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El Sayed: Keine Zukunft mit Mursi

Streit, Demonstrationen, Mangel überall und keine Arbeit: Der ägyptische Reiseleiter Youssry El Sayed zieht eine erschreckende Bilanz nach einem Jahr mit Präsident Mohammed Mursi an der Macht. Statt der von Mursi versprochenen Wiedergeburt Ägyptens sei das Land jetzt 30 Jahre zurückgeworfen.

Youssry El Sayed im Gespräch mit Jasper Barenberg | 29.06.2013
    Jasper Barenberg: In der Hauptstadt Ägyptens am Telefon ist Youssry El Sayed, einmal hat er Ägyptologie studiert, arbeitet aber heute als Reiseleiter. Schönen guten Morgen!

    Youssry El Sayed: Guten Morgen!

    Barenberg: Als wie unruhig, als wie angespannt erleben Sie diese Tage in Kairo?

    El Sayed: Wir haben zurzeit also eine Krise im Land. Man kann in der heutigen Zeit sagen, dass überhaupt keine Ruhe im Land ist, also Streit überall, Demonstrationen überall. Wir haben so geplant oder wurde geplant, dass am 30. Juni, dann wird die große Demonstration sein gegen Mohammed Mursi, und hat schon gestern angefangen, eigentlich nicht nur gestern angefangen, sondern vor drei oder vier Tagen, nach diesem Tod von den vier Schiiten, die gestorben sind, dann hat die Unruhe angefangen. In der heutigen Zeit haben wir ... oder gestern war unwahrscheinliche Unruhe im Land, überall Demonstrationen in Ägypten, in jeder Stadt, Tote gab es schon auch. Also wir haben keine Ruhe in der Zeit.

    Barenberg: Was treibt die Menschen auf die Straße?

    El Sayed: Also die Hauptsache, was die Leute, was die Menschen, was die jungen Menschen auf der Straße wollen, dass der Mursi zurücktritt, oder wenigstens denn eine frühere Wahl, dass man sagte: Jetzt wählen wir Mursi oder nicht, haben wir Mursi oder nicht. Das ist, was die Leute wollen. Aber Mursi und seine Leute und vor allem die Muslimbrüder oder die Oberen von den Muslimbrüdern, die immer sagen, dass Mursi ist der legitime Präsident, der bleibt bis Ende seiner Zeit, und es gibt keine andere Wahl, wir müssen daran halten, und es gibt keinen Besseren als Mursi in der heutigen Zeit – und das ist natürlich die Sache, die die Leute ärgert. Also was heißt, wir müssen noch Mursi aushalten, drei oder vier Jahre, beziehungsweise drei Jahre jetzt, nachdem die ein Jahr lang gesehen haben, dass er nichts gemacht hat. Mursi hat alles nach unten gezogen. Also wenn man jetzt sieht, was Ägypten vor einem Jahr oder vor zwei Jahren, und wie Ägypten heute ist, da sieht man, dass Ägypten mindestens 30 Jahre zurückgeblieben ist.

    Barenberg: Woran merkt man das am meisten, Herr El Sayed?

    El Sayed: Wir merken das an alles. Wir haben tagtäglich, was wir haben, was wir brauchen, was wir kaufen, was wir lieben – also es gibt Mangel überall, also dass man fast keinen Strom hat, es gibt manche Dörfer, die tagelang keinen Strom haben, in den besten Gegenden, und meine ich jetzt wohlhabende Gegenden in Ägypten. Also eigentlich soll es überhaupt keinen Stromausfall geben. Da gibt es mindestens zwei, drei Mal Stromausfall am Tag sein, kann irgendwie zwei Stunden am Stück sein, kann sein, dass irgendwie drei oder vier Mal jedes Mal eine Stunde Stromausfall, Wasser ist wenig. Also natürlich, wenn kein Strom ist, dann fehlt auch Strom beziehungsweise an Wasserstationen, die Wasser pumpen, und dann haben die Leute kein Wasser. Wenn man sieht, wie der Müll auf der Straße liegt – wir leben fast im Müllhaufen überall. Es gibt kein ... Also Müllabfuhr gibt es, ja, klar, also von zu Hause, da kommen die Müllleute und nehmen den Müll von zu Hause. Aber der Müll überall auf der Straße, es ist nicht mehr schön.

    Wenn man schaut, wie die Sicherheit im Land ist: Polizei ist da, aber die Polizei ist auch nicht mehr in der Kraft, dass man sagt jetzt, wir leben in Sicherheit und die Polizei macht ihre Arbeit. Sie versuchen, aber es gibt keine Gelegenheit. Erst mal wurden angegriffen, also nicht angegriffen jetzt irgendwie mit Gewalt, sondern die werden ... oder die Muslimbrüder, die sagen immer, dass die Polizei ist nicht mehr fähig und wir versuchen, das wieder aufzubauen und wir versuchen, neue Polizei zu schaffen.

    Ich weiß nicht, was sie damit meinen, ob sie damit meinen, dass sie eigene Muslimbrüder-Polizei haben, oder meinen sie, dass die Polizei geändert wird beziehungsweise alle Polizisten müssen werden, das heißt, sein, und dann haben die auch keine anderen Polizisten.

    Und das heißt: Es gibt keine Sicherheit im Land. Es ist nicht mehr sauber, Müll fast überall auf der Straße liegt. Es ist beschämend, wie man über die Straße geht und da sieht man jeden Kanal sieht man auf der Straße irgendwie Müll an der Straße liegen, wenn man sieht, der Bauschutt überall, was die Leute irgendwie bauen und abbauen und so weiter, da kommt irgendwie am Rande der Straße der Müll, wenn man schaut, dass wir ... in der heutigen Zeit, wie die Frauen auch überall in Ägypten leben, die wurden unterdrückt, also so einen Fall haben wir seit ... nicht seit, also wir haben so was noch nie erlebt.

    Barenberg: Noch nie erlebt. Herr El Sayed, nun hat Präsident Mursi die Wiedergeburt Ägyptens versprochen. Wie klingt das heute in Ihren Ohren?

    El Sayed: Absolut lächerlich. Also Wiedergeburt, also ich weiß nicht, also behinderte Wiedergeburt, das kann man so sagen, aber Wiedergeburt, das auf keinen Fall, auf keinen Fall. Also wenn ich jetzt über mich persönlich spreche, ich arbeite im Tourismus, und ich arbeite auch als Reiseleiter oder Reiseführer und ich führe die Leute und ich mache das auch gerne. Und eigentlich, in meiner Führung versuche ich auch irgendwie, neutral zu sein, über das Land zu erzählen – aber heute kann ich nicht mehr neutral sein. Ich arbeite fast überhaupt nicht seit einem Jahr. In diesem Jahr habe ich einmal gearbeitet. Da können Sie sich vorstellen, wie ich jetzt lebe, und wie die Situation im Gesamtland ... und das ist nicht nur bezogen auf mich, sondern da sind ungefähr sieben oder acht Millionen Leute, die direkt und indirekt mit dem Tourismus leben, und diese Leute arbeiten heute nicht.

    Barenberg: Sagt Yousry El Sayed, live heute am Telefon in Ägypten. Vielen Dank für das Gespräch!

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.