Dienstag, 19. März 2024

Archiv

Elternzeit
Vom Job in die Pausenlosigkeit

Jungen Eltern ermöglicht unsere Gesellschaft oft Auszeiten vom Arbeitsleben. Trotzdem haben viele Eltern das Gefühl, zu viel um die Ohren zu haben. Der Schriftsteller Leander Scholz sagt: Eltern-Sein ist Arbeit. Er fordert ein politisches und gesellschaftliches Umdenken.

Von Burkhard Schäfers | 04.04.2019
Ein Junge auf einem Spielplatz
Sich um seine Kinder zu kümmern ist Arbeit - gleichzeitig kann man von ihnen lernen, wie man Pause macht (imago stock&people)
"Die Elternzeit sieht erst mal nach einer Pause aus, weil man ja was aufhört. Es ist klar, dass ich mich von dem beruflichen Rhythmus verabschieden muss und es kommt ein ganz neuer Rhythmus auf mich zu. Das ist auf jeden Fall ein Merkmal von Pause, aber die Elternzeit selber habe ich nicht als Pause erlebt", sagt der Schriftsteller Leander Scholz.
Eineinhalb Jahre kümmert er sich – während seine Frau arbeitet – um seinen Sohn, wickelt und füttert ihn, verbringt die Tage mit dem Baby. Seine Erfahrungen hat er in einem Buch festgehalten: "Zusammenleben – Über Kinder und Politik".
"Der will sich drücken"
Was bei Müttern meist als selbstverständlich angesehen werde, sei bei Vätern die Ausnahme: Dass sie für ihre Kinder die Fürsorge übernehmen. Scholz ist Buchautor und Wissenschaftler an der Universität Weimar, beschäftigt sich mit Philosophie, Kulturforschung und Politik.
Der verbreitete Eindruck, sagt er, sei: Wenn ein Mann in Elternzeit geht, nimmt er sich eine Pause: "Es gibt natürlich so etwas wie eine offizielle Gratulation, also dass alle sagen, sie finden das toll. Aber gleichzeitig wird auch – und das ist bei Männern eben doch noch anders als bei Frauen – das so verstanden, dass es eine Absage an die eigene berufliche Tätigkeit ist. Das wird einem nicht so offen gesagt, aber es wird so geurteilt. Man sieht es so: Der will jetzt mal eine Auszeit haben, der will nicht weitermachen, der will sich drücken."
Elternzeit als Lücke im Lebenslauf
Zahlreiche Kollegen hätten seine Entscheidung so verstanden, als habe er eine Wahl zwischen Karriere und Familie getroffen. Denn eigentlich seien Frauen traditionell aufs Haus festgelegt, Männer darauf, das Haus zu verlassen.
Leander Scholz im März 2018
Leander Scholz ist Philosoph, Autor und Vater (© Goetz Schleser )
Elternzeit als Lücke im Lebenslauf: Leander Scholz hat nicht unterrichtet, keine Konferenzen besucht, keine Aufsätze veröffentlicht, nicht in die Rentenversicherung eingezahlt. Klingt schwer nach Pause. Aber der Kulturwissenschaftler sagt: In seiner Elternzeit habe er täglich gearbeitet – ohne Urlaub, ohne krank werden zu dürfen, die Tage länger, die Freizeit kürzer: "Zeit mit einem kleinen Kind zu verbringen, ist eigentlich recht pausenlos. Die psychische Aufmerksamkeit ist viel, viel höher, weil die Bedürfnisse, die man befriedigen muss, keinen Aufschub dulden. Es ist nicht Pause im Sinne von: Jetzt mache ich mal Freizeit. Das wird zwar oft gesagt, wenn man in Elternzeit geht, Kollegen, Kolleginnen denken dann oft: Och, der hat es jetzt gut, der zieht sich zurück, hat den Stress, den man im beruflichen Alltag hat, nicht mehr. Aber das ist ein Irrtum."
"Sich um Kinder zu kümmern ist Arbeit"
Die Elternzeit ist eine Unterbrechung im Berufsleben. Das allein betrachtet Scholz aber noch nicht als Merkmal von Pause. Er fordert: Mehr Anerkennung für jene Art von Arbeit, die häufig unsichtbar bleibt – die wenig gilt, weil sie nicht mit Geld vergütet wird.
