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Elternkurse auf dem Prüfstand

Triple-P ist vor 30 Jahren in Australien entwickelt worden und liefert Techniken für einen positiven Erziehungsstil. Zahlreiche Studien belegen die Wirksamkeit. Nun wird das neuste Programm, Triple-P für Babys, in Deutschland getestet.

Von Doris Arp | 11.04.2013
    Die Babyerziehung mit Programm
    Die Babyerziehung mit Programm (Jan-Martin Altgeld)
    "Kinder lernen auch erst, was ist eine Grenze. Das heißt, das Kind muss auch erst mal lernen, das ist ein Spielzeug und das ist kein Spielzeug. Das heißt, das finde ich super, wenn du das machst und das finde ich nicht so gut, wenn du das machst."

    Klar, einfach, konsequent – zwei junge Psychologinnen erklären einer Gruppe werdender Eltern das Erziehungsprogramm Baby-Triple-P. Es ist der jüngste Spross eines vor rund 30 Jahren an der University of Queensland in Australien entwickelten Erziehungsprogramms. Im Laufe der Jahre folgten Programme für Jugendliche und für Kinder mit einer Behinderung. Jetzt erprobt das Team der Klinischen Kinder- und Jugendpsychologie der Universität Bochum unter der Leitung von Professorin Silvia Schneider erstmals die Wirksamkeit des Baby-Triple-P. Je nach Ergebnis wird das Erziehungsprogramm dann wohl auch in Deutschland auf den Markt kommen.

    "Triple-P steht für einen englischen Begriff, das Positive Parenting Programm. Das heißt, es geht darum, Eltern Kompetenzen in positiver Erziehung beizubringen, die letztendlich abgeleitet sind aus Grundlagenforschung. Es geht darum, Eltern darin zu stärken, dass sie wissen, wie gehe ich mit dem Verhalten des Kindes um, das positiv ist, erwünscht ist."

    "Da muss man die Stimme gar nicht laut werden lassen. Da hilft auch, wenn man sagt Nein oder Stopp"
    "Aber da sind diese Alltagssituationen. Man ist selber gestresst von der Arbeit. Und da ist man nicht immer der liebe Papa und da wird man auch mal laut, das ist doch ganz klar."

    Damit Alltagsstress gar nicht erst eskaliert und Eltern ihr Verhalten besser kontrollieren lernen, sind in den letzten Jahren viele Präventionskonzepte gegen Kindesmisshandlung entwickelt worden. Das australische Erziehungstraining reagiere zudem auf eine erheblich gestiegene Zahl psychischer Erkrankungen in der Bevölkerung, erklärt die Bochumer Psychologin. Je nach Studie geht man von 17 bis 27 Prozent psychischer Störungen bei Kindern und Jugendlichen aus.

    "Wenn man diese Forschungsergebnisse zusammenfasst, dann wird klar, dass psychische Gesundheit, psychische Störung, sehr früh beginnen und dass wir erste Vorläufer schon im ersten Lebensjahr finden. Und aus diesen Forschungsergebnissen ist dann die Idee entstanden, dass man auch schon sehr früh Eltern unterstützen sollte, gerade auch dieses erste Jahr gut bewältigen zu können. Und wir wissen auch, dass Eltern, die zum ersten Mal Eltern werden sehr unsicher sind, was ist meine richtige Art und Weise mit dem Kind umzugehen."

    Kinder kommen ohne Gebrauchsanleitung auf die Welt und gerade Paare, die zum ersten Mal Eltern werden, haben oft wenig oder gar keine Erfahrung mit Säuglingen. Wenn die dann auch noch besondere Probleme machen, viel schreien, schlecht essen oder unruhig schlafen werden Paare extrem gefordert.

    "Oh ja, auf jeden Fall. Es gibt Phasen, wenn sie viel erlebt hat, dass es schwierig ist. Aber dadurch, dass wir Tag und Nacht getrennt haben – tagsüber schläft sie hier im Bett und nachts schläft sie im Schlafzimmer - und das hilft dem Kind zu lernen, wann Tag und wann Nacht ist."

    Der 37-jährige Biologe Christian Schulz hat gemeinsam mit seiner damals hochschwangeren Frau den ersten Baby Triple-P-Kurs an der Ruhr-Universität Bochum gemacht. Vor rund fünf Monaten wurde seine Tochter Anna geboren.

