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EKD-Stellungnahme
Damit Friedensmissionen zum Erfolg führen

Mit dem Papier "Selig sind die Friedfertigen" nimmt die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) erneut Stellung zum Bundeswehr-Einsatz in Afghanistan. Im Mittelpunkt steht die Frage, wie ein gerechter Frieden aussehen kann und muss.

Von Matthias Bertsch | 27.01.2014
    "Aus Gottes Frieden leben, für gerechten Frieden sorgen." Unter diesem Titel hatte der Rat der Evangelischen Kirche in Deutschland im Oktober 2007 eine 130-seitige Denkschrift vorgelegt. Die grundsätzliche Position, die darin zum Ausdruck kam – und die von den Erfahrungen der Auslandseinsätze der Bundeswehr im Kosovo und in Afghanistan geprägt war -, lässt sich in der Formel zusammenfassen: "Wer den Frieden will, muss für einen gerechten Frieden eintreten und darf nicht den Krieg vorbereiten".
    Die neue Stellungnahme zur Friedensethik, die heute mittag unter dem Titel "Selig sind die Friedfertigen – Der Einsatz in Afghanistan: Aufgaben evangelischer Friedensethik" vorgestellt wird, aktualisiert die Denkschrift von 2007. Im Zentrum stehe die Frage, ob sich die damalige Grundüberzeugung in der Praxis bewährt habe, sagt die Friedensforscherin Eva Senghaas-Knobloch, die beide Texte mit verfasst hat.
    "Ich glaube, dass sie sich sehr bewährt hat in der Reflexion was geschieht vor Ort, wenn immer solche Militäreinsätze entschieden werden. Das hat damit zu tun, dass wir in diesem Ansatz des gerechten Friedens, der ja ökumenisch sehr stark verbreitet und konsensual getragen wird, dass wir da etwas vorliegen haben, was einerseits eine biblische Begründung hatte, aber darüber hinaus ja auch anschlussfähig ist an das, was wir inzwischen in der modernen Friedensforschung an allgemeinen Befunden vorliegen haben."
    Vier zentrale Punkte des Papiers
    Vier Punkte seien zentral, um in einem Konflikt zu einen gerechten Frieden zu kommen: Der Schutz vor Gewalt sei genauso unverzichtbar wie der Schutz der Freiheit, doch beide müssten rechtlich eingebunden sein. Außerdem müssten die Menschen vor existenzieller Not geschützt werden. Der vierte Punkt deutet auf eine wichtige Erfahrung im Afghanistan-Krieg hin: Kulturelle Verschiedenheiten müssten anerkannt und respektiert werden. Dies alles, so Senghaas, mache eine genaue Landeskenntnis im Falle eines Militäreinsatzes, der zum Frieden führen solle, unverzichtbar. In Afghanistan dagegen seien von Anfang an zwei Konzepte aufeinandergeprallt: Eine Kriegslogik, die den Kampf gegen Terror über alles stellte, und die von der EKD favorisierte Friedenslogik.
    "Man hätte also sehr schnell mit dem Einsatz zur Selbstverteidigung aufhören müssen, spätestens nachdem die Taliban-Regierung aus ihren Ämtern verjagt worden ist und hätte sich ganz stark konzentrieren müssen auf das, was der Auftrag von ISAF war, nämlich stabilisieren und das heißt, eben Friedensanstrengungen zu unternehmen, das heißt Beziehungen knüpfen. In einer Kriegslogik schalte ich den Feind möglichst aus, in einer Friedensmission suche ich, Gegner miteinander wieder gesprächsfähig zu machen."
    Kritische Position gegenüber dem Afghanistan-Einsatz
    Eine Position, die die ehemalige Ratsvorsitzende der EKD, Margot Käßmann, schon vor bald vier Jahren stark machte – auf dem damaligen ökumenischen Kirchentag in München.
