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Emine Sevgi Özdamar: "Ein von Schatten begrenzter Raum"
Ein Leben in der Kunst

Im August feierte Emine Sevgi Özdamar ihren 75. Geburtstag. Nun hat die in der Türkei geborene und in Berlin lebende Schriftstellerin ihren ersten Roman seit siebzehn Jahren vorgelegt – ihre Lebensbilanz.

Von Christoph Schröder | 17.10.2021
Emine Sevgi Özdamar: "Ein von Schatten begrenzter Raum" Zu sehen ist das Buchcover und ein Foto, auf dem drei Krähen auf einem Ast sitzen
Emine Sevgi Özdamar: „Ein von Schatten begrenzter Raum“ (Cover: Suhrkamp Verlag / Foto: Addictive Stock / Juan Lopez)
Die Krähen können sprechen. Und auch die Mosquitos. Zumindest auf jener Insel im ägäischen Meer, auf der sich die Ich-Erzählerin zu Beginn dieses Romans aufhält. Sie muss eine Entscheidung treffen, doch das fällt ihr schwer, denn ihr gehen tausende Gedanken durch den Kopf. Sie denkt an ihre Eltern, an ihre Großeltern, an das komplizierte Verhältnis, das zwischen Türken und Griechen herrscht. Die Insel Lesbos ist in Sichtweite. Dort drüben, so sagt ihr ein Mann, sei Europa, dort werde es niemals dunkel.
Die Erzählerin hat die Türkei schon einmal verlassen; sie ist nach Deutschland gegangen, hat dort gearbeitet, um nach kurzer Zeit zurückzukehren. In der Türkei ist sie Schauspielerin geworden, hat dort Erfolge am Theater gefeiert, und ist nun erneut im Begriff, wegzugehen. Sie will und muss fort, weil ihr die politischen Verhältnisse und die damit verbundenen Repressionen keine Wahl lassen.

Visionäre Vögel

Gedichte des Schriftstellers Turgut Uyar kommen ihr in den Sinn; Gedichte, die um Fremdheit und Erinnerung kreisen. Die Zweifel, die Angst, ihre Angst werden zu Gedankenschleifen. Es sind Fixierungen einer Intellektuellen, einer erfolgreichen Künstlerin, die spürt, dass die Psyche immer fragil ist, dass kein Applaus schützt. Die Krähen auf der Insel, auf der sie sich aufhält, erscheinen ihr als dunkle Visionäre, als seien sie Boten ihres künftigen Schicksals – das sie in Deutschland erwartet:
"Schau, die Frauen unserer Landsleute sind in Berlin Putzfrauen. Und auf einer deutschen Bühne ist eine türkische Frau eine türkische Frau, und eine türkische Frau ist eine Putzfrau. Das ist die tägliche Realität. Du kannst in Deutschland am Theater nur als Putzfrau Karriere machen."
Die türkische Frau als Putzfrau in Deutschland ist eines der Leitmotive, um die Emine Sevgi Özdamars Roman immer wieder kreist, in aller Ernsthaftigkeit, trotz zahlreicher ironischer Volten. Ihr Lebensthema, das auch diesen Roman prägt, ist der Spagat zwischen geografischer Heimatlosigkeit und einem Beheimatetsein in der Kunst. Beides ist auf komplexe Weise miteinander verwoben.
"Min", so nennt der Regisseur Benno Besson die Ich-Erzählerin, ist in ihren Lebensdaten identisch mit der Schriftstellerin Özdamar, doch hat die Schriftstellerin selbst einmal in einem Interview betont, dass das "Ich" ihrer Romane einen permanenten Wechsel vollzieht zwischen autobiografischem Schreiben auf der einen und literarischer Inszenierung auf der anderen Seite.

