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Emissionen durch Reiseverhalten
Ökologischer Fußabdruck des globalen Tourismus wächst weiter

Der Ausstoß klimaschädlicher Treibhausgase durch den weltweiten Tourismus ist einer neuen Studie zufolge größer als bisher angenommen. Klimaforscher und Studienautor Manfred Lenzen sagte im Dlf, man müsse damit rechnen, dass die Ausstoß-Zahlen weiterhin steigen - auf 6,5 Milliarden Tonnen Treibhausgase im Jahr 2025.

Manfred Lenzen im Gespräch mit Uli Blumenthal | 08.05.2018
    Ein Flugzeug hinterlässt Kondensstreifen vor einem blauen und wolkenlosen Himmel.
    Der Transport im Reiseverkehr hat einen hohen Anteil am CO2-Ausstoß - nicht nur der Flug, auch Bahn und Mietwagen spielen eine große Rolle (picture-alliance / dpa / Frank Rumpenhorst)
    Uli Blumenthal: Der Ausstoß klimaschädlicher Treibhausgase durch den weltweiten Tourismus ist einer neuen Studie zufolge größer als bisher angenommen. Forschende der University of Sydney beziffern ihn auf rund acht Prozent der globalen Treibhausgasemissionen. Frühere Untersuchungen gingen davon aus, dass die Tourismus-Branche für zwei bis drei Prozent der weltweiten Treibhausgasemissionen verantwortlich ist. Hauptautor der Studie im Fachjournal "Nature Climate Change" ist Professor Manfred Lenzen vom Zentrum für Nachhaltigkeitsforschung an der Universität in Sidney, mit dem ich jetzt telefonisch verbunden bin.
    Herr Professor Lenzen, wie kommt diese erstaunliche Diskrepanz Ihrer Studie zu vorherigen Studien zustande? Wo liegen die Ursachen oder auch die Gründe?
    Manfred Lenzen: Der Hauptunterschied zwischen den Resultaten in unserer Studie und denen in vorherigen Studien liegt darin, dass wir die Zulieferketten des Tourismus mit berücksichtigt haben in unserer Fußabdruckrechnung. Das sind zum Beispiel Emissionen aus dem Eisenerz- und Bauxitabbau und der Metallverarbeitung, die dann in den Fahrzeugbau einfließen und vor dort zum Fußabdruck von Fluglinien oder Busunternehmen oder Bahnlinien beitragen.
    Und ein zweiter Grund ist, dass wir außer dem Kohlendioxid, dem CO2, auch Methan und Stickstoffoxid mit berücksichtigt haben. Das sind auch Treibhausgase, die waren in den bisherigen Studien nicht mit einbezogen. Und der dritte Grund ist, dass wir einen erweiterten Rahmen in unserer Studie annehmen, das heißt, wir berücksichtigen auch zum Beispiel Shopping, also Einkäufe von Souvenirs und auch die Verpflegung während des Urlaubs.
    Blumenthal: Auf welcher Datenbasis konnten Sie das machen? Welche Datenbasis liegt dieser Studie zugrunde, die ja so umfassend ist, wie Sie es beschrieben haben?
    Lenzen: Es gibt zwei Datenbasen, die dieser Studie zugrunde liegen. Das erste ist eine, und da muss ich zuerst auf Englisch sagen, eine Multiregional Input- and Output-Datenbasis. Diese Art der Analyse heißt auf Deutsch Volkswirtschaftliche Verflechtungsanalyse. Das ist ein etwas langes Wort. Aber diese Analyse ermöglicht es, für jedes Produkt im Prinzip die ganzen Zulieferketten zu quantifizieren. Und die Analyse ist also nicht neu, diese Analyseart, aber wir haben in unserer Studie das erste Mal auf den weltweiten Tourismus angewendet. Die Emissionsdaten kommen von der EDGAR-Database. Es sind im Prinzip alles öffentlich zugängliche Daten. Die Neuigkeit in unserer Studie ist, dass wir diese beiden Datenbanken zusammengeführt haben und auf den globalen Tourismus angewandt haben.
    "Im Wesentlichen durch reiche Länder"
    Blumenthal: Früher ist man davon ausgegangen, zwei bis drei Prozent der weltweiten Treibhausgasemissionen durch den Tourismus. Sie sagen jetzt in der aktuellen Studie, acht Prozent. Wie viel ist das in absoluten Zahlen ausgedrückt?
    Lenzen: Wir haben den Fußabdruck für die Jahre 2009 bis 2013 berechnet, und da liegt der Fußabdruck zwischen 3,9 und 4,5 Milliarden Tonnen CO2.
    Blumenthal: Und wer oder was verursacht jetzt den größten Anteil, wer ist der Hauptverursacher?
    Lenzen: Die Hauptverursacher hängen sehr stark davon ab, wen Sie jetzt betrachten, also in welchem Land gereist wird und wer reist. Tourismus ist im Wesentlichen eine Angelegenheit, die sich in reichen Ländern abspielt und von reichen Bürgern unternommen wird. Und hier ist es ganz klar der Transport. Also nicht nur Flug, sondern auch anderer Transportarten wie zum Beispiel Bahn oder Mietautos spielen da eine ganz große Rolle, das ist etwa die Hälfte des Fußabdrucks.