    "Ich lasse mich gerne lächerlich machen, wenn Menschen mir sagen, ich solle mich doch mit den Taliban in ein Zelt setzen und bei Kerzenlicht beten. In der dortigen Kultur wäre das vielleicht sogar eine angemessene Form, Frieden zu schließen, jedenfalls eher als das Bombardement von Tanklastzügen."
    Der Applaus für Käßmann belegt, dass ihre kritische Haltung gegenüber dem Afghanistan-Einsatz der Bundeswehr viel Anklang fand und wohl noch heute findet. Doch die breite Zustimmung im Kirchenvolk kann nicht darüber hinweg täuschen, dass der Einsatz in der evangelischen Kirche kontrovers diskutiert wird. Während sich Pazifisten auf das Vorbild Jesu und die Feindesliebe der Bergpredigt berufen, halten andere, wie der derzeitige Ratsvorsitzende, Nikolaus Schneider, die radikale Gewaltlosigkeit der Pazifisten für nicht praktikabel.
    "Die werde ich immer verteidigen, weil sie wirklich ganz viel Recht haben. Es gibt einen winzigen Punkt, wo ich sage: Davon muss man abweichen, weil es die Realität des Bösen in der Welt gibt, die sich mit Gewalt verbindet, und da gibt es Situationen, wo ich nicht ohne Schuld rauskomme, nämlich wenn ich selbst auf Gewalt verzichte und lass sie gewähren, dann werde ich schuldig gegenüber den Opfern, für die ich mich hätte einsetzen können. Wenn ich selber zu Gewalt greife, verstricke ich mich in Gewaltzusammenhänge und werde dadurch schuldig, ich komme nicht raus, so ist die Lage."
    Friedensethik der evangelischen Kirche
    Auch das Konzept des gerechten Friedens, das der Friedensethik der evangelischen Kirche zugrunde liege, so Schneider, benötige einen Rechtsrahmen. Wenn Staaten und Rechtssysteme zerfielen und Menschen totaler Willkür ausgesetzt seien, stoße strikte Gewaltlosigkeit an Grenzen.
    "In einer solchen Situation hält die Friedensdenkschrift und halte auch ich es für gerechtfertigt, dass in einer solchen Situation rechtserhaltende Gewalt eingesetzt wird, die dazu dienen muss, zivile Formen des Schutzes von Menschen aufzubauen. Das ist meine grundsätzliche Position und da muss man jetzt sehen, inwieweit sie sich etwa beim Afghanistan-Einsatz nun verifizieren oder falsifizieren lässt und das ist im konkreten nicht einfach und nie mit letzter Klarheit und Sicherheit festzustellen."
    In der Stellungnahme zur Friedensethik, die der EKD-Ratsvorsitzende heute in Berlin vorstellt, wird es vor allem um diese Erfahrungen in Afghanistan gehen, aber nicht nur um sie. Der Afghanistan-Einsatz der Bundeswehr geht dem Ende zu, doch die nächsten Auslandseinsätze sind nur eine Frage der Zeit: Über einen Einsatz in Mali wird in den Parteien bereits jetzt heftig diskutiert. Umso wichtiger sei es, so die Friedensforscherin und Mitverfasserin des EKD-Textes, Eva Senghaas-Knobloch, sich im Vorfeld darüber zu verständigen, welche Ziele mit einem solchen Einsatz verfolgt würden.
    "Dann kann es dazu auch gehören, dass man Militär braucht, das aber strikt unter einer klaren Vorstellung, wohin friedenspolitische Zielsetzungen gehen können, stehen würde, und das heißt, wirklich ganz genau vor Ort Kenntnisse zu haben, und sich nicht zu stark im ersten Schritt davon beeindrucken zu lassen, dass man sozusagen über einen schnellen militärischen Einsatz zu schnellen Erfolgen kommen könnte, wie gesagt, der Erfolg von Friedensmissionen heißt immer Erfolg für eine Friedensmission und nicht Sieg."