Befreiender Putzakt

In der Autobiographie Özdamars verbürgt ist ihr Auftritt in Thomas Braschs Theaterstück "Lieber Georg" am Schauspielhaus Bochum. Dorthin hatte der Regisseur Matthias Langhoff Özdamar 1979 geholt. Claus Peymann – seinerzeit der große Vordenker des bundesrepublikanischen Theaters – wurde im gleichen Jahr Intendant in der Zechen- und Arbeiter-Stadt.
Ohne Vorwarnung und spontan tritt Özdamar zur Überraschung aller in den Proben zu Braschs Stück als schwangere Putzfrau, mit Tuch auf dem Kopf und Eimer in der Hand, auf die Bühne – eine Rolle, die nicht im Stück steht. Sie beginnt, den Boden zu wischen und bringt die Schauspieler damit aus dem Konzept. Langhoff ist begeistert von der Improvisation und integriert Özdamars Auftritt in seine Inszenierung. Auf diese Weise erfüllt sich so Jahre später die Prophezeiung der Krähen auf der Insel doch noch, gleichzeitig aber konterkariert Özdamar das Putzfrauenklischee und wandelt es in einen Befreiungsakt um. Auf der Premierenfeier umarmte Thomas Brasch Özdamar für ihre Idee.
Solche Augenblicke, in denen in denen Rück- und Querverweise in der Chronologie plötzliche Erkenntniskurzschlüsse hervorbringen, gibt es immer wieder in Özdamars Roman. Noch einmal zu den sprechenden Krähen auf der ägäischen Insel: Sie sind es auch, die vor dem Aufbruch der Erzählerin nach Europa einen der zentralen Gedanken des Romans gleich zu Beginn formulieren:
"Du kannst in Europa vielleicht auch berühmt werden, vielleicht Schauspielerin oder Schriftstellerin, aber du wirst keine Ruhe finden. Sie werden dich loben und schreiben, dass du die Pionierin der türkischen Künstler bist, dass du eine Brücke zwischen der Türkei und Deutschland bist, dass du die einzige emanzipierte Türkin bist, dass du das beste Beispiel der Integration bist."

Pendelverkehr zwischen Staaten

"Ein von Schatten begrenzter Raum" ist der Roman einer Identitätserforschung. Die Ich-Erzählerin kommt nach West-Berlin und arbeitet in einem Pendelverkehr zwischen den deutschen Staaten an der Ost-Berliner Volksbühne als Regieassistentin bei ihrem Mentor Benno Besson. Seit ihrer Ankunft in Deutschland lebt sie in der permanenten Furcht der freien Künstlerin vor einer zweifachen Vereinnahmung und Etikettierung:
Auf der einen Seite ist es die Angst, vom offiziellen Deutschland als Symbolfigur einer gelungenen Integrationspolitik instrumentalisiert zu werden. Zum anderen aber wird auf sie permanent der exotisierende Blick geworfen, ein Blick, der die Ich-Erzählerin zu einem orientalischen Klischee macht und die exzellente Kennerin europäischer Theater- und Filmgeschichte, die sie ist, ebenso ignoriert wie ihre avancierte Formensprache.
Ihre Volksbühnen-Zeit ist bereits Thema in Özdamars Roman "Seltsame Sterne starren zur Erde". Die Berlin-Beschreibungen gehören auch im neuen Roman zu den eindrucksvollsten Passagen. Wenn die Ich-Erzählerin durch das "Kriegsinvalidenberlin", so nennt sie es, läuft, hört sie das Schweigen der Täter ebenso laut wie die Stimmen der Opfer, während sich die Angehörigen ihrer eigenen Generation verbiestert an den Nachkriegsvätern abarbeiten. Benno Besson eröffnet der Ich-Erzählerin einen Ausweg aus dem destruktiven deutschen Klima:
"Du bist noch sehr jung, du kannst in ein anderes Land, in eine andere Kultur kommen. Man darf nicht zu lange in Deutschland bleiben. Das ist nicht gut. Rette dich vor Deutschland. Ich werde in Paris und Avignon von Brecht den Kaukasischen Kreidekreis inszenieren. Komm, arbeite mit mir. Deutschland erholt sich nicht so schnell von Hitler."

Dialog mit Lebenden und Toten

Emine Sevgi Özdamars neuer Roman macht es seinen Lesern nicht immer einfach. Das wird vor allem auf jenen etwa 200 Seiten deutlich, die vom Aufenthalt der Protagonistin in Paris erzählen. Hier stehen das Redundante und das immer wieder bestechend Gelungene nah beieinander. Der Roman hat einen episodischen Aufbau. Die einzelnen Szenen sind in sich geschlossen und in einer filmischen Montagetechnik miteinander verzahnt. Zugleich aber hat Özdamar ganz offensichtlich auch einen dokumentarischen Anspruch, und es bedarf tatsächlich eines gewissen Durchhaltevermögens, um all die Details, all die Namen, all die Orte und Begegnungen, die die Ich-Erzählerin memoriert, zu goutieren.
Emine Sevgi Özdamar hat noch einmal den großen Anlauf genommen, um Bilanz zu ziehen und um das libertäre Lebensgefühl der 1970er-Jahre spürbar werden zu lassen. Die Ich-Erzählerin führt einen imaginären Dauermonolog mit der verstorbenen Chansonnière Édith Piaf, mit Bertolt Brecht, mit vielen toten und mit einigen noch lebenden Dichtern. So übervoll der Roman auch manchmal erscheint, so wirkungsvoll erweist sich eben diese Überfülle im Hinblick auf die Heraufbeschwörung eines Lebenszustandes, in dem eine Symbiose von Kunst, politischem Denken Sinnlichkeit greifbar scheint.

