Freitag, 19. April 2024

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Einstürzende Neubauten
"Ich muss das Gefühl haben, ich muss ein Album machen"

13 Jahre hat sich die Band Einstürzende Neubauten Zeit gelassen für ihr neues Album "Alles in Allem". Eine Platte, die beinahe ein Konzeptalbum über Berlin geworden wäre - und auf dem sich Blixa Bargeld so offen gibt wie noch nie: "Dieses Album ist viel unmittelbarer", sagte er im Dlf.

Blixa Bargeld im Gespräch mit Sascha Ziehn | 16.05.2020
Einsturzende Neubauten live mit Blixa Bargeld in Kopenhagen bei einem Konzert (2018).
Blixa Bargeld hat sich Anfang 2019 nach über einem Jahrzehnt entschlossen: "Ich muss eine neues Neubauten-Album aufnehmen." (imago / agefotostock / Valeria Magri)
Es ist das erste Studio-Album der Berliner Experimentalband seit 13 Jahren. Musikalisch ist "Alles in Allem" ein klar wiedererkennbares Einstürzende- Neubauten-Album geworden: "Ein synkopisiserender Dreier auf einem Dreiviertel Takt – das ist typisch Neubauten", so Blixa Bargeld im Deutschlandfunk.
Für den Gründer der Band war es wichtig, eine Notwendigkeit zu spüren, ins Studio zu gehen. "Ich muss das Gefühl haben, ich muss ein Album machen." Die stellte sich Anfang 2019 bei ihm ein.
"Alles in allem" kein Konzeptalbum
Auffällig auf "Alles in allem" sind die vermehrt auftretenden geografischen Bezüge. Es habe zu Beginn der Aufnahmen ein Stück mit dem Arbeitstitel "Welcome to Berlin" gegeben - ein Titel, der auch lange als Albumtitel im Gespräch gewesen sei. Der Song schaffte es letzten Endes zwar nicht aufs Album, aber die Arbeit hätte sich dann sehr an dieser Idee ausgerichtet, so dass sich auch viele andere Titel an konkreten Orten in Berlin orientierten.
"Aus einem Stück ohne Titel wurde 'Wedding' und aus einem anderen, das eigentlich 'Pantheon' hieß wurde 'Tempelhof'", so Bargeld weiter.
"Die deutlichste und autobiographischste Verortung ist 'Grazer Damm', wo ich aufgewachsen bin." Autobiografische Bezüge in den Texten kennt man auch sonst von Blixa Bargeld. Nur waren diese in vorherigen Alben eher verschlüsselt. "Alles in allem" hingegen sei "viel unmittelbarer", so Bargeld. "Ich habe mir nicht die Mühe gegeben, es zu kodieren oder hermetisch zu machen."
Die Erfindung des Crowd-Fundings
Hundert Tage seien die Musiker im Studio gewesen. Etwas, das heutzutage gar nicht mehr möglich sei. "Um eine Dinosaurierband wie Einstürzende Neubauten durch ein Album zu pauken, würde ich von einer Plattenfirma nicht das Geld bekommen, um das so zu machen, wie wir das machen wollen." Das es "Alles in Allem" trotzdem gibt, sei den zahlreichen Unterstützerinnen und Unterstützern der Band zu verdanken.
Bereits als sich in den Nuller Jahren abzeichnete, dass das von Plattenfirmen zur Verfügung gestellte Budget, um ein Album zu produzieren nicht für die Vorhaben der Einstürzenden Neubauten ausreichen würden, haben diese eine Unterstützerseite mit Subskriptionsmodell eingerichtet. "Wir haben quasi das Crowd-Funding erfunden", sagte Bargeld im Deutschlandfunk.
Das Unterstützerprojekt endete 2007, wurde aber letztes Jahr wieder reaktiviert. Mit einer Wirkung weit über die Finanzierung des Album hinaus: "Eines meiner Lieblingskonzert war im Platz der Republik nur für Unterstützer", schwärmte Bargeld. "Die haben mit uns eine Woche lang Chorproben gemacht. Da waren Unterstützer, die haben sich freiwillig gemeldet, um morgens den Lastwagen abzuholen", wiederum andere hätten eine Teeküche eingerichtet.
"Zu beobachten, wie ein sich selbst organisierender sozialer Organismus möglich ist - als altes anarchistisches Ideal - war wunderbar."
Einstürzende Neubauten "Alles in Allem" ist am 15.05.2020 bei Potomak erschienen und als MP3-Download auf CD und auf Vinyl erhältlich.