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Einst im Dienst der Bombe

Abrüstung. - Anlässlich der Überprüfungskonferenz zum Atomwaffensperrvertrag in New York verweist die Atommacht Frankreich auf ihre Maßnahmen der nuklearen Abrüstung. Eine davon: Die Fabrikationsstätte für hochangereichertes Uran und für waffenfähiges Plutonium, Marcoule in Südfrankreich, hat den Betrieb eingestellt.

Von Suzanne Krause | 03.05.2010
    Ein mehrstöckiger grauer Betonbau beherbergt die Anlage UP1 – die atomare Wiederaufarbeitungsanlage, die 1958 ihren Betrieb aufnahm. Erbaut nach dem Prinzip der russischen Schachtelpuppen: ein Hauptgang umkreist ein Labyrinth ineinandergestapelter Säle und Labors – insgesamt 1000 Räume. Überall im Gang stehen Strahlenmessinstrumente, Belüftungsanlagen. Im zweiten Stock ein schmaler Eingang mit schwerer Stahltür, dahinter führt eine steile Metalltreppe hinunter in einen bunkerähnlichen Betonsaal. Lange Reihen dicker Kabelstränge unterhalb der Decke, reihum Kontrollschränke, im Boden, unter einer beweglichen Ziehbrücke, große rechteckige Becken. Baustellenleiter Gérard Fraize sagt, früher durften diesen Raum nur Spezialarbeiter in Schutzanzügen betreten:

    "Dieser Saal ist das Herzstück der Wiederaufarbeitungsanlage. Hier wurde das Plutonium mittels chemischer Lösungsmittel aus abgebrannten Brennstäben abgespalten und in flüssiger Form gewonnen. Dort in den Becken, in speziellen Wannen, die wir inzwischen alle gesäubert und ausgebaut haben. Derzeit bauen wir eine Vorrichtung auf, um sie kleinzuschneiden. Ich muss hinzufügen: beim Bau der Anlage war eine Demontage nicht vorgesehen. Deshalb mussten wir uns eine Methode für die Entsorgung der Wannen ausdenken. "

    Im September 1997 wurde hier zum letzten Mal Plutonium abgespalten. Kurz darauf begann der Rückbau. Eine Riesenbaustelle. Mittlerweile wurde in der gesamten Anlage 95 Prozent der Radioaktivität von ferngesteuerten Robotern abgespült, die hochbelastete Lauge in Glas eingeschmolzen. Dieser stark strahlende Müll soll im Endlager entsorgt werden, das 2020 in Bau geht. Der restliche Abfall, das Gros, landet im existierenden Endlager für schwachstrahlenden Atommüll. In den ersten zwölfeinhalb Jahren hat der Rückbau der Wiederaufarbeitungsanlage UP1 1,4 Milliarden Euro verschlungen. Erst in 30 Jahren wird hier alles vollständig geräumt sein. Veranschlagte Gesamtkosten: fünf Milliarden Euro.

    Auch im benachbarten Reaktor G2 sind die Rückbauarbeiten unübersehbar. 1958 startete G2 seinen Betrieb, seine abgebrannten Brennstäbe lieferten das Plutonium für die ersten Atombomben. Der Graphit-Gas-Reaktor thront kreisrund und gigantisch inmitten einer riesigen, 50 Meter hohen Betonhalle. Der gelbe Metallaufzug beförderte bis zur Stilllegung der Anlage 1980 den Brennstoff direkt zum Reaktorherz, auf eine Plattform in 25 Metern Höhe. Dort steigt nun Werksleiter Alain Deffes aus. Er weist auf die Arbeitsplattform oberhalb des Reaktors: Nach der Entladung des verbleibenden Brennstoffes wurde die Steuerzentrale abgebaut, sämtliche Kühl- und Wasserleitungen gekappt. Auch die Rohre zur Reaktorbeladung sind heute sichtbar verkapselt. Phase Eins des Rückbaus ist erfolgreich abgeschlossen, sagt Alain Deffes:

    "Die letzte Etappe des Rückbaus startet Anfang 2020. Denn im Reaktorherz lagert noch hochstrahlender Graphit. Und den können wir erst entsorgen, wenn das geplante sichere Endlager steht."

    Für G2, seinen Zwillingsbruder G3 und ebenso für die Wiederaufarbeitungsanlage UP1 gilt: die Atomanlagen rückzubauen, braucht wesentlich länger als ihre Errichtung. Da läge es auf der Hand, den Erfahrungsschatz auf anderen Baustellen im Ausland zu versilbern. François Bugaut winkt ab. Bugaut leitet die Abteilung Militärische Anwendungen beim staatlichen Kommissariat für Atomenergie:

    "Ich bin nicht sicher, dass das staatliche Atomunternehmen Areva sehr erpicht auf einen Rückbauauftrag in Russland oder in den Vereinigten Staaten ist. Bei den teils sehr alten Anlagen ist es nicht sicher, dass man vorab ihren wahren Zustand wirklich einschätzen kann. Wer da einen Festpreis für den Rückbau ausmacht, kann bei der Arbeit böse Überraschungen erleben. Der atomare Rückbau ist kein Industriezweig, in dem man Geld verdienen kann. "