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Einzeltäter, "die von ihrem Glauben fanatisiert sind"

"Religiös motivierter Fanatismus ist ein Thema, was uns praktisch weltweit betrifft", sagt Günter Krings (CDU), stellvertretender Vorsitzender der Deutsch-Amerikanischen Parlamentariergruppe im Bundestag. Er ist für ein "behutsames" Ausweiten der Videoüberwachung, zum Beispiel auf großen Bahnhöfen.

Günter Krings im Gespräch mit Christiane Kaess | 20.04.2013
    Günter Krings: Guten Tag!

    Kaess: Herr Krings, die Bilder, die uns heute Vormittag erreichen, die zeigen emotionale Massen, die auf die Straße strömen und feiern und jubeln. Wie viel Anspannung macht sich da Luft?

    Krings: Ich glaube, die Menschen in Boston und Umgebung hatten natürlich große Angst, gerade weil die Ereignisse gestern sich ja überstürzt haben. Weil natürlich nicht üblich ist, auch für amerikanische Städte, dass Sprengladungen in Universitäten hochgehen, dass Schießereien über Stunden stattfinden. Und das ist, glaube ich, sehr verständlich, dass die Leute einfach jetzt wieder das Gefühl haben, sicher leben zu können, jedenfalls sicher vor den beiden Attentätern.

    Kaess: Spricht das auch dafür, dass extrem viel Angst aufseiten der Bevölkerung war?

    Krings: Also, ich denke schon, dass Amerika natürlich seit dem 11. September in einer gewissen Anspannung lebt, aber natürlich es Phasen gibt, wo man wieder etwas vergisst, in den Hintergrund tritt. Und dann werden natürlich bei vielen Menschen Erinnerungen wach an diese furchtbaren Bilder, die natürlich noch eine ganz andere Proportion darstellten. Und diese Anspannungen, die sieht man dann, glaube ich. Ob man das als Angst bezeichnen kann, aber ein Gefühl der Beklemmung ist sicherlich, offensichtlich in den USA da.

    Kaess: Dass die Täter gestellt wurden, ist das tatsächlich ein Erfolg der Sicherheitskräfte? Oder gab es eher ein Versagen davor, dass nämlich der Anschlag nicht verhindert werden konnte?

    Krings: Also, es gab ja auch andere Anschläge, nicht nur in den USA, auch deutsche Attentate sind mit amerikanischer Hilfe aufgeklärt worden. Die amerikanischen Sicherheitsbehörden sind gut aufgestellt. Wir haben in Deutschland sogar manchmal das Gefühl, sie haben zu viel Kompetenzen, wenn es um Datenschutzfragen und Ähnliches geht. Aber es ist natürlich klar, dass in einer modernen, hoch komplexen Gesellschaft natürlich nicht immer jeder Attentäter immer auch vorher schon aufgehalten werden kann. Das zeigt, dass man gerade im Bereich von Nachrichtendiensten natürlich unter Beachtung aller notwendigen datenschutzrechtlichen Bestimmungen wachsam bleiben muss. Und da sind die Amerikaner eigentlich recht erfolgreich. Und dass man bei einem so riesigen Marathon natürlich die Strecke selbst nicht komplett abschotten kann, das versteht sich von selbst!

    Kaess: Aber dass einer der beiden Tatverdächtigen schon vor geraumer Zeit die Aufmerksamkeit des FBI erregt hatte, könnte das die US-Regierung noch unter Druck bringen?

    Krings: Gut, das muss man jetzt abwarten. Da muss man schauen, wie konkret der Tatverdacht oder ein Gefährdungsverdacht da an der Stelle war. Aber noch mal, die Amerikaner – das ist ja auch das, was wir zum Teil sogar kritisieren – gehen sehr, sehr vielen Verdächtigungen oder Anhaltspunkten nach. Sie gehen sozusagen vielen Datenauszügen auch nach. Und da ist es auch natürlich, dass man nicht allen Punkten dann auch weiter nachgeht, sondern irgendwann auch mal eine Einschätzung macht, gibt es hier eine Gefährdung oder nicht. Nun hat man hier offenbar die falsche Entscheidung getroffen, vielleicht war er aber zu dem Zeitpunkt auch noch gar nicht so radikalisiert, dass ein weiteres Handeln geboten war. Also, das muss man jetzt abwarten. Ich glaube, es ist im Großen und Ganzen schon ein Erfolg der amerikanischen Sicherheitsbehörden, aber natürlich kann man immer noch besser werden.

    Kaess: Aber Nachfragen wird es wohl geben, nachdem das FBI den Mann schon mal im Blick hatte?

    Krings: Absolut, natürlich! Also, man muss ja immer aus den bisherigen Anschlägen lernen. Umgekehrt, muss man allerdings auch sagen, müssen wir aufpassen, dass wir uns nicht immer auf die Attentate von gestern vorbereiten. Also, nach diesem Attentat und auch nach dem, was wir in Frankfurt leider erleben mussten vor einigen Jahren mit Arid Uka, ist offenbar klar, dass nicht nur Al Kaida, sondern auch Einzeltäter, die kaum vernetzt sind, eine große, große Gefahr darstellen. Und das macht die Verhinderung von Terroranschlägen noch schwieriger.

    Kaess: Glauben Sie, dass es in den USA Forderungen nach noch stärkeren Sicherheitsmaßnahmen geben wird?

