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Eisengießerei Torgelow
Zwischen Tradition und Terrorabwehr

Viel Industrie gibt es nicht im vorpommerschen Hinterland. Doch in der Ueckermünder Heide hält sich die Eisengießerei Torgelow. Sie stand schon mehrmals vor dem Aus. Aber jetzt helfen die Energiewende und die Terrorabwehr.

Von Silke Hasselmann | 25.01.2019
    Flüssiges Eisen wird von einem Behälter in eine Form geegossen, dabei sprühen Funken. Im Hintergrund stehen Arbeiter in der Eisengießerei Torgelow
    Windenergie und Terrorabwehr brachten die Wende (Eisengießerei Torgelow GmbH)
    "Das ist der Bereich des alten Schmelzbetriebes. Hier standen die drei Mittelfrequenzöfen mit einem Fassungsvermögen von vier Tonnen",
    erklärt Karl Friedrich Kummert beim Gang durch die große Werkshalle, die in den 50er Jahren für die Großgussabteilung errichtet worden war. Sie ist der einzige Betriebsteil von damals, der noch immer aktiv genutzt wird, was man schon daran merkt, dass es auch im Winter heiß hier drinnen ist und belebt.
    Staub, Hitze, harte Arbeit
    Zu DDR-Zeiten wurden hier vor allem Teile für Schiffsdieselmotoren hergestellt. Sehr schwere Handarbeit, erinnert sich Kummert, der 1967 als Lehrling im damaligen Volkseigenen Betrieb Gießerei und Maschinenbau "Max Matern" begonnen hatte und später zum sogenannten "Ofen-Chef" aufgestiegen war.
    "Staub, Kräfte", erinnert er sich, "es musste viel mit Druckluftwerkzeugen gearbeitet werden. Hitze. Und natürlich auch alles mit Hand. Das heißt, die vier Tonnen Eisen wurden mit der Hand reingeschmissen."
    Wer sich in dieser Halle aufhält, muss einen Helm tragen. Karl Friedrich Kummert ist es eine eingefleischte Selbstverständlichkeit. Doch auch Peter Krumhoff, der 2012 aus der Hamburger Windenergiebranche in die vorpommersche Eisengießerei wechselte, beachtet den Arbeitsschutz beim Betriebsrundgang. Er erzählt:
    "Wir stellen große schwere Gusskomponenten aus Eisenguss her. Die finden im Wesentlichen Eingang im Maschinenbau, in der Schwerindustrie, im Bereich Öl- und Gasexploration und vor allen Dingen im Bereich Windenergie."
    Poller gegen Terrorfahrten
    Doch dazwischen liegen harte Jahre. Nach der Wiedervereinigung brachen dem wichtigsten Industriebetrieb der Region viele Aufträge weg. Die Folge: zwei Insolvenzen. Statt der einst 2000 Mitarbeiter halten Anfang der 90er Jahre zeitweilig nur noch 60 die Stellung. Mittlerweile stehen in der alten Halle neue Schmelzöfen und Gießanlagen. Allerorten automatisierte Regelungs- und Computertechnik zu sehen. Rund 450 finden hier derzeit gute Arbeit und - eine Seltenheit in Mecklenburg-Vorpommern - tarifgebundenen Lohn. Darunter junge Konstrukteure um Stephan Briel, die am Computer demonstrieren, wie "CitySafe" funktioniert.
    Es handelt sich um mobile Antiterrorsperren, von den Torgelowern erfunden und mittlerweile patentiert. Es sind schlanke, hüfthohe, jeweils 800 Kilogramm schwere Eisenpoller, entwickelt nach dem todbringenden Lkw-Attentat auf dem Berliner Weihnachtsmarkt 2016.
    "Wir wollten natürlich etwas haben, was uns nicht einengt. Sondern wir wollten etwas entwerfen, was ´ne offene Gesellschaft ermöglicht. Die Leute sollen durchgehen können, sollen es eigentlich gar nicht merken, dass sie von den Lkws getrennt werden."
    Windenergie brachte die Wende
    Und so klingt es heute, wenn in Torgelow tonnenschwere Rohgussteile entstehen. Zunächst muss das Eisen bei möglichst exakt 1.350 Grad Celsius geschmolzen werden. Anschließend sind Männer in schweren goldfarbenen Hitzeschutzmänteln damit beschäftigt, das weißglühende flüssige Metall in die vorbereiteten Formen zu gießen.
    "Also, wir stellen zum Beispiel Rotornaben und Maschinenträger für Windkrafträder her."
    Auf der Internetseite kann man die Firmenphilosophie der Eisengießerei Torgelow kennenlernen. Sie lautet getreu dem Motto von US-Präsident John F. Kennedy: "Einen Vorsprung im Leben hat, wer da anpackt, wo die anderen erst einmal reden." Übersetzt für die Vorpommern heißt das: Sie verdienen ihr Geld mit eisernen Alternativen für deutlich schwerere und teurere Stahlkonstruktionen - und zwar auch in den USA.
    "Alles, was Windenergie angeht, geht im Moment noch relativ stark in den zentralamerikanischen Markt, in den sogenannten `wind belt´. Andere Sachen wie Turbinengehäuse gehen im Wesentlichen an die Ostküste. Und in Zukunft sind wir jetzt bei der Erschließung von Märkten, die sich stark auf den Süden konzentrieren, speziell weil dort am meisten Öl und Gas gefördert wird."
    Großauftrag von Siemens
    Nun konnte die Eisengießerei, deren Tradition bis ins 18. Jahrhundert zurückreicht, den mit 37 Millionen Euro größten Auftrag ihrer Geschichte an Land ziehen. Der für erneuerbare Energien zuständige Siemens-Bereich Gamesa Renewable Energy darf in den USA einen neuen Windpark bauen und will die nötigen gusseisernen Teile in der vorpommerschen Kleinstadt fertigen lassen. Dort wurde vorigen April – weltweit erstmalig - ein rund 100 Tonnen schwerer Prototyp der neuen Generation von Rotornaben geformt: sieben Meter lang, fünf Meter Durchmesser, und das aus einem Guss. Hilfreich im internationalen Wettbewerb etwa mit chinesischen Gießereien.
    Übrigens: Dass die Politik das Freihandelsabkommen zwischen der EU und den USA beerdigt hat, bedauert der weltgewandte Geschäftsführer Peter Krumhoff. TTIP hätte mittelständischen Unternehmen wie seinem einen deutlich unbürokratischeren Zugang zum US-Markt verschafft. Egal, sagt er. Überspringt die Eisengießerei Torgelow GmbH eben weiterhin die staatlichen Hürden. Immerhin:
    "Wir sind gewohnt, amerikanische Zulassungsprobleme zu lösen. Wir sind gewohnt-, Visa- und andere Einreiseprobleme zu lösen. Das wird an der täglichen Arbeit nicht viel ändern."