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Elitenexperiment für Europa

Forschungspolitik. - Grundlagenforschung ist in der europäischen Forschungsförderung bislang schlecht weggekommen. Doch inzwischen hat auch die EU eingesehen, dass ohne Grundlagenforschung die Basis für technologische Entwicklungen fehlt. Der Europäische Forschungsrat soll jetzt diesen Teil der Wissenschaft fördern und sich dabei – ein Novum für Europa – allein um die Qualität der Forschung kümmern.

Von Michael Lange | 23.02.2007
    In Brüssel haben traditionell Bürokraten und Politiker das Sagen, auch wenn es um Forschungsförderung geht. In diesem Jahr wird sich das ändern. Nun dürfen Wissenschaftler entscheiden, wer förderungswürdig ist und wer nicht, zumindest in der Grundlagenforschung. Dazu wurde der Europäische Forschungsrat, European Research Council, ERC, gegründet.

    "Ich glaube, dass der europäische Forschungsrat auch das Eingeständnis ist, dass die bisherige Forschungspolitik der Europäischen Union zu wenig innovativ war."

    So die Grüne Europa-Abgeordnete Hiltrud Breyer. Ihrer Ansicht nach hat die Brüsseler Bürokratie immer wieder neue Forschungstrends verschlafen. Das Geld aus Europa ging deshalb oft an die Nachzügler, und nicht an die wirklich innovativen Köpfe. Die Folge ist nun: Eine freiwillige Entmachtung des Brüsseler Apparates zugunsten eines Zirkels anerkannter Wissenschaftler. Ganz nach dem Vorbild der Deutschen Forschungsgemeinschaft DFG. Erster Generalsekretär des ERC wird denn auch der langjährige DFG-Präsident Ernst-Ludwig Winnacker.

    "Das ist nicht von ungefähr, dass man sich an dem Erfolgsmodell DFG orientiert hat,"

    erklärt Annette Doll-Sellen. Sie vertritt die DFG und die deutschen Hochschulen in Brüssel,

    "der Ehrgeiz ist auch, dass die ganze Bürokratie etwas leichtfüßiger wird, dass der Aufwand nicht ganz so groß ist, wie in den klassischen Projekten. Wir müssen jetzt sehen, wie sich das, was man sich in Brüssel vorgenommen hat, jetzt in den nächsten Monaten und Jahren in die Realität umsetzt. Wird das wirklich ein attraktiver, wettbewerbsfähiger Mechanismus, in dem sich die Besten Europas wirklich messen?"

    Der ERC soll eine Champions-League werden für Europas Wissenschaft. So lautet auch das erklärte Ziel von Forschungskommissar Janez Potocnik. Obwohl er nun an Einfluss verliert, hat er sich stets für den ERC ausgesprochen:

    "”Wir haben entschieden, dass 14 Prozent des Geldes für Forschung direkt an die Wissenschaft geht. Wissenschaftler entscheiden allein, wer dieses Geld bekommen wird. Niemand sonst: Nicht die Kommission, nicht der Ministerrat und nicht das Parlament darf mitreden, wie dieses Geld verteilt wird.""

    Das heißt: von den über sieben Milliarden Euro, die Europa pro Jahr für Forschung ausgibt, wird der ERC nach einer Anlaufphase etwa eine Milliarde jährlich erhalten. Das Geld wird nicht an internationale Großprojekte fließen, sondern direkt an junge Spitzenforscher. Diese Idee fand Zuspruch auch im Europäischen Parlament. Jorgo Chatzimarkakis, liberaler Abgeordneter aus dem Saarland:

    "Man geht ab von Netzwerkförderung, wie das früher der Fall war, wo man den Alibi-Griechen brauchte oder heute den Alibi-Slowenen oder Esten, sondern es wird zu einer Exzellenz-Förderung des Wissenschaftlers selbst kommen. Denn wir können Top-Talente nur dann in Europa halten, wenn wir die Top-Leute auch extrem fördern."

    Eines ist schon jetzt abzusehen: Beim Wettbewerb um die Mittel sind Forscher aus Ländern, die in der Weltspitze dabei sind, im Vorteil. Nationen, deren wissenschaftliche Infrastruktur weniger ausgeprägt ist, haben geringere Chancen. Solche Kritik hat auch EU-Kommissar Janez Potocnik bereits vernommen, aus seinem Heimatland Slowenien.

    "”Wer von den Mitgliedsstaaten am Anfang nicht mit dabei ist, sollte nicht den Forschungsrat kritisieren. Er soll sich vielmehr überlegen: Was muss ich selbst tun, damit ich in Zukunft auch an der Spitze dabei bin? Wir haben ausreichend Fördermittel, die solidarisch an die Schwachen gezahlt werden. Es muss auch Geld für Spitzenforschung da sein. Da darf nicht jeder Mitgliedsstaat fragen: Bekommen wir das eingezahlte Geld auch zurück?""

    Janez Potocnik fordert ein neues Denken in Europa. Nach dem Motto: Wenn die besten Wissenschaftler Europas auch international an der Spitze stehen, hilft das auch den Schwächeren.

    Mehr zur Forschung in Europa finden Sie in der Werkstatt Europa.