Ein Terrorakt

Die Erkenntnis, dass dieser Zustand aus heutiger Sicht unrettbar verloren ist, ist in der Erzählhaltung des Romans reflektiert. Özdamar schreibt nicht im Tonfall der Unmittelbarkeit, sondern vom ernüchterten Standpunkt der Gegenwart aus. Erzähltechnisch höchst raffiniert ist ihr Verfahren, Gegenwart und Vergangenheit abzugleichen und in der Rückschau Visionen von einst zu formulieren:
"Zwei Dschihadisten werden in das Gebäude der Satirezeitschrift Charlie Hebdo eindringen, die Künstler, einen Veranstalter, eine Psychiaterin und einen Personenschützer mit einem Sturmgewehr töten, vorher ihre Namen rufen. In diesen Tagen wird ein türkischer Journalist, der in Istanbul selbst in Angst vor Islamisten lebt, schreiben: ‚IST DIE WELT EINE HÖLLE?‘ Aber jetzt, siebenunddreißig Jahre früher, sah das Leben in Paris so aus, als ob die Hölle hier eine Pause gemacht hätte."

Die Bücher von Marx

Die Geschichtserkundung dieses Romans wechselt umstandslos zwischen Weltgeschichte und persönlichen Erfahrungen. Das politische Geschehen in der Türkei hat die Erzählerin permanent im Blick, gespiegelt auch in den Berichten ihrer Eltern am Telefon. Zugleich aber trifft sie auch in Europa immer wieder auf Menschen, deren Leben von Grausamkeiten und historischen Verwerfungen entscheidend geprägt wurde. So kommt die Ich-Erzählerin in Paris, wohin sie Benno Besson gefolgt ist, zunächst bei Efterpi unter, einer Frau, die sie in den 1960er-Jahren in Istanbul kennengelernt hat. In Efterpis Biografie spiegelt sich die politische Zerrissenheit ihres Herkunftslandes:
"Efterpi war zwei Jahre alt, als ihr Vater und ihre Mutter mit einem Tag Unterschied getötet wurden. Efterpi wurde dann nach Istanbul zu der Schwester ihres Vaters gebracht. Der Ehemann ihrer Tante hatte in seiner Bibliothek Bücher von Marx. Als in einer Nacht 1955 nationalistische Türken die Läden, die Kirchen, die Friedhöfe der Istanbuler Griechen und Juden zertrümmerten, emigrierten Efterpis Onkel und Tante mit ihr nach Griechenland."

In der Sprache wohnen

Istanbul, Berlin und Paris, das sind die Koordinaten, zwischen denen sich die Figuren in "Ein von Schatten begrenzter Raum" bewegen. Die Eltern der Erzählerin in Istanbul, bedroht von der Militärregierung in den späten 1970er Jahren; die Zäsur des Militärputsches in der Türkei, die Libertinage der Pariser Existenz; Kunst, Surrealismus, Freiheitsversprechen – all das fließt jetzt, Jahrzehnte später, im Bewusstsein der Erzählerin zusammen.
Daraus entsteht ein Muster aus Bewegung, Austausch, Kreativität. Rein praktisch stellt sich immer wieder die Frage: Wo kann ich leben? Wo bin ich zuhause? Auffällig sind die Offenheit, die Freundlichkeit, die Hilfs- und Gesprächsbereitschaft, mit der die Menschen sich begegnen. Die Frage nach der Wohnung ist aber zugleich auch eine philosophische, möglicherweise gar metaphysische.
Ihre Französischkenntnisse eignet sich die Protagonistin erst nach und nach an. Die Existenz, die sie führt, ist durch und durch provisorisch. Sie, die Türkin, die deutsches Theater macht und in Paris gestrandet ist, wohnt, wie sie selbst immer wieder anmerkt, in den kleinen Dingen und in den Augenblicken, in einer gerauchten Zigarette, in einem Lächeln, in einem Film, den sie soeben gesehen hat, in einem Gedicht, das sie gelesen hat. Auch das ist ein starkes, immer wiederkehrendes Motiv des Romans.

