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Eiszeit in der Wüste

Marokko hat die Westsahara Gebiete vor 38 Jahren annektiert und reagiert allergisch auf alle Kommentare insbesondere vom ungeliebten Nachbarn Algerien. Das Problem: Eine Zusammenarbeit im Kampf gegen Terroristen ist so kaum möglich.

Von Alexander Göbel | 16.11.2013
    Ein Fahrzeug der Military Liaison Office of the UN Mission for the Referendum in Western Sahara (MINURSO) in der Sahara
    Ein Fahrzeug der Military Liaison Office of the UN Mission for the Referendum in Western Sahara (MINURSO) in der Sahara (UN Photo/Martine Perret)
    Jedes Jahr Anfang November spricht Marokkos König Mohammed VI. zu seinem Volk. Und jedes Mal wird diese Rede zu einem Politikum. Feierlich erinnert der Monarch an den sogenannten Grünen Marsch. Am 6. November 1975 besetzte Marokko die ehemalige spanische Kolonie Westsahara, seitdem beansprucht das Königreich das Territorium für sich. Die vom Nachbarland Algerien unterstützte Bewegung Polisario kämpft dagegen für das Selbstbestimmungsrecht der dort lebenden Sahraouis. Seit Jahrzehnten schwelt der Westsahara-Konflikt, es gibt einen Waffenstillstand und eine UN-Friedensmission, es wird über Volksentscheide und Autonomie diskutiert, diplomatisches Säbelrasseln zwischen Marokko und Algerien gehört dazu. In diesem Jahr ist der Ton allerdings besonders scharf, auch beim sonst so zurückhaltenden König:

    "Gewisse Funktionäre sind von den Gruppen beeinflusst, die dem Königreich Marokko schaden wollen. Wir betonen ausdrücklich, dass Marokko keine Ratschläge braucht – schon gar nicht von Leuten, die die Integration des Maghreb-Raumes behindern."

    Damit meint Mohammed VI. niemand anderen als Algeriens Präsident Abdelaziz Bouteflika. Der hatte Ende Oktober gefordert, die MINURSO, die UN-Mission in der Westsahara, müsse sich dort auch um Menschenrechtsverletzungen kümmern. Bislang hat Marokko sich immer erfolgreich dagegen gewehrt, dass die Menschenrechte in das Mandat der UN-Mission aufgenommen werden. Die USA scheiterten erst im April mit einem solchen Vorstoß. Dass nun ausgerechnet der ärgste Rivale und Nachbar Algerien schon wieder in dieser Richtung provoziert, das betrachtet Marokko als inakzeptablen Eingriff in seine Souveränität – und als einen zynischen Trick Algeriens mit dem Ziel, von innenpolitischen Problemen abzulenken und die Vorherrschaft in der Region zu erlangen.
    Die Folge: Marokko ruft vorübergehend seinen Botschafter aus Algier zurück, vor der algerischen Botschaft in Rabat demonstrieren Hunderte Menschen mit roten marokkanischen Fahnen und riesigen Königsporträts für ihren Monarchen - und gegen Algerien:

    "Wir protestieren aufs Schärfste gegen diese algerische Politik, die nur zum Ziel hat, Marokko zu destabilisieren. Ich bin hier, um für die Einheit unseres Landes einzutreten und die Interessen unserer Nation zu verteidigen."

    Damit nicht genug: Nur Tage später klettert ein Marokkaner auf das Gebäude des algerischen Konsulats in Casablanca und reißt die algerische Flagge herunter. Die algerische Fahne sei geschändet worden, heißt es daraufhin im algerischen Staatsfernsehen, Algerien verurteile den feindlichen Akt als Skandal, marokkanische Eliten nutzten jede Gelegenheit zur Hetze gegen Algerien. Und Präsident Bouteflika, so der französische Maghreb-Spezialist Pierre Vermeren, brüskiere den Nachbarn Marokko, wo immer es möglich sei. Nicht nur aus innenpolitischen Gründen:

    "Der Westen braucht Algerien und in Algier weiß man das ganz genau. Algerien ist ein Schlüsselland im Kampf gegen Al Kaida im islamischen Maghreb. Ohne Algerien läuft nichts, seine Südgrenzen sind Rückzugsgebiete für die Terroristen. Die militärische Zusammenarbeit im Sahel läuft auf Hochtouren mit den Franzosen, mit den US-Amerikanern. Aber Marokko hat eben mit der Westsahara auch einen Fuß in der Wüste. Und um zu zeigen, wer der Herr der Dünen ist, wer die eigentliche Kontrolle in dieser Region hat, darum handelt Algerien aus einer Position der Stärke."

    Vor allem den USA dürften derartige Rivalitäten ein Dorn im Auge sein. Denn statt Konfrontation wollen sie Kooperation im Kampf gegen den Terrorismus. Doch jegliche Form regionaler Zusammenarbeit zwischen Sahara und Sahel scheint unmöglich, solange sich mit Marokko und Algerien die beiden Staaten mit den stärksten Streitkräften der Region anfeinden.

    Wenn sich Marokkos König Mohammed VI. kommende Woche in Washington Unterstützung für seine Westsahara-Strategie abholen will, dürfte es auch um die Frage gehen, ob auf die marokkanisch-algerische Eiszeit jemals Tauwetter folgen kann.