    "Wir haben uns immer das rausgepickt, was gerade in der Situation hilfreich ist. Ich fand schön, dass es einen großen Überblick über verschiedene Themen gibt. Zum Beispiel, wie man ein kleines Baby puckt und dass es hilfreich sein kann beim Schlafen. Das haben wir auch ausprobiert und es hat auch gut funktioniert."

    Die Trainerin hat an die Kursteilnehmer schlackernde Babypuppen in rosa Schlafanzügen verteilt, jeder bekommt ein Tuch, etwas dicker als eine Stoffwindel und dann darf gepuckt werden. Diese Ganzkörperwickeltechnik beruhigt Babys sagen Befürworter. Es engt ihren natürlichen Bewegungsdrang ein und könne im Sommer zu einer gefährlichen Überhitzung führen, warnen Kritiker. Wie so oft in Erziehungsfragen gibt es viele gegensätzliche Meinungen. Die wenigsten sind wissenschaftlich belegt, sagt Professorin Silvia Schneider:

    "Es gibt durchaus Programme, die ähnlich sind. Es gibt aber sehr große Unterschiede darin, wie die sich bemüht haben um einen empirischen Nachweis. Es gibt kein anderes Programm, das so gut untersucht ist und zwar weltweit und in Bereichen, wo es ganz schwer ist, auch Nachweis zu finden, dass es einen Effekt hat."

    In rund 140 Studien sei nachgewiesen, dass Triple-P ein wirksamer Ansatz ist, erklärt die Bochumer Psychologin. Gerade bei Säuglingen mit sogenannten Regulationsstörungen wie extensives Schreien, Ess- und Schlafproblemen hoffen die Wissenschaftler auf Wirkung.

    "Was neu ist, dass wir wissen, dass es eine Vorläuferfunktion für spätere Verhaltensauffälligkeiten hat. Also ein Kind, das extensiv schreit, sieben Stunden am Tag schreit, von dem Kind wissen wir, dass es ein höheres Risiko hat eine Aufmerksamkeitshyperaktivitätsstörung zu entwickeln. Weil es mit Regulation zu tun hat. Das sind Kinder, die tun sich schwer in neuen, aufregenden Situationen sich runter zu regulieren. Das hat was mit Aufmerksamkeitsfokussierung zu tun. Das ist das, was dann Sinn macht, frühzeitig zu helfen, besser mit solchen Regulationsproblemen umzugehen."

    Vier Kurse á zwei Stunden werden im Rahmen der Studie den künftigen Eltern angeboten. Dazu bekommen sie eine Handreichung mit den wichtigsten Informationen zu Säuglingen, ihrem Verhalten und positiven Erziehungstechniken. Nach der Geburt gibt es vier ausführliche Telefongespräche mit den Psychologen, um herauszufinden, was bei den Eltern vom Kurs angekommen ist.

    "Sehr hilfreich. 70 Prozent der Sachen, die man dort lernt, findet man auch in guten Ratgebern, es ist einfach schön, dass man kompetente Personen hat, mit denen man über das Thema diskutieren kann. Mit einem Buch kann man schlecht diskutieren, man nimmt einfach auf."

    Baby-Triple-P steckt noch in der Erprobungsphase. Die klinische Psychologin Silvia Schneider plant nach dieser Vorstudie eine breiter angelegte Untersuchung, die sich dann auch gezielt an Risikogruppen wie Alleinerziehende und Teenagerschwangere wenden soll.

    "Das ist ja, finde ich, auch eine Stärke von Triple-P, dass die sehr pragmatisch sind. Wenn man in Australien sieht, was alles mit Triple-P gemacht wird. Vom Commercial, der im Fernsehen gezeigt wird für fünf Minuten Erziehungstipps im Alltag, bis hin kurz und knapp, so gehst du mit der Situation um, ohne akademisch vorher großartig zu erklären, warum und weshalb. Das ist ja, glaube ich, gerade für bildungsferne Familien, was sie auch leichter zugänglich macht für solche Erziehungshilfen. Und Erziehungshilfe sind sinnvoll. Das wissen wir von den wenigen Studien, die es weltweit gibt, dass die Frühintervention sich lohnt."