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Einwanderungsdebatte
CDU-Politiker Spahn plädiert weiter für Einwanderungsgesetz

Trotz der Ablehnung der Unions-Fraktionsspitze spricht sich der CDU-Politiker Jens Spahn weiter für ein Einwanderungsgesetz aus. Mitvoraussetzung für den deutschen Pass müsse auch eine "gute Integration" sein, sagte Spahn im DLF. Zudem kritisierte er eine starke Zuwanderung in die Sozialsysteme und den Missbrauch des Asylrechts.

Jens Spahn im Gespräch mit Friedbert Meurer | 15.01.2015
    Jens Spahn, Präsidiumsmitglied der CDU
    Jens Spahn, Präsidiumsmitglied der CDU, kritisiert im DLF den Missbrauch von Zuwanderung und Sozialleistungen. (imago stock&people / Sven Simon)
    "Wir brauchen eine gesellschaftliche Debatte" zu der Frage, welche Art von Zuwanderung Deutschland wolle, forderte der CDU-Bundestagsabgeordnete Jens Spahn im Interview mit dem Deutschlandfunk. Man müsse offen über Integrationsprobleme diskutieren, sagte Spahn. Derzeit gebe es eine starke Zuwanderung in die Sozialsysteme. Die Chance auf eine Abschiebung sei aber gering.
    "Am Ende sollte ein neues Gesetz stehen"
    Zugleich müsse debattiert werden, wie Deutschland attraktiver für Hochqualifizierte werden könne. Außerdem müsse es transparente Regelungen für alle Zuwanderer geben. Am Ende dieser Debatte sollte ein neues Gesetz zur Einwanderung stehen, so Spahn.
    Die Führung der Unions-Bundestagsfraktion ist nach Angaben ihres Parlamentarischen Geschäftsführers Grosse-Brömer gegen ein neues Einwanderungsgesetz. Die SPD-Fraktion will bis Ende Februar Vorschläge für einen eigenen Entwurf erarbeiten.
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    Das Interview in voller Länge:
    Friedbert Meurer: Deutschland ist ein Einwanderungsland - der Satz ist gerade von CDU und CSU lange Jahre bestritten worden. Wir sind doch nicht Kanada oder die USA, hieß es immer. Kürzlich wurden in Großbritannien alte Protokolle bekannt; danach soll Altkanzler Helmut Kohl gegenüber Margaret Thatcher einmal erzählt haben, wir werden viele Türken wieder nachhause schicken. Das kam alles ganz anders. Jetzt hat unlängst CDU-Generalsekretär Peter Tauber für Debatten und einigen Wirbel in der eigenen Partei gesorgt, indem er verlangte, wir brauchen ein Einwanderungsgesetz. Etliche in den C-Parteien zucken da doch ziemlich zusammen: Das hat doch damals Rot-Grün gefordert.
    Bei der Union gibt es also eine veritable Debatte über die Frage, brauchen wir ein neues Einwanderungsgesetz, angestoßen von Generalsekretär Peter Tauber, und dem pflichtet bei Jens Spahn, der seit dem letzten Parteitag neues Mitglied im CDU-Präsidium ist. Guten Morgen, Herr Spahn!
    Jens Spahn: Schönen guten Morgen, Herr Meurer!
    Meurer: Waren Sie auch schon in Kanada?
    Spahn: Ich war schon mal in Kanada, aber nicht zu Lernzwecken, was Gesetze angeht. Ich glaube im Übrigen auch nicht, dass es zuerst die Debatte darum gibt, zuerst ein Gesetz zu machen. Was wir brauchen ist erst mal eine gesellschaftliche Debatte.
    Meurer: Die haben wir doch längst.
    Spahn: Jein. Aber ich habe immer noch den Eindruck, viele Menschen fühlen im Alltag, hier passiert gerade was. Es wandern jedes Jahr nach Deutschland netto, ist gerade gesagt worden, eine Stadt wie Duisburg oder Nürnberg, in der Größenordnung zu. Asylbewerber in der Größenordnung einer Stadt wie Münster oder Augsburg kommen zusätzlich jedes Jahr. Das merken die Menschen im Alltag. Es gibt im Alltag auch Probleme. Wir haben hier in Berlin, auch in anderen Städten zum Teil Parallelgesellschaften. Und ich habe nicht den Eindruck, dass die allermeisten glauben - das sehen Sie übrigens ja auch an manchen Demonstrationen, die gerade stattfinden -, dass die Politik ausreichend darüber redet.
    "Eine starke Zuwanderung auch in die Sozialsysteme"
    Meurer: Alle fordern, das alles soll in geregelten Bahnen verlaufen. Was schwebt Ihnen da vor, Einwanderungsbehörde, Punktesystem, oder wie könnte es aussehen?