Sie schrie die Wörter

Die künstlerische Entwicklung der Erzählerin ist eng verbunden mit einem Echoraum aus Sprachen, aus dem sich ein eigenes, unverwechselbares Sprechen herausbilden wird:
"Ich schrie laut Wörter, als ob ich mich der französischen Sprache bekanntmachen wollte, damit sie mir sagt: ‚Du kannst in mir wohnen, hier ist deine Aufenthaltserlaubnis, votre carte de sejour.‘ Dann würde mich die französische Sprache fragen: ‚Ou habitez-vous, Madame?‘ ‚Wo wohnen Sie, Madam?‘ ‚Ich wohne in einer blinden Sprache.‘"
Jahre später fährt die Protagonistin mit dem Zug von Bochum, wo sie seit 1979 lebt und arbeitet, in die Türkei. In ihrem Abteil sitzen zunächst zwei türkische Gastarbeiter, in Österreich steigen zwei Jugoslawen zu, später auch Griechen, schließlich zwei weitere Türken; ältere Männer, die die Särge ihrer bei einem Autounfall verunglückten Kinder nach Hause transportieren. Dieser Augenblick ist eine Epiphanie und der Moment, in dem die Idee für den Tonfall von Özdamars erstem Theatertext "Schwarzauge in Deutschland" geboren worden sein könnte:
"Die Toten in den Särgen, wir zu acht im Zugabteil, die gemeinsame Sprache Deutsch. Es entstand fast ein Oratorium, die Fehler, die wir in der deutschen Sprache machten, waren wir, wir hatten nicht mehr als unsere Fehler. Diese Sprache, ja, mit dieser Sprache sollte ich mein Theaterstück schreiben, dachte ich."
"Ein von Schatten begrenzter Raum" ist kein durchweg gelungenes und schon gar kein perfekt durcherzähltes Buch, obwohl die vermeintliche Instabilität der Chronologie einem exakten Plan zu folgen scheint. Der Roman ist einerseits reich an eindringlichen Szenen, zum anderen aber bildet er auch Kontinuitäten ab, die sich in der Literatur nachfolgender Generationen von transkultureller Literatur immer wieder finden lassen. Zu ihnen gehört ein Gefühl der Schuld, des Ungenügens und der Druck, mehr leisten zu müssen, um Daseinsberechtigung zu haben.

Materialsammlung und Scham-Stück

Als die Arbeiten mit dem Theaterregisseur Benno Besson in Paris abgeschlossen sind und sich im Leben der Erzählerin Leerlauf und Unproduktivität einstellt, fällt sie ein unüberwindliches Gefühl der Scham an:
"Die Schamstücke liefen hinter mir, vor mir, ich rief das Theater an, ob sie für mich einen Job hätten. ‚Nein, noch nicht.‘ Die Schamstücke flogen durch den Telefonhörer, manche flogen durch die kleinen Löcher hinein. Jeden Tag wurden die Schamstücke mehr und mehr."
Im Januar 1979, Chomeini ist soeben aus dem Pariser Exil zurück in den Iran gereist, endet die Pariser Episode. Die Erzählerin braucht Arbeit und sie braucht Geld. Also nimmt sie das Angebot ihres früheren Schauspiellehrers aus Istanbul an, mit ihm gemeinsam in Berlin ein türkisches Theaterprojekt zu entwickeln. Daraus soll ein Stück entstehen, das die Lebenswirklichkeit türkischer Einwanderer in Deutschland darstellen soll. Eine Kopfgeburt, die sich in einer heillosen Materialsammlung niederschlägt, die zu sichten wiederum zu den Aufgaben der Erzählerin gehört:
"Den Raum Nummer 18 musste ich aber täglich betreten, von Assistenten oder anderen Personen gebrachte neue Zeitungsausschnitte empfangen und sie auf einen Platz legen. Der Raum 18 war wie ein Krebsgeschwür. Das Ausländerproblem wuchs und wuchs zum Krebsgeschwür und wuchs und wuchs in Raum 18 weiter. Aber welche Wahrheit sollte in den Materialien stecken?"

