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Einzelzimmerquote in der Pflege
Mehr Privatsphäre, weniger Plätze?

In mehreren Bundesländern gibt es für Pflegeheime eine Einzelzimmerquote. In NRW liegt sie für Bestandsbauten bei 80 Prozent, für Neubauten gar bei 100 Prozent. Das garantiert Heimbewohnern Privatsphäre, gleichzeitig fallen Plätze weg. In den Ballungsgebieten verschärft das den Pflegenotstand.

Von Vivien Leue | 02.01.2020
Zu sehen ist Karl-Josef Laumann (CDU), Gesundheitsminister von Nordrhein-Westfalen.
Der nordrhein-westfälische Gesundheitsminister Karl-Josef Laumann verteidigt die strenge Quote seines Bundeslandes. (picture alliance / dpa / Rolf Vennenbernd)
Düsseldorf-Garath: Am Rande eines grünen Parks und umgeben von Wohngebäuden entsteht der Neubau des Caritas Altenzentrums St. Hildegard. In wenigen Wochen soll es eröffnet werden. Architekt Markus Schmale betritt ein fast fertiges Zimmer.
"Sie sehen: Jedes Zimmer hat 16 Quadrat zuzüglich Flur und behindertengerechtes Bad. Also, das sind Riesenbäder."
Große Fenster eröffnen den Blick auf einen kleinen Grünstreifen und dahinterliegenden Schulhof. Das neue Pflegeheim wird ausschließlich Einzelzimmer haben - so will es der Gesetzgeber in NRW. Seit eineinhalb Jahren gilt diese Einzelzimmerquote, in Bestandsbauten liegt sie bei 80 Prozent.
Doppelzimmer nur noch für Kurzzeitpflege
Der alte Bau, nur wenige Geh-Minuten entfernt, erreicht diese Quote nicht, erklärt der Vize-Chef der Caritas Düsseldorf, Thomas Salmen.
"Die Räume sind sehr viel kleiner, als wir sie heute anbieten müssen nach den gesetzlichen Vorgaben. Die wenigsten haben Nasszellen. Man erkennt deutlich die Sechziger Jahre."
Insgesamt erreichen aktuell etwa 120 Heime der insgesamt 2.200 Einrichtungen im Land die Einzelzimmerquote noch nicht. Sie dürfen die überzähligen Doppelzimmer nur noch zum Beispiel für die Kurzzeitpflege nutzen. Die meisten dieser Heime werden allerdings gerade umgebaut, so dass auch sie die Quote bald erfüllen sollten.
Anzahl der Plätze deutlich gesunken
Ein Umbau der Einrichtung St. Hildegard in Düsseldorf war dagegen nicht möglich, deshalb musste die Caritas neu bauen. Sie hatte Glück, dass ganz in der Nähe ein Grundstück der evangelischen Kirche frei wurde, sonst hätte das Heim St. Hildegard vielleicht ganz geschlossen werden müssen. Mehr als 80 Plätze wären dann weggefallen, und das zu Zeiten, in denen vor allem in den Ballungszentren hunderte Plätze fehlen. In seinem Büro nahe des Düsseldorfer Zentrums erklärt der Caritas-Direktor Henric Peeters:
"Insgesamt muss man sagen, dass durch die Einführung der Einzelzimmerquote die Gesamt-Platzzahl deutlich zurückgegangen ist. Und das bei immer noch 1.000 fehlenden Plätzen. Und so viele Altenheime werden auch in Düsseldorf aufgrund des Grundstücksmangels nicht neu gebaut."
Recht auf Privatsphäre gilt auch im Heim
Der nordrhein-westfälische Landtag hat die Einzelzimmerquote schon 2003 beschlossen - die Träger hatten also 15 Jahre Zeit, ihre Heime um- oder neuzubauen. Landesgesundheitsminister Karl-Josef Laumann, CDU, verteidigt die Quote. Pflegebedürftige Menschen hätten wie alle anderen auch einen Anspruch auf ausreichend Privatsphäre.
Dennoch haben nur wenige Bundesländer ähnlich strenge Vorgaben wie Nordrhein-Westfalen, darunter Baden-Württemberg. Niedersachsen verzichtet auf eine Quote, in Berlin sind 60 Prozent angesetzt, Bayern plant eine Quote von 75 Prozent. In NRW wurden nach Zahlen des Landesgesundheitsministeriums fünf Heime geschlossen, weil Um- oder Neubauten sich wirtschaftlich nicht mehr gerechnet hätten. Bei insgesamt 2.200 Einrichtungen im Land fallen fünf fehlende Heime allerdings kaum ins Gewicht.
Caritas: Bewohner schätzen Doppelzimmer häufig
Die Caritas Düsseldorf hätte sich als Träger mehr Flexibilität gewünscht statt starrer Quoten.
"Es gibt im Doppelzimmer die doppelte Besuchshäufigkeit, so. Und wir haben ganz häufig Menschen in Doppelzimmern belegt, die eigentlich ein Einzelzimmer wollten und wenn ein Einzelzimmer frei war, haben wir den Menschen den Umzug angeboten und mir sind nur ganz wenige Fälle bekannt, wo die Menschen das dann auch wirklich wahrgenommen haben."
Nachteil sind die hohen Kosten
Hinzu kommt: Ein Einzelzimmer kostet den Pflegebedürftigen mehr Geld - der Eigenanteil an den Unterbringungskosten steigt. In Nordrhein-Westfalen liegt dieser Eigenanteil aktuell bei gut 2.200 Euro im Monat, so hoch wie in keinem anderen Bundesland. Laut Sozialverband VdK geraten dadurch immer mehr Pflegebedürftige in finanzielle Nöte. In NRW sind demnach inzwischen mehr als 60.000 Heimbewohner auf Sozialhilfe angewiesen, um ihren Heimplatz zu bezahlen. Caritas-Chef Peeters sieht hier nicht nur die Politik in der Pflicht. Auch in der Gesellschaft müsse ein Umdenken stattfinden:
"Ich glaube, es ist notwendig, dass die Gesellschaft, dass wir alle es als unsere Aufgabe annehmen: Wie kümmern wir uns um unsere älteren Menschen? Und das geht nicht, indem nicht auch dort Geld investiert. Und wir können nicht nur auf die Pflegeversicherung schielen, die möglichst immer gleich bleibt, nein, nein, da müssen auch Steuergelder ran, dass wir den Menschen ein würdiges Altwerden in stationären Einrichtungen ermöglichen."