    Spahn: Wir haben im Moment immer noch eine starke Zuwanderung auch in die Sozialsysteme. Das ist übrigens ein großer Unterschied zu Kanada oder den USA, wo Sie ja, wenn Sie einwandern und keinen Job finden, nicht solche Sozialsysteme auch haben. Wir haben auch einen Missbrauch etwa des Asylrechts aus Serbien und Montenegro, wo viele wissen, wenn ich es einmal nach Deutschland geschafft habe, ist die Chance, dass ich abgeschoben werde, sehr gering, und dann profitiere ich auch von Sozialleistungen.
    Ich finde, da müssen wir eine ehrliche Debatte machen: Welche Zuwanderung wollen wir, wie sind wir attraktiv, insbesondere für die hoch Qualifizierten, für die gut Qualifizierten, die wir brauchen, die wir unbedingt brauchen als älter werdende Gesellschaft, und wie steuern wir das tatsächlich so, dass auch Integration gelingen kann, was Sprache angeht, was übrigens auch die Frage von Werten angeht. Die kommen ja alle nicht nur zum Arbeiten, acht oder zehn Stunden am Tag, sondern dann hat der Tag auch noch andere 10, 14 Stunden und dann geht es darum, wie integrieren sie sich in die Gesellschaft.
    Meurer: Sollen nur noch die Besten der Besten nach Deutschland kommen, die hoch Qualifizierten, und die anderen müssen außen vor bleiben?
    Spahn: Wir müssen hier unterscheiden in der Debatte. Wir haben einmal die Migration, die Wanderung innerhalb der Europäischen Union. Die ist auch normal und gewollt, stellt uns aber auch vor Herausforderungen. Es ist am Ende so normal, von Barcelona nach Berlin zu kommen, wie von Köln nach München. Das ist okay, aber auch da muss man über Integration reden. Bei mir im westlichen Münsterland ist die größte Ausländergruppe die Niederländer. Aber wenn da 800 Niederländer in einem Dorf von 4000 Menschen wohnen, gibt es auch ein paar Dinge zu diskutieren, aber das ist okay.
    Meurer: Gibt es da ernsthafte Integrationsprobleme mit Niederländern?
    Spahn: Na ja. Wenn 800 Niederländer in einem Dorf mit 4000 Menschen in bestimmten Straßenzügen leben, die Kinder zur Schule weiterhin rüber in die Niederlande fahren, dann gibt es da auch Integrationsprobleme, und darüber muss man doch reden ohne Schaum vorm Mund.
    Ich wollte noch sagen, die zweite Gruppe sind die Zuwanderer außerhalb der EU. Da haben wir - das ist gerade ja auch von Herrn Schröder dargestellt worden - eigentlich gute Regelungen, die wir vielleicht noch etwas transparenter machen müssen für diejenigen, die zu uns kommen wollen, eine Willkommenskultur am Ende auch haben wollen. Und das Dritte - und das ist gerade im Moment eine große Baustelle - ist die Frage von auch Asylrecht, Asylmissbrauch. Die größten Gruppen, die im Moment sich aufs Asylrecht berufen, sind immer noch Menschen aus Serbien und Montenegro, aus dem ehemaligen Jugoslawien. Die werden zu 99 Prozent abgelehnt, bleiben aber oftmals trotzdem im Land, und das sind alles Themen, wo die Menschen spüren, da passen Dinge nicht zusammen, und deswegen nicht zuerst ein Gesetz, sondern zuerst mal eine Debatte.
    "Gute Integration und Sprachkenntnisse sind notwendig"
    Zwei Menschen bei einem Integrationskurs in Berlin im September 2014
    Zwei Menschen bei einem Integrationskurs in Berlin im September 2014 (dpa / picture-alliance / Jens Kalaene)
    Meurer: Jetzt haben ja Sie und der Kollege Peter Tauber, CDU-Generalsekretär, angestoßen eine Debatte über ein neues Einwanderungsgesetz. Schwebt Ihnen also vor, dass Leute, die hier herkommen können, um hier zu arbeiten, dass die eben auch auf Dauer einen deutschen Pass letztendlich bekommen sollen, oder die Perspektive zumindest?
    Spahn: Das ist klar in der Perspektive. Das ist nur nicht voraussetzungslos, sondern Voraussetzung ist - und das ist ja auch heute schon nach der Rechtsgrundlage so - eine gute Integration, sind Sprachkenntnisse, ist, dass ich meinen Lebensunterhalt selbst verdienen kann, und ich finde, darüber müssen wir auch noch mal reden. Im Moment findet die Zuwanderung von Höchstqualifizierten statt, wenn sie einen Job haben und wenn sie bestimmte Einkommensgrößen erreichen.
    Ich sage noch einmal: Über die Frage, ob jemand unsere Werte leben will, ob er sich in die Gesellschaft integrieren will, das fragen wir heute zu wenig. Aber wenn das gelingt, dann hat man natürlich nach einer gewissen Zeit auch das Recht und die Möglichkeit, ein Deutscher zu werden. Das ist im Übrigen heute schon so.