Gut für das Volk

Zugleich betreibt sie aber auch aktive Feldforschungen. Eine der komischsten Szenen des Romans ist das Gespräch mit einem wohlmeinenden Richter, der der Erzählerin im Rahmen des so genannten Türkenprojekts ein Interview gibt. Dabei verfällt er in ein grotesk fehlerhaftes Deutsch, das die Artikel weglässt und von dem er selbst glaubt, die ihm gegenübersitzende Ausländerin würde es dadurch besser verstehen. Ihr Kollege am Theater beschreibt dieses Idiom, das in den 1980er-Jahren tatsächlich sehr oft zu hören war, als eine spezielle Form der deutsch-türkischen Folklore – die Sprache zerbröckele im Dienst der Nächstenliebe:
"Staat denkt, wenn wir Ausländer nicht in Gesellschaft einpflanzen, gut für unser Volk. Deutsche müssen lernen, mit Ausländern leben."
Das letzte Drittel von "Ein von Schatten begrenzter Raum" ist in seiner Struktur sprunghaft und steuert, nach der Erzählung einer so absurden wie leidenschaftlichen Liebesgeschichte mit einem etwas lächerlichen Mann, den man heute toxisch nennen würde, auf ein Trauma der Schriftstellerin Emine Sevgi Özdamar zu. Dieses Trauma ist wiederum eng verknüpft mit der Furcht vor der Folklorisierung ihrer Arbeit, der Banalisierung ihres Schaffens im Dienst einer gelungenen Integrationserzählung.

Plagiatsvorwurf unter Kollegen

Im Jahr 2006 erscheint "Leyla", ein Roman des in der Türkei geborenen und in Deutschland lebenden Schriftstellers Feridun Zaimoglu, Erfinder der "Kanak Sprak" und ausdrücklicher Bewunderer von Özdamars Werk. Literaturkritiker wie auch verschiedene Literaturwissenschaftler sehen in "Leyla" derart auffällige Parallelen zu Özdamars "Karawanserei"-Roman, dass der Verdacht des Plagiats kaum von der Hand zu weisen ist.
Pikanterweise veröffentlichte Zaimoglu seine Bücher seinerzeit noch im selben Verlag wie Özdamar selbst. Die Verteidiger des gut vernetzten Schriftstellers Zaimoglu, dessen Name nicht genannt wird, argumentieren, die Überschneidungen erklärten sich dadurch, dass Özdamar in ihrem "Karawanserei"-Roman auf einen allgemein zugänglichen orientalischen Bildvorrat zurückgegriffen habe. Mit dieser Argumentation negierten sie Özdamars originäre künstlerische Leistung und degradierten sie zu dem, was sie nie sein wollte – eine Exotin aus dem Morgenland.
Zum Ende von "Ein von Schatten begrenzter Raum" kehren die Krähen als Gesprächspartner zurück, und die Autorin muss einräumen, dass sie mit ihren Prophezeiungen auf düstere Weise recht behalten haben:
"Stellt Euch vor, Krähen, nach 16 Jahren, 2006, passierte etwas. Und in Folge dieses Geschehens wurde in den Zeitungen wochenlang debattiert. Journalisten und Germanisten stritten darüber, was türkisch an diesem Roman ist."
Die Gegenfrage der Krähen:
"Was haben Sie gedacht, als man Ihr geistiges Eigentum auf das Türkische reduzierte?"

Radikalisierung statt Aufbruch

Es gibt mehrere nächtliche Szenen in Emine Sevgi Özdamars Roman, in denen Menschen von den Schatten, die die künstliche Beleuchtung wirft, einerseits zunehmend in ihrem Bewegungsradius eingeschränkt, von der Dunkelheit geradezu bedrängt werden, jedoch andererseits die Konturen ihrer Gesichter dadurch schärfer zutage treten. Die gesamte Szenerie und die Menschen in ihr erfahren ihre Belebung erst durch den Kontrast.
Das ist ein treffendes Bild für den gesamten Roman. Die Eltern der Ich-Erzählerin sind tot. Religiöser Fanatismus und politische Radikalisierung haben das Aufbruchsgefühl der früheren Jahre verdunkelt. Der Geschichtsoptimismus ist vorüber. "Ein von Schatten begrenzter Raum" mag ein erzählökonomisch problematisches, von Redundanzen nicht freies Buch sein. Doch tritt in diesem Roman das Profil einer bemerkenswerten Künstlerin für ihre Leserinnen und Leser nun umso markanter hervor.
Emine Sevgi Özdamar: "Ein von Schatten begrenzter Raum"
Suhrkamp Verlag, Berlin, 764 Seiten, 28 Euro.