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Digitalisierte Gesundheit
Elektronische Patientenakte: Selbstbestimmung häppchenweise

Die elektronische Patientenakte kommt: Die Bundesregierung hat den parlamentarischen Weg für deren Einführung freigemacht. Start ist der 1. Januar 2021. Doch Patienten können dann erst einmal nicht bestimmen, welche ihrer Daten unterschiedliche Fachärzte und Therapeuten sehen dürfen.

Von Peter Welchering | 07.04.2020
Digitale Patientenakte, Gesundheitskarte, Vivy-App (Symbolfoto)
Ärzte, die Befunde elektronisch erfassen und versenden, sollen dafür honoriert werden, den anderen drohen Honorarkürzungen (imago / Christian Ohde)
Ein Schnellschuss ist die elektronische Patientenakte auf keinen Fall. Immerhin wird seit 15 Jahren daran gearbeitet. Geht es nach dem Willen der Bundesregierung, wird die Patientenakte in der Digitalausgabe zum nächsten Jahreswechsel eingeführt. Die stellvertretende Sprecherin der Bundesregierung, Ulrike Demmer, erläutert die Ziele so:
"Ab dem 1. Januar 2021 werden die Krankenkassen die elektronische Patientenakte zur Verfügung stellen, die schrittweise weiterentwickelt und nutzbar gemacht wird. Ziel ist es, hier eine sichere, nutzerfreundliche und barrierefrei digital gestaltete Kommunikation zwischen Behandelnden und Patienten und Patientinnen zu ermöglichen und hierdurch die Abläufe im Patienten- und Behandlungsalltag zu vereinfachen."
Ärzte vermissen klare Schutzregeln
Laborbefunde, ärztliche Diagnosen und Behandlungsdaten sollen alle Ärzte, Physiotherapeuten, Apotheker, also alle sogenannten Leistungserbringer im Gesundheitswesen, sollen in die e-Akte sowohl die Rohdaten als auch die jeweilige ärztliche Bewertung eintragen. Doch nicht alles gleich zum 1. Januar 2021. Ulrike Demmer:
"Neben Befunden, Arztberichten und Röntgenbildern lassen sich ab dem Jahr 2022 auch der Impfausweis, der Mutterpass, das gelbe Untersuchungsheft für Kinder und das Zahn-Bonusheft in der elektronischen Patientenakte speichern. Klare Regeln für Datenschutz, Datensicherheit und datenschutzrechtliche Verantwortlichkeiten werden dafür sorgen, dass sensible Gesundheitsdaten wie Befunde, Diagnosen, Medikation und Behandlungsberichte bestmöglich geschützt werden."
Doch genau diesen Schutz der sensiblen Patientendaten vermissen viele Ärzte. Sie vermissen klare Schutzregeln und finden das Vorgehen der Bundesregierung überstürzt. So zum Beispiel Kai Peter Schlegel, niedergelassener Facharzt für Urologie:
"Man darf das Kind nicht mit Bade ausschütten. Und vor allem eins, es muss einfach geklärt sein: Wie wird diese Verbindung gesichert? Wer übernimmt dafür die Verantwortung?"
Honorarkürzung für Ärzte, die nicht mitmachen
Bei der Finanzierung will Spahn den Ärzten entgegenkommen. Wer Befunde elektronisch erfasst und versendet, soll dafür honoriert werden. Ärzten, die bei der Digitalisierung nicht mitmachen, droht eine Honorarkürzung. Der Arzt Kai Peter Schlegel hat seine Praxis trotzdem nicht an das Gematik-Netz anschließen lassen, über das auch die elektronische Patientenakte verwaltet werden soll. Er findet den TKI-Connector – das ist der spezielle Anschluss an das Gematik-Netz - zu unsicher.
"Bis vor kurzem wurden wir noch gehalten, unsere Arztpraxen-Dateien vom Netz fernzuhalten. Wir haben ein separates Intranet, wo die Dateien der Patienten komplett geschützt sind, wo man von außen nicht zugreifen kann. Das wurde eigentlich auch gut geheißen. Inzwischen ist das schlecht. Wir können den TKI-Connector gar nicht installieren, ohne diesen Weg in unser Intranet, wo die Dateien an sich sicher sind, freizugeben. Und letztlich ist eine Arztpraxis mit Sicherheit leicht zu knacken für jemanden, den das interessiert."
Tatsächlich droht der Datenschutz bei Einführung der elektronischen Patientenakte auf der Strecke zu bleiben. Vor allem wird es die Patientenkontrolle über die Dateneinträge in der e-Akte zum Einführungszeitpunkt nicht geben. Der Patient sollte nämlich die Möglichkeit haben, genau festzulegen, welche Daten die unterschiedlichen Fachärzte oder Allgemeinmediziner, Apotheker oder Therapeuten sehen dürfen. So möchte zum Beispiel ein Patient für seinen Zahnarzt die Diagnose seines Psychologen nicht unbedingt freischalten. Doch genau dieses Feature für die Datenhoheit der Patienten wird es erst einmal nicht geben. Das musste auch Hanno Kautz vom Bundesgesundheitsministerium auf hartnäckige Nachfrage einräumen.
Jeder kann auf alle Daten der Patientenakte zugreifen
"Am Anfang ist es in der Tat so, und das war ja die Kritik an der elektronischen Patientenakte. Das Ziel ist, dass das 2022 anders wird und man dann gezielt sagen kann: Die Patientendaten kann der Arzt sich angucken und nicht komplett."
Die Routinen, mit denen der Patient Daten aus seiner Akte für bestimmte Ärzte, Apotheker oder Therapeuten freischaltet, sind nämlich noch nicht fertig. Deshalb kann jetzt jeder auf alle Daten der Patientenakte zugreifen. Ärzte und Computerwissenschaftler fordern, dass das Gesundheitsministerium endlich genaue Sicherheitsanforderungen für den Umgang mit der elektronischen Patientenakte festlegt. Denn solange die fehlen, bleiben viele Patienten, aber auch Ärzte mit ihren Sicherheitsbedenken ziemlich hilflos zurück. Der von der Bundesregierung am 1. April 2020 vorgelegte Gesetzesentwurf lässt hier viel zu viele Fragen offen.