    Meurer: Wie soll denn der Wertetest aussehen?
    Spahn: Ach, das muss man ja nicht alles immer abfragen über einen Test. Aber wir erleben doch gerade auch in der Debatte über den Islam hier in Deutschland, dass die Frage, was sind die Werte, die uns ausmachen, Meinungsfreiheit, Pressefreiheit, Religionsfreiheit, die Trennung von Staat und Religion, die Gleichberechtigung von Mann und Frau, nicht von allen zumindest geteilt werden und dass wir da noch mal schauen müssen, wo machen wir eigentlich eine Relativierung von Werten aus Angst auch vor schwierigen Debatten.
    Meurer: Also Bekenntnis zum Grundgesetz. Nur man kann ja nicht in die Köpfe der Leute hineinschauen, oder?
    Spahn: Bekenntnis zum Grundgesetz alleine ist schon mal ein guter Weg, aber nicht alle Regeln, die uns als Wertegemeinschaft, als westliche Gemeinschaft ausmachen, stehen ja per se im Grundgesetz. Zur deutschen Geschichte gehört übrigens auch: Wer Deutscher werden will, tritt auch ein Stück weit die Verantwortung mit an, die Aufarbeitung des Holocaust, die besondere Verantwortung für Israel. All das sind Dinge, die stehen nicht im Grundgesetz, die gehören aber zum Deutschsein dazu.
    Meurer: In den Zeitungen, Herr Spahn, habe ich gelesen, in der Fraktionssitzung bei Ihnen in der Union muss es diese Woche ziemlich ordentlich hergegangen sein. Da wurde Peter Tauber ziemlich am Nasenring gezogen und gerügt. Sie sollen ihm beigesprungen sein. War das eine frustrierende Veranstaltung für Sie?
    Spahn: Nein! Im Gegenteil! Ich bin froh, dass wir diskutieren. Ich sage noch einmal: Das Wichtigste ist doch, dass wir erstens das offen diskutieren, auch über Probleme diskutieren. Mein Eindruck ist, wenn es um Zuwanderung geht, auch um Missbrauch von Zuwanderung und Sozialleistungen, dass wir da in Deutschland zu oft zu selten, oder besser zu selten offen diskutieren und ehrlich diskutieren.
    "Am Ende sollte ein neues Gesetz stehen"
    Meurer: Aber wenn Sie da so krass in der Minderheit sind in der Fraktion, das macht doch keinen Spaß, oder?
    Spahn: Ach, den Eindruck habe ich gar nicht. Ich glaube, wir sind am Ende sogar innerhalb der CDU/CSU näher beieinander, als das vielleicht in der Debatte den Eindruck macht. Deswegen ist es ja auch gut, da lernend jetzt in den nächsten Wochen - das haben wir uns ja vorgenommen - miteinander zu reden. Wir haben übrigens auch zur SPD einen großen Unterschied. Das ist auch ein Unterschied zu Kanada. Es soll natürlich nicht einfach jeder kommen können und dann schauen wir mal, ob er bestimmte Kriterien erfüllt, sondern es muss natürlich am Ende auch bedarfsgerecht sein. Es müssen entsprechende Jobangebote da sein, die Möglichkeit, den Lebensunterhalt zusätzlich zu verdienen.
    Meurer: Reden Sie den Konflikt in der Union gerade ein bisschen klein? Thomas de Maizière, immerhin der Innenminister, sagt, das brauchen wir alles nicht, neues Gesetz, haben wir alles längst schon.
    Spahn: Ich glaube, am Ende muss, sollte ein neues Gesetz stehen, aber nach einer längeren Debatte, einer breiten Debatte auch in der Partei, in der Gesellschaft. Das muss nicht nächste Woche, muss auch vielleicht gar nicht mehr in dieser Koalition sein. Es fängt schon beim Titel an. Das heutige Gesetz, das das meiste regelt, ist ein Aufenthaltsgesetz. Das klingt nicht nach dauerhaft in Deutschland bleiben. Das klingt auch nicht nach Integration. Das klingt, ich bin mal ein paar Monate oder Jahre da, dann gehe ich wieder. Und ich finde, wir müssen den Geist, dass wir einladen wollen, eine Willkommenskultur wollen, insbesondere für diejenigen, die hier leben wollen, die sich einbringen wollen, die ihren Lebensunterhalt selbst verdienen wollen, diesen Geist im Gesetz leben, aber vor allen dann auch in der Umsetzung.
    Meurer: Jens Spahn, Mitglied im CDU-Präsidium, plädiert für ein Einwanderungsgesetz und für eine entsprechende Debatte. Herr Spahn, danke für das Interview. Auf Wiederhören nach Berlin.
    Spahn: Sehr gerne, Herr Meurer.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.