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Eklat zwischen Saudi-Arabien und Kanada
Wie ein Tweet eine diplomatische Krise auslöste

Die kanadische Außenministerin Chrystia Freeland hat in einem Tweet die Freilassung von Menschenrechtsaktivisten in Saudi-Arabien gefordert. Das Königreich reagierte empört und kappte wirtschaftliche sowie diplomatische Beziehungen. Doch damit schade Saudi-Arabien vor allem sich selbst, meinen Experten.

Von Antje Passenheim | 11.08.2018
    Die kanadische Außenministerin Chrystia Freeland.
    "Wir haben kein Problem mit der Situation": Die kanadische Außenministerin Chrystia Freeland zeigte sich unbeeindruckt vom Protest der Saudis (picture alliance / Patrick Doyle)
    Über die Menschenrechte in die diplomatische Krise: Diese hier geht zu weit, meint Nahostexperte Steven Cook. Die Saudis haben schlichtweg überreagiert, meint der Experte der Denkfabrik "Council on Foreign Relations". Schließlich hat Kanada das Königreich nicht zum ersten Mal in Sachen Menschenrechten kritisiert. Doch nun bringt ein Tweet das Fass zum Überlaufen. Cook:
    "Das ist eine Warnung an alle Aktivisten in Saudi-Arabien. Sogar ein Land wie Kanada wird bestraft, wenn es sich auf die Seite von saudischen Aktivisten stellt.
    Reformprozess in Saudi-Arabien läuft holprig
    Eine Warnung auch an westliche Staaten: Mischt euch nicht ein in unseren Reformprozess! Für Kronprinz Bin Salman läuft er oft holprig. Viele Saudis bleiben arbeitslos. Die Investoren zögern weiter. Zwar lässt der Kronprinz Frauen ans Steuer. Doch die Geschwindigkeit will Bin Salman selbst angeben. Schließlich muss er auch die Gemüter der Konservativen in seinem Land beschwichtigen und Kritikern von außen die harte Kante zeigen. Kanadas Staatschef Trudeau nimmt es demonstrativ gelassen:
    "Wir haben Respekt für ihre Stellung in der Welt. Wir nehmen wahr, dass sie Fortschritte in vielen Dingen machen. Aber wir drücken klar unsere Haltung über Menschenrechte aus. Zuhause und im Ausland. Wo immer wir die Notwenigkeit sehen."
    Trudeau stellt sich ganz klar hinter seine Außenministerin. Ihr Tweet hat den Eklat ausgelöst. Darin hat sich Chrystia Freeland besorgt über eine neue Verhaftungswelle von Frauen- und Menschenrechtsaktivisten in Saudi-Arabien geäußert. Freeland forderte ihre sofortige Freilassung, besonders die der Aktivistin Samar Badawi. Die Frauenrechtlerin ist die Schwester des Bloggers Raif Badawi, der vor sechs Jahren wegen seiner Kritik an der saudischen Regierung zu einer zehnjährigen Haftstrafe verurteilt worden war - und zu 1.000 Peitschenhieben. Badawis Frau und Kinder leben inzwischen als Staatsbürger in Kanada.
    Die saudische Menschenrechtsaktivistin Samar Badawi im Jahr 2013
    Die saudische Menschenrechtsaktivistin Samar Badawi im Jahr 2013 (AFP /Scanfix Sweden / Anders Wiklund )
    Experte Cook: Saudi-Arabien schneidet sich ins eigene Fleisch
    "Wir haben kein Problem mit der Situation": Auch Außenministerin Freeland zeigt sich unbeeindruckt vom Protest der Saudis. Die wiesen nicht nur den kanadischen Botschafter aus und zogen ihren eigenen aus Kanada ab. Sie kappten auch ein Handelsabkommen zwischen beiden Ländern und alle neuen Wirtschaftspläne auch. Drängten ihre Staatsbürger, kanadische Anlagen abzustoßen. Stellten den Flugverkehr nach Kanada ein. Und pfiffen Tausende saudischer Studenten zurück, die mit Stipendien in Kanada sind. Auch Patienten, die sich dort behandeln lassen, mussten zurück. Damit schneidet sich das Königreich mehr ins eigene Fleisch, als es Kanada weh tut, meint Nahostexperte Cook:
    "Kanada ist eine große und robuste Wirtschaftsmacht. Es hat viele Rohstoffe - inklusive Öl. Die wirtschaftlichen Beziehungen zu Saudi-Arabien sind überschaubar. Es liegt für Kanada beim Handelsvolumen an 17. Stelle - noch hinter Ländern wie Taiwan oder der Schweiz. Gerade mal 0,2 Prozent machen kanadische Ausfuhren nach Saudi-Arabien aus. Kanadas Premier Trudeau hat von seinem Vorgänger jedoch ein Waffengeschäft mit Saudi-Arabien übernommen:
    "Die Kanadier beliefern Saudi-Arabien mit Panzerfahrzeugen im Wert von 13 Milliarden Dollar. Es gibt die Befürchtung, dass die Saudis diesen Vertrag canceln könnten. Aber dafür gibt es noch keine konkreten Anzeichen."
    Das Weiße Haus schweigt
    Zum Vergleich: Die USA haben mit den Saudis ein Waffengeschäft über 110 Milliarden Dollar besiegelt. Der kanadische Deal ist dagegen verschwindend klein. "Wir machen weiter", sagt Premier Trudeau, "konstruktiv und höflich". Und offenbar unbeirrt darüber, dass sich der große Nachbar USA nicht an Kanadas Seite stellt. Das Weiße Haus schweigt. Die Streithähne sollten doch selber sehen, wie sie zurechtkommen, so Sprecherin Heather Nauert: "Wir können es nicht für sie tun."
    Für Außenpolitik-Experten Cook wirkt es anders: Indem sich Washington enthält, stellt es sich automatisch auf die Seite der Saudis, meint er. Eine Retourkutsche vielleicht, für die Spannungen zwischen Präsident Trump und Trudeau. Cook:
    "Es gab Handelskonflikte über Zölle. Trump ist nach dem G7-Gipfel unglücklich zurückgeflogen. Und diese Regierung interessiert sich bislang nicht allzu sehr für Menschenrechte."
    Saudi-Arabien zumal ist der Trump-Regierung ein starker Partner geworden - im Konflikt mit dem Iran. Die kalte Schulter aus Washington nimmt Trudeau cool: Jedes Land müsse eben seine eigenen Entscheidungen treffen, wenn es um Diplomatie geht.