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Einstein auf dem Prüfstand (12)
Laserlineale für Gravitationswellen

Ein Phänomen, das laut Einsteins Allgemeiner Relativitätstheorie existieren sollte, welches Physiker aber noch nicht beobachtet haben, sind die sogenannten Gravitationswellen: Kräuselungen der Raumzeit, die bei Extremprozessen im Kosmos entstehen, sich lichtschnell durchs All bewegen und alles, was ihnen in die Quere kommt, unmerklich zusammenstauchen.

Von Frank Grotelüschen | 18.08.2015
    Blick auf die Galaxie M 33 im Sternbild Dreieck
    Blick ins All - die direkte Detektion von Gravitationswellen wäre sicher nobelpreiswürdig. (ESO)
    Auf dem Papier ist alles so einfach: Irgendwo im All passiert etwas Gewaltiges – zwei Schwarze Löcher stoßen zusammen, ein Riesenstern explodiert. Ungeheure Massen geraten in Wallung und schlagen regelrechte Dellen in Raum und Zeit. Diese Gravitationswellen jagen dann mit Lichtgeschwindigkeit durchs All – so jedenfalls will es Einsteins Allgemeine Relativitätstheorie.
    "Trotzdem hat Einstein den größten Teil seines Lebens nicht daran geglaubt, dass man diese Wellen wirklich eines Tages würde detektieren können", sagt Karsten Danzmann, Physiker am Albert-Einstein-Institut in Hannover. Einstein also war sich sicher: Gravitationswellen wird man nie messen. Dazu sind sie schlicht zu winzig. Doch andere wussten es besser.
    "Es war erst in der 50er-Jahren, dass theoretisch gezeigt wurde, dass Gravitationswellen Energie transportieren und diese Energie auch in einem Detektor deponieren können. Und damit war klar, dass man sie auch würde nachweisen können."
    Vor allem einer nahm die Fährte auf: Joe Weber, Physiker an der University of Maryland in den USA.
    "Ein brillanter Physiker. Er war an der Entwicklung des Masers beteiligt, dem Vorläufer des Lasers. Er war der erste, der sagte: Wir sollten wirklich versuchen, Gravitationswellen zu detektieren",
    sagt Bernard Schutz vom Data Innovation Institute in Cardiff. Webers Idee: metergroße Metallzylinder, aufgehängt in einem ruhigen Labor, sollten als Schwerkraft-Antennen dienen.
    "Die Idee dabei ist, dass eine Gravitationswelle, wenn sie hindurchgeht, wie ein Hammer diesen Metallblock anschlägt. Der klingt dann auf seiner Resonanzfrequenz nach."
    Ende der 1960er-Jahre behauptete Weber, er hätte tatsächlich Signale entdeckt und Gravitationswellen aufgespürt, die aus dem Zentrum der Milchstraße stammen. Zunächst war die Fachwelt gewillt, ihm zu glauben. Doch dann wiederholten andere Forscher das Experiment. Und keiner hat auch nur den Hauch eines Signals gesehen.
    "Heute wissen wir, dass die Empfindlichkeit dieser Zylinder um viele Zehnerpotenzen zu schlecht war, um Gravitationswellen detektieren zu können."
    Ein Fehlschlag, doch die Physiker blieben am Ball und setzten fortan auf eine andere, deutlich empfindlichere Technik – das Laserinterferometer.
    "Laserlicht wird zwischen zwei Spiegeln hin- und hergeworfen. Sollte eine genügend starke Gravitationswelle vorbeikommen, würde sie den Abstand zwischen den Spiegeln kurz strecken oder stauchen. Mit hochpräzisen Lasern sollte sich das eigentlich messen lassen."
    Doch es war kompliziert, die Technologie zu entwickeln und mit Prototypen zu testen. 2005 gingen gleich mehrere Riesenantennen auf Empfang – Geo 600 in Deutschland, Virgo in Italien und LIGO in den USA, eine Doppelanlage mit Laserarmen, die vier Kilometer lang sind. Jahrelang lagen die Geräte auf der Lauer. Das Resultat:
    "Bislang wurden noch keine Gravitationswellen gemessen."
    Nicht gerade das Wunschergebnis der Physiker. Doch die Enttäuschung hielt sich in Grenzen, sagt Hartmut Grote vom Albert-Einstein-Institut.
    "Die Wahrscheinlichkeit, in dieser frühen Phase was zu messen, war nur im Prozentbereich. Sodass das noch nicht erstaunlich ist, dass man noch keine Gravitationswellen gemessen hat."
    Deshalb wagen die Physiker nun einen neuen Anlauf – und haben ihre Anlagen aufgemotzt, mit besseren Spiegeln, Lasern und Sensoren. Das Ziel: Eine zehnmal größere Empfindlichkeit als bei der ersten Generation von LIGO und Virgo. Damit steigt die Chance, Gravitationswellen aufschnappen zu können, rapide: Eine zehnfache Messempfindlichkeit bedeutet, dass die Anlagen einen tausendfach größeren Bereich des Weltalls belauschen können. In den USA laufen die getunten LIGO-Detektoren schon im Testbetrieb.
    "Das ist relativ gut fortgeschritten. Bisher sind die LIGO-Detektoren schon um einen Faktor 3 empfindlicher im Vergleich zu 2010. Für dieses Jahr im September ist der erste richtige Datenlauf geplant."
    Danach werden die Physiker die Empfindlichkeit Schritt für Schritt erhöhen. Und wann erwarten Karsten Danzmann und seine Leute endlich den Durchbruch, die direkte Detektion der ersten Gravitationswelle, die sicher nobelpreiswürdig wäre?
    "Vielleicht 2017? Etwas Geduld braucht man schon."
    Und etwas Glück auch. Denn die Forscher sind nun mal drauf angewiesen, dass irgendwo in Reichweite ihrer Detektoren etwas Gewaltiges passiert – dass Schwarze Löcher kollidieren oder eine Supernova explodiert. Nur: Die Schätzungen, wie oft sich solche kosmischen Katastrophen abspielen, sind zum Leidwesen der Experten äußerst vage. Doch sollten alle Stricke reißen und den Detektoren wider Erwarten doch kein Gravitationswellen ins Netz gehen, bleibt eine Hoffnung – die Satellitenmission eLisa. Sie soll ab dem Jahr 2034 im Weltall nach den Wellen lauschen, und zwar noch deutlich genauer, als es die Detektoren am Boden können.