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Elementarschäden nach Hochwasser
Naturgefahren-Check fürs Haus

Mit den Schäden der Hochwasserkatastrophe werden die Betroffenen noch lange zu kämpfen haben. Derweil wird bundesweit daran gearbeitet, die Menschen in Zukunft besser zu schützen. Ein wichtiger Baustein dabei ist die Eigenvorsorge. Doch dafür bedarf es gründlicher Recherche vorab.

Von Moritz Lünenborg | 02.08.2021
Helfer und Anwohner räumen vor einem zerstörten Haus in Kirchsahr auf. Hochwasserkatastrophe in NRW am 20.07.2021.
Nach den extremen Schäden durch die Flutkatastrophe im Juli 2021 geht es individuell auch um die Einschätzung, wie hoch die Gefahr in der jeweiligen Lage ist (AFP / Christof Stache)
Auf der Webseite der Bundesanstalt für Gewässerkunde (bfg) kann man sich die Hochwassergefahren auf einer interaktiven Deutschlandkarte anschauen und auch gezielt nach Orten suchen.
"Geben wir mal meine Straße ein, das ist die Kochstraße. So, jetzt kann ich hier sogar zoomen – Wohnstraße – jetzt kann ich hier aber auf Anhieb nicht so richtig sehen… Da sind die Wassertiefen angegeben… Das trifft auf mich nicht zu, da habe ich Glück! Nichts!", sagt Matthias Sommer beim Ausprobieren der interaktiven Karte der bfg.
Die Menschen schauen in dem Ort im Kreis Ahrweiler nach dem Unwetter auf die Zerstörungen. Mindestens sechs Häuser wurden durch die Fluten zerstört.
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Umso dunkler das Blau, umso höher steht das Wasser bei einer möglichen Überflutung. Wenn der Wohnort nicht blau eingefärbt ist, ist das erst mal eine gute Nachricht. Es gibt auf den Hochwassergefahrenkarten aber noch weitere Voreinstellungen, die zu beachten sind, wie der Geschäftsführer des in Nordrhein-Westfalen ansässigen HochwasserKompetenzCentrums HKC, Georg Johann, erklärt:
"Da gibt es dann drei Szenarien, die man anschauen kann. Das sind so Experten spezifische Benennungen. Also eins heißt 'häufige Wahrscheinlichkeit'. Also nicht, dass das Hochwasser jetzt in zehn Jahren vorkommt. Sondern es ist so, dass es wahrscheinlich ist, dass das Hochwasser einmal in zehn Jahren vorkommt. Das ist so, wie wenn Sie sehs Mal würfeln und dann erwarten, dass eine Sechs kommt. Manchmal kommt dreimal eine Sechs und manchmal gar keine."
Dann gibt es das sogenannte mittlere Hochwasser, mit einer Wahrscheinlichkeit von einmal in hundert Jahren. Und es gibt das extreme Hochwasser, kurz HQextrem. Ob das extreme Hochwasser ein 200-jährliches Ereignis oder doch ein 1000-jährliches Ereignis ist, legt jedes Bundesland unterschiedlich fest.

Hochwasser, Starkregen, Grundwasser

Hydrologe Georg Johann: "Je nachdem wie man das wählt, wird auch die Karte blauer und es ist sicherlich auch am Anfang dieser Erarbeitung der Hochwassergefahrenkarten eine politische Entscheidung gewesen, welches HQextrem man denn jetzt eigentlich wählt."
Angenommen der eigene Wohnort ist auch bei einem HQextrem nicht blau eingefärbt, ist das erstmal eine gute Nachricht, dann ist die Internetrecherche trotzdem noch nicht vorbei. Es muss eine zweite Karte gesucht werden. Nämlich die Starkregenkarte. Auf dieser werden die Bereiche angezeigt, die nach einem Starkregenereignis unter Wasser stehen würden. Die Starkregenkarten werden von den Kommunen mit Unterstützung der Bundesländer erstellt.
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Einige veröffentlichen diese Karten gut zugänglich im Internet, wie zum Beispiel Köln oder Leipzig, berichtet Hydrologe Georg Johann und "es gibt andere, die haben das, aber veröffentlichen das nicht und sagen, der einzelne Hausbesitzer, oder die Hausbesitzerin natürlich, muss bei uns anrufen und dann bekommt er/sie die Information. Und das hat damit zu tun, dass eventuell Bauwerte oder Bodenwerte sinken, wenn die in einer blauen Fläche dargestellt sind."
Ganz ähnlich ist es auch mit der dritten Karte, die ebenfalls Auskunft gibt, wie stark gegen Wasser im Haus vorgesorgt werden sollte. Die Rede ist vom Grundhochwasser, vor dem auch die Verbraucherzentralen eindringlich warnen. Durch Hochwasser verändert sich nämlich die Fließrichtung des Grundwassers. Anstatt zum Fluss hin, strömt es unterirdisch Richtung Land. Tückischerweise kann es auch Wochen nach einem Hochwasser auftreten und weit entfernt von Flüssen die Kellerräume fluten. Nur wenige Kommunen informieren einfach zugänglich im Internet über diese Gefahr. Meist müssen Hausbesitzer im Rathaus anfragen, um die Informationen zu bekommen.
Georg Johann vom HochwasserkompetenzCentrum: "Ich kann verstehen, wenn Menschen, die in Verantwortung sind für ihre Kommune, ihre Kommune ungern in solchen Karten als Hochwasser oder Starkregengefährdet dargestellt sehen wollen möchten. Und auf der anderen Seite muss ich ja aber meine Bürger aufklären. Ich habe eine Informationspflicht als Kommune."
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Johann fordert, den Zugang zu diesen Karten flächendeckend zu verbessern, und zwar gut und verständlich aufbereitet. Das sieht Oliver Hauner vom Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft ähnlich. Die mit Steuergeldern erhobenen Daten müsse der Staat selbstverständlich zur Verfügung stellen.
"Gleichwohl ist es so, dass die Anforderungen, in welcher Form das zu geschehen hat, sehr undefiniert sind. Es gibt eine europäische Richtlinie, die heißt 'Inspire' und die sagt im Grunde genommen aus: "Ihr müsst die Daten zur Verfügung stellen." Aber Art und Weise, Umfang und Zugänglichkeit sind da nicht im Detail geregelt."

