiterhin Fachleute über Literatur sprechen dürfen?"
Auch bei anderen öffentlich-rechtliche Sendern haben in der jüngeren Vergangenheit Reformen die Literaturkritik betroffen. So hat etwa das NDR-Fernsehen sein "Bücherjournal" abgesezt mit der Begründung, dort zuletzt immer weniger Zuschauer erreicht zu haben. Und der HR hat sein Kulturprogramm grundsätzlich in Richtung mehr Musik und weniger Wort verändert. Gerade wurde außerdem bekannt, dass das Wochenmagazin "Focus" sein Kulturressort auflösen wird.