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Embryoauswahl per Zeitraffer

Die Präimplantationsdiagnostik ist bisher die einzige Möglichkeit, mit der herausgefunden werden kann, ob Embryonen fehlerhafte Chromosomen in ihren Zellen tragen. Britische Forscher haben eine neue Methode geschaffen. Dabei werden Zeitrafferaufnahmen der Embryoentwicklung im Brutschrank analysiert.

Von Lucian Haas | 03.06.2013
    Eine der maßgeblichen Ursachen dafür, dass nach einer künstlichen Befruchtung eine erfolgreiche Schwangerschaft ausbleibt, sind Störungen im Erbgut der Embryonen. In deren Zellen können zu viele oder zu wenige Chromosomen enthalten sein. Im Fachjargon heißt dieser Zustand Aneuploidie. Leider lässt er sich an den Embryonen nicht einfach so erkennen. Alison Campbell, Embryologin am reproduktionsmedizinischen Zentrum Care Fertility im britischen Nottingham:

    "Aneuploide Embryos sehen aus wie normale Embryos. Wenn wir sie unwissentlich in die Gebärmutter einer Frau einsetzen, kommt es aber in den meisten Fällen erst gar nicht zu einer Schwangerschaft. Am zweithäufigsten sind frühe Fehlgeburten. Und in seltenen Fällen werden auch Kinder mit Chromosomenstörungen geboren, etwa dem sogenannten Down-Syndrom. Deshalb versuchen wir, so gut es irgend geht, die Übertragung von aneuploiden Embryos zu vermeiden."

    Um eine Chromosomenstörung bei den künstlich befruchteten Embryonen sicher auszuschließen, gibt es bisher nur eine Möglichkeit: die Präimplantationsdiagnostik. Dafür werden dem Embryo in einem frühen Entwicklungsstadium Zellen entnommen und genetisch untersucht. Alison Campbell und Kollegen entwickelten eine neue Methode, die ohne solche Eingriffe und ethisch umstrittene Gen-Analysen auskommt. Sie basiert auf dem Embryoscope. Das ist ein spezieller Brutschrank für Embryonen, in dem ein automatisches Mikroskop samt Videokamera integriert ist. Alle zehn Minuten nimmt es Bilder der Embryonen auf. Zusammen ergeben sie eine Zeitrafferaufnahme von deren Entwicklung.

    "Damit haben wir ein durchgängiges Monitoring. Wir können auf einem Bildschirm die Embryonen beobachten, ohne sie aus dem Brutschrank nehmen zu müssen. Wir können die Bilder als Video anschauen, anhalten, zurückspulen, genau untersuchen. Das liefert uns viel mehr Informationen als wir früher hatten."

    Alison Campbell fand anhand der Zeitrafferbilder heraus, dass Embryonen, die nachweislich aneuploid sind, sich zeitlich etwas anders entwickeln als normale Embryos. In den ersten drei Tagen nach der Befruchtung verläuft von außen gesehen noch alles gleich. Doch am vierten Tag zeigen sich feine Unterschiede: Zu diesem Zeitpunkt beginnt der anfänglich kompakte, junge Zellhaufen einen Hohlraum auszubilden. Er wird zur sogenannten Blastula. Aneuploide Embryonen hängen bei dieser Entwicklung hinterher – bis zu mehrere Stunden im Vergleich zum Durchschnitt normaler Embryonen. Alison Campbell entwickelte ein Modell, mit dem sich anhand solcher Abweichungen von der Norm die Wahrscheinlichkeit von Chromosomenstörungen in die Kategorien hoch, mittel oder niedrig einteilen lässt.

    "Das bietet uns eine nicht-invasive Möglichkeit, Embryonen nach ihrem Risiko einer Aneuploidie zu klassifizieren. Das wird sicher nie zu 100 Prozent genau sein wie bei einer Zellbiopsie und Gentests. Aber ich denke, dass wir diese Risiko-Klassifizierung mit mehr Daten und mehr Erfahrung weiter verfeinern können. Da bleibt noch viel Spielraum für Verbesserungen.”"

    Schon jetzt bringt die Methode nachweisbar Vorteile. In einer Studie untersuchte Alison Campbell die Erfolgsquote von 88 In-Vitro-Fertilisationen ohne Gentests. Diese setzte sie ins Verhältnis zum Aneuploidie-Risiko der eingesetzten Embryonen, das sie rückblickend aus vorhandenen Zeitrafferaufnahmen ermittelte.

    ""Wir fanden heraus, dass die Embryos mit einer niedrigen Risikoklassifizierung eine signifikant höhere Implantations- und Lebend-Geburten-Rate haben als der Rest der Embryos. In Relation zum Durchschnitt stieg die Geburtenrate um 56 Prozent, wenn wir nur Embryos mit einem als gering ermittelten Risiko betrachten."

    Die neue Methode eignet sich zur routinemäßigen Vorauswahl von Embryonen und könnte helfen, dass Frauen bei In-Vitro-Fertilisationen seltener Misserfolge erleben müssen. Und sie könnte auch für solche Länder eine Option darstellen, in denen die genetische Präimplantationsdiagnostik aufgrund ethischer Bedenken verboten oder wie in Deutschland nur in Sonderfällen erlaubt ist.