Ein deutschlandweites Register ist dringlich

Die Versicherungsunternehmen orientieren sich ihrerseits am brancheneigenen "Zonierungssystem für Überschwemmung, Rückstau und Starkregen", kurz genannt ZÜRS. Damit teilen Versicherer Gebiete in verschiedene Gefährdungsklassen ein. Der Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft, GDV, hat ZÜRS entwickelt und die darin vorhandenen Karten zuerst zum Teil öffentlich gestellt, dann aber wieder gesperrt. Oliver Hauner vom GDV erklärt, warum das System nicht mehr zugänglich ist:
"Die darin enthaltenen Daten und Informationen, die gehen weit über das hinaus, was man für eine erst Risikoeinschätzung als Privatperson braucht. Dementsprechend ist das für Privatpersonen auch sehr schwer bedienbar und verständlich. Aus diesem Grund plädieren wir ja auch dafür, dass es sowohl von Seiten der öffentlichen Hand als auch von uns ein ganz neues System gibt, nämlich ein Naturgefahrenportal, was einfach und verständlich für die Bürgerinnen und Bürger zur Verfügung steht."
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Wasser liegt jedoch hauptsächlich in der Kompetenz der Bundesländer sowie der Kommunen. Das macht in manchen Teilen Sinn. Ein deutschlandweites Wassergefahrenregister zu erstellen, wird jedoch dadurch erschwert, meint Oliver Hauner vom GDV:
"Auf Bundesebene gibt es eigentlich keinen Zuständigen dafür, nach unserer föderalen Struktur. Gleichwohl bedarf es aber einer Institution, eines Ministeriums, einer Oberbehörde, die bei einem nationalen Naturgefahrenportal die Klammer bildet."
Georg Johann vom HochwasserKompetenzCentrum HKC glaubt, dass die Flutkatastrophe vom Juli 2021 den Verantwortlichen vor Augen geführt hat, wie dringlich ein deutschlandweites Register ist. Es geht bei den Informationen zu Gefährdungen durch Wasser nicht nur um verschiedene Versicherungseinstufungen.
Hydrologe Georg Johann: "Also, dass automatisch alle Keller volllaufen, wenn Starkregen ist, dass muss überhaupt nicht sein. Da gibt es zum Beispiel Rückstauklappen oder Rückstausicherungen, damit das Wasser aus dem Kanalnetz nicht in Ihr Haus kommt. Und eigentlich nach Bauvorschrift müsste das auch jeder haben. Der Witz ist der, dass es bisher nicht so notwendig war, weil diese extremen Ereignisse eben selten stattfanden. Das fand schon statt, aber eben nicht so oft. Darum hat man sich überlegt, ob man sein Geld in sowas investiert."
Auch könnten Bürger und Bürgerinnen Kellerfenster mit druckdichten Fenstern absichern. "Da gibt es verschiedenste Möglichkeiten. Auch wenn man durch südeuropäische Länder geht, die ja diese Starkregenproblematik schon seit Jahren haben, kann man sich da abschauen, wie die Kellerfenster gesichert sind. Die sind da nämlich gesichert."
Wenn das Oberflächenwasser jedes Mal höher steigt, braucht es zudem größere Maßnahmen wie druckdichte Türen. Schutz vor Grundhochwasser hingegen hängt mit der Bauweise des Kellers zusammen.
Hydrologe Georg Johann erklärt, am besten sei eine sogenannte weiße Wanne, also ein Keller aus Beton. Es gehen aber auch schwarze und braune Wannen, die außen Bitumen oder Ton haben. Diese baulichen Maßnahmen nachträglich vorzunehmen und den Keller wasserdicht zu bekommen seien aber schwer, sagt Georg Johann. Wichtig seien aber erst einmal gut zugängliche und einfach verständliche Informationen über Gefahren durch Hochwasser, Starkregen und Grundhochwasser.