"Sich um Kinder zu kümmern ist wunderbar, aber es ist Arbeit. Nur weil wir Arbeit allein als Erwerbsarbeit definieren, heißt es nicht, dass die anderen Dinge nicht auch Arbeit sein können. Es ist eine Arbeit, die sehr befriedigend sein kann. Sie unterscheidet sich sehr vom Rhythmus und den Verhaltensweisen, den Ergebnissen von dem, was wir Berufsarbeit nennen, aber ich würde sie als Arbeit klassifizieren."
Ökonomie statt Familie
Dass Zeit für die Familie von vielen als Freizeit betrachtet wird, hänge auch mit der Familienpolitik zusammen. Hausfrauen und Hausmänner würden eher als rückständig betrachtet. Anerkannt seien vor allem Eltern, die beruflich erfolgreich sind und trotzdem Kinder großziehen. Politische Programme, um Beruf und Familie besser zu vereinbaren, zielten auf mehr Zeit fürs Arbeiten ab, nicht auf mehr Zeit für die Familie.
"Heute ist es oft so, dass beide arbeiten müssen, vielleicht auch wollen. Das führt aber dazu, dass die Familienarbeit zusätzlich obendrauf kommt. Es interessiert vor allen Dingen, dass beide dem Arbeitsmarkt zur Verfügung gestellt sind. Das klingt wie Familienpolitik, aber häufig hat es ganz ökonomische Gründe und es geht nicht um die Familien. Es wäre eine echte Emanzipation gewesen, wenn man sagen würde: Natürlich ist es gut, dass beide arbeiten und es ist auch gut, dass beide in der Familienarbeit involviert sind, aber dass man Modelle findet, dass beide 70 Prozent oder andere Formen der Arbeitsteilung haben."
Die Unternehmen tragen Verantwortung
Viele Eltern kennen das Gefühl, zerrissen zu sein zwischen Kindern, dem Partner und den Erwartungen von Chefs und Kollegen.
"Was ich extrem wichtig fände wäre, wenn die Arbeitswelt nicht mehr verleugnen würde, dass Arbeitnehmer Eltern sind. Dass sie auch andere Verpflichtungen haben. Viele geben gewissermaßen mit dem Morgen ihr Elternsein ab. Das fängt schon damit an, dass Verpflichtungen, die man eben hat - ein Kind ist krank, oder man muss früher nach Hause, oder man kann Abendtermine nicht wahrnehmen -, dass die nur ganz wenig Berücksichtigung finden am Arbeitsplatz."
Illustration einer Geschäftsfrau mit Baby und Kinderwagen, die unter einem Liniendiagramm telefoniert.
Familie und Beruf miteinander zu vereinbaren ist noch immer schwer (imago / Ikon Images)
Es gibt Unternehmen, in denen Konferenzen spätestens um 15 Uhr enden, die ausreichend Plätze in der Betriebs-Kita haben. Und in denen Beschäftigte relativ flexibel kommen und gehen können – solange sie ihre Aufgaben schaffen. Auch die Politik hat in Sachen Teilzeit, Elterngeld und Anspruch auf Kita-Betreuung in jüngerer Zeit einiges getan. Damit berufstätige Eltern besser ausbrechen können aus permanenter Pausenlosigkeit.
"Kinder sind eine Art Widerstand"
Zugleich können Kinder dabei helfen, eine andere Perspektive zu gewinnen. Auch das merkte Leander Scholz in seiner eineinhalb Jahre dauernden Elternzeit: Erwachsene leben in anderen Zeitwelten als kleine Kinder. Die nehmen sich ihre Pausen dann, wenn sie sie brauchen.
"Kinder bleiben stehen, wenn man sich beeilen muss. Oder auf dem Weg entdecken sie plötzlich was. Es gibt ganz viele Ablenkungen, die wir als Erwachsene als Ablenkung empfinden, die aber für Kinder oft eine eigene und sehr starke Logik haben, weil sie sich sehr viel stärker von Momenten und plötzlichen Geschehnissen fesseln lassen."
Vielleicht können daraus für den getakteten Homo oeconomicus unerwartete Momente der Muße werden. Plötzliche, aber willkommene Pausen.
"Kinder sind insofern natürlich auch eine Art Widerstand gegen dieses Fortkommen. Man merkt erst, was man selber auch sehen kann, wenn man sich darauf einlässt, was Kinder sehen und wahrnehmen."
Leander Scholz: "Zusammenleben" - Über Kinder und Politik"
Hanser Verlag, 160 Seiten, 19 Euro