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Eisenbahn-Technik
Züge, die während der Fahrt wachsen

Seit sieben Jahren arbeiten Forscher in Stuttgart an einem Hochgeschwindigkeitszug, der den Eisenbahnverkehr revolutionieren soll: Der Next Generation Train soll während der Fahrt Wagons an- und abkuppeln können.

Von Sönke Gäthke | 23.09.2014
    "Das ist der Link. Und hier haben wir die Türen auf der Normalhöhe in deutlich breiterer Ausführung."
    Joachim Winter deutet im Institut für Fahrzeugkonzepte in Stuttgart auf eine Graphik. Sie zeigt einen weißen Doppelstockzug schräg von vorn, die Fenster auf beiden Etagen sind zu einem fast schwarzen Band zusammengefügt; neben den Türen zieht sich das untere Band schräg in die obere Etage.
    "Dahinter laufen die Treppen hoch, das ist von außen auch schon wieder so gekennzeichnet, dass der Fahrgast sieht, wo die Treppe nach oben ist."
    Der Link ist das jüngste Projekt der Stuttgarter DLR-Forscher. Seit 2007 arbeiten sie am Next Generation Train – dem Zug für die nächste Generation, einer Familie von Technologieträgern für unterschiedliche Einsätze. Zunächst stand ein neues Konzept für Hochgeschwindigkeitszüge und Leichtbau in ihrem Fokus.
    Mit dem Link nehmen die Forscher jetzt Zubringerzüge ins Visier. Die fahren von Hochgeschwindigkeitsbahnhöfen ins Umland. Und dabei sollen sie sich unterwegs teilen können – während der Fahrt.
    "Also das sogenannte 'dynamische Flügeln'"
    Damit das funktioniert, werden die Züge nicht mehr wie heute mechanisch gekuppelt, sondern elektronisch per Funk – ohne physische Verbindung zueinander. Die Stuttgarter Forscher greifen dafür auf das selbst entwickelte 'Rail Collision Avoidance'-System zurück. Dabei orten sich Züge mithilfe von GPS, Streckenkarten und Kilometerzählern selbst und funken ihre Position anderen Zügen auf der gleichen Strecke zu. Die Idee ist, Zusammenstöße vor allem auf eingleisigen Strecken zu vermeiden, ohne zusätzliche Signale oder Schutzvorrichtungen am Gleis einbauen oder Betriebsvorschriften ändern zu müssen. Joachim Winter will daraus nun eine elektronische oder fernwirkende Funk-Kupplung entwickeln.
    Funkkupplungen sollen in den kommenden vier Jahren entwickelt werden
    "Ziel dabei ist es, den Zug so sicher zu koppeln, dass er signaltechnisch als ein Fahrzeug betrachtet werden kann, weil sonst müssten wir die gesamte Zugleittechnik auch noch ändern."
    Zwei oder mehrere Link-Züge mit unterschiedlichen Zielen würden sich im Bahnhof per Funk so koordinieren, dass sie, ohne tatsächlich gekuppelt zu sein immer im selben Abstand fahren, genau gleich schnell beschleunigen oder bremsen. Unterwegs könnte sich dann ein Zug lösen und in eine andere Richtung weiter fahren. Auf der Rückfahrt könnten sich einzelne Züge so elektronisch zu einem langen zusammenfügen.
    "Um den Streckendurchsatz zu erhöhen, beziehungsweise Fahrzeuge in verschiedene Richtungen fahren zu lassen, hat man dann wieder beliebige Kombinationsmöglichkeiten, die Fahrzeuge während der Fahrt zu einem Zug zusammen zu fügen und auch wieder zu trennen."
    Dabei sollen die elektrisch betriebenen Züge auch über Nebenstrecken fahren können, die nicht elektrifiziert sind. Welche Technik den Zug dort vorantreiben soll – Elektromotoren mit Batterien, Hydraulikspeicher oder Generatoren mit kleinen Motoren – wollen die Forscher derzeit bewusst offenlassen.
    "Wir sind der Meinung, das muss generell untersucht werden, weil es nach unserem Gefühl, oder Empfinden, verschiedene Optimierungsmöglichkeiten gibt, die zu einem, dem geplanten Betrieb angepassten, optimalen Antriebsstrang führen wird."
    Die Funkkupplungen wie die Antriebstechniken wollen die Stuttgarter Forscher in den kommenden vier Jahren verfolgen. Ob sie in dieser Zeit auch den ganzen Link auf die Räder stellen, ist offen. Aber auch ohne ihn könnten die fernwirkende Kupplung oder eine Speichertechnik für nicht-elektrifizierte Strecken verwendet werden – in konventionellen Zügen.