    Krings: Auch das wird man abwarten müssen. Ich glaube schon, dass die Amerikaner sehr wohl unterscheiden zwischen dem, was sie am 11. September 2001 erlebt haben, und dem, was sie jetzt erleben. Die Dimensionen der Anschläge sind ja ganz, ganz unterschiedlich. Ich glaube nicht, dass es eine vergleichbare Forderung geben wird. Aber dass man an Einzelpunkten noch einmal überlegt, wie kommt man an notwendige Informationen, wie kann man Gefährdung besser aufspüren, das mag sein. Ich glaube aber nicht, dass es jetzt eine große Welle neuer Gesetzgebung dort geben wird.

    Kaess: Jetzt wissen wir zum Zeitpunkt noch nicht viel über die Täter. Es gibt aber einige Hinweise, dass der Islam für die beiden eine wichtige Rolle in ihrem Leben gespielt hat, für die mutmaßlichen Täter, muss ich sagen! Sollte sich das bestätigen, wenn es einen islamistischen Hintergrund geben sollte, wäre das ein Rückschlag für die amerikanische Sicherheitspolitik nach all den Bemühungen seit den Anschlägen vom 11. September 2001?

    Krings: Zunächst mal war es ja bemerkenswert, dass auch der amerikanische Präsident und auch die Sicherheitsbehörden sehr vorsichtig waren und sind mit solchen Vermutungen, obwohl es natürlich auch Ansatzpunkte gibt für einen islamistischen Hintergrund. Aber ich glaube, das kann man nicht als Rückschlag bezeichnen. Noch einmal: Es geht hier, wenn dann, um islamistisch motivierte Einzeltäter. Und nicht um ein weltweit operierendes Terrornetzwerk. Das ist ein ganz anderer Gegner, auf den man sich dann einzustellen hat. Und insofern muss man dann schauen, welche Maßnahmen muss man da vielleicht noch ergänzen, noch nachschärfen. Aber man kann es nicht als Rückschlag ansehen.

    Kaess: Aber das heißt, oder verstehe ich Sie da richtig: Sollte sich ein islamistischer Hintergrund bestätigen, das wäre dann ein Beleg dafür, dass Al Kaida heute in kleinen Zellen aktiv ist und weniger in einem großen, geschlossenen Netzwerk?

    Krings: Also, dafür gibt es ja auch ganz andere Anhaltspunkte, dass sich ... Man muss ja, wenn es nicht so makaber wäre, könnte man das als ein Franchiseunternehmen ja fast bezeichnen, dass sie offenbar doch sehr dezentral operieren. Aber das muss in diesem Falle auch, selbst wenn es ein islamistischer Hintergrund ist, auch gar nicht heißen, dass überhaupt irgendetwas auf Al Kaida hindeutet oder es irgendwie verbunden ist mit Al Kaida. Also, es können auch Täter sein, die einfach von ihrem Glauben fanatisiert worden sind, die ihren Glauben missverstehen und sich da radikalisieren. Und das muss dann nicht zwingend überhaupt irgendwelche Bezugspunkte zu dieser Terrororganisation aufweisen.

    Kaess: Man weiß ja, dass die Täter isoliert waren. Rechnen Sie mit einer Diskussion über Integrationsprobleme in den USA?

    Krings: Auch das ist, glaube ich, zu verfrüht zu sagen. Amerika ist ja wirklich ein Land mit ganz vielen Ethnien, noch stärker als das in den meisten europäischen Ländern der Fall ist. Und ich glaube das eigentlich nicht. Es war nach dem 11. September in der Tat wohl so, dass manche Moslems gesagt haben, es ist ein ungutes Gefühl und wir werden in der Öffentlichkeit teilweise schlecht behandelt. Aber das hat sich doch wieder weitestgehend gelegt. Also, ich habe nicht den Eindruck, dass das jetzt zu einem großen Integrationsthema in den Vereinigten Staaten wird.

    Kaess: Herr Krings, es hat sich jetzt auch hierzulande, es entspinnt sich eine neue Diskussion über die Videoüberwachung. Bundesinnenminister Friedrich fordert eine erweiterte Videoüberwachung von öffentlichen Plätzen in Deutschland. Hat er damit recht und sind die Gefährdungen in den USA irgendwie vergleichbar mit denen in Deutschland?

    Krings: Also, natürlich hat jedes Land seine eigene Gefährdung. Aber religiös motivierter Fanatismus ist natürlich ein Thema, was uns praktisch weltweit betrifft. Die Täter kamen jedenfalls gebürtig und sind aufgewachsen in Russland, im Kaukasus. Wir haben das Problem in Amerika, wir haben in Deutschland Anschläge gehabt. Ich habe den Fall in Frankfurt, am Frankfurter Flughafen, wo zwei amerikanische Soldaten ums Leben gekommen sind ...

    Kaess: Und die erweiterte Videoüberwachung, denken Sie, würde uns da weiterbringen?

    Krings: Und deshalb ist das ein Element, an einigen Punkten auch Videoüberwachung einzusetzen. In meiner Heimatstadt haben wir gute Erfahrung auch bei normaler Kriminalitätsbekämpfung damit gemacht. Man darf es nicht flächendeckend machen. Es passt nicht überall, aber dass beispielsweise größere Bahnhöfe videoüberwacht sind, ist, glaube ich, eine gute Sache. Insofern, ein behutsames Ausweiten dieses Themas ist, glaube ich, vernünftig. Man darf nicht zu weit gehen, aber man darf auch nicht davor zurückschrecken und es zum Tabu erklären.

    Kaess: Sagt Günter Krings, er ist stellvertretender Vorsitzender der Deutsch-Amerikanischen Parlamentariergruppe im Bundestag. Danke für das Gespräch, Herr Krings!

    Krings: Sehr gerne!

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.