    Wenn Sie jedoch in Schwellenländer jetzt gehen - auch dort wird gereist, weniger zwar als in entwickelten Ländern - dort geht der Anteil des Flugtransports ganz klar zurück, und es sind mehr die Emissionen, die in der Herstellung von Konsumgütern oder von Nahrungsmitteln anfallen, wichtig.
    Fußabdruck durch Tourismus wird sich erhöhen
    Blumenthal: Macht es einen Unterschied, ob ich in ein einkommensstarkes oder in ein einkommensschwaches Land als Reiseziel reise als Tourist? Gibt es da Unterschiede in meiner CO2-Bilanz?
    Lenzen: Erst mal hängt es nicht so sehr von der Identität des Landes ab, wo Sie hinfahren. Es hängt eher von dem Energiesystem des Landes ab, das Sie besuchen. Wenn Sie zum Beispiel in ein Land führen, wo es sehr viel Wasserkraft gibt, wie zum Beispiel Brasilien, dann können Sie erwarten, dass Ihr Fußabdruck niedriger ist, als wenn Sie in ein Land fahren wie Australien, wo noch sehr viel Strom mit Kohle hergestellt wird. Natürlich spielt auch die Tourismusinfrastruktur eine Rolle. Wenn zum Beispiel in dem Land, das Sie besuchen, sehr viele Touren angeboten werden und ein sehr gutes Transportnetz existiert, das führt natürlich im Grunde genommen dazu, dass mehr Möglichkeiten bestehen. Und ich denke, die werden im Endeffekt auch genutzt.
    Blumenthal: Wie ist Ihre Analyse eigentlich? Mit wachsendem Wohlstand erhöht sich der Treibhausgasausstoß durch die touristischen Reisen exponentiell, überproportional? Oder wie sehen Sie die Entwicklung in den nächsten Jahren?
    Lenzen: Wir haben herausgefunden, dass die Nachfrage nach Tourismus sehr elastisch ist. Mit anderen Worten, stellen Sie sich vor, Ihr Einkommen erhöht sich um zehn Prozent. Dann erhöht sich Ihre Nachfrage nach Tourismus um mehr als zehn Prozent. Je wohlhabender die Herkunftsländer der Reisenden sind, desto mehr wird gereist und desto höher ist auch der Kohlenstofffußabdruck. Und das ist insofern besorgniserregend für die Zukunft, als wir wissen, dass der globale Wohlstand sich allgemein erhöhen wird. Und wenn wir davon ausgehen, dass das Reisen oder dass Konsum im Allgemeinen mehr erlebnisbezogener wird und dann das Reisen bei vielen Bürgern auch nach ganz oben in der Liste der Möglichkeiten der Selbstverwirklichung rutscht, dann müssen wir erwarten, dass der Fußabdruck des globalen Tourismus sich erhöht. Und wir schätzen das so auf 6,5 Milliarden Tonnen im Jahr 2025. Das sind unsere Prognosen.
    Blumenthal: Wer sind denn die größten Verursacher im weltweiten Ranking beim Treibhausgas CO2 unter den Reisenden weltweit? Wo liegt Deutschland?
    Konsumgüter haben hohen Anteil
    Lenzen: Im absoluten Maß gesehen ist die USA, China und Deutschland auf den Plätzen eins, zwei und drei. Wenn man nun pro Kopf rechnet, da sind relativ gesehen die Kanadier, die Niederländer, Dänen, Schweizer und auch die Deutschen ganz weit oben.
    Blumenthal: Kann ich aus Ihrer Studie heraus eigentlich so eine Interpretationshilfe ableiten für Urlauber und für die Urlaubsplanung, eine Art Baukastensystem, indem ich sage, eine Woche Urlaub in Südamerika oder in Asien oder in Afrika, da ist, den Flug erst mal ausgenommen, der CO2-Fußabdruck als Tourist so und so groß. Ist das so praktisch anwendbar, was Sie in der Studie zusammengestellt haben?
    Lenzen: Ich denke mal, eher nicht. Wir haben auch zum Beispiel gesehen, dass das Reiseverhalten von Leuten aus entwickelten Ländern wie zum Beispiel Deutschland oder Australien ganz anders ist als das Reiseverhalten von Leuten aus Schwellenländern. Insofern kann man also keine allgemeinen Aussagen treffen. Es hängt wirklich davon ab, wo Sie hinfahren und was Sie von Ihrem Urlaub erwarten. Wollen Sie sehr mobil sein, oder sind Sie damit zufrieden, an einem Platz zu verweilen? Muss es fern sein, oder kann es nahe sein? Es hängt sehr stark davon ab.
    Blumenthal: Wenn man das Fliegen mal rausnimmt, kann es sein, dass mein CO2-Fußabdruck größer ist, wenn ich in Deutschland Urlaub mache, als wenn ich beispielsweise nach Frankreich oder nach Spanien fahre?
    Lenzen: Das ist eine interessante Frage. Generell ist Frankreichs Wirtschaft weniger (Redaktionelle Anmerkung: Audio ist hier unverständlich) als Deutschlands Wirtschaft. Das hängt natürlich mit dem großen Anteil der Kernkraft in Frankreich zusammen. Insofern, ich brachte eben das Beispiel von Brasilien, da ist die Wasserkraft sehr hoch. Also das spielt mit Sicherheit eine Rolle. Aber ich glaube, dass der größere Einfluss im Konsumverhalten des Reisenden liegt. Die Frage ist zum Beispiel, verbinden Sie das Reisen mit Shopping oder nicht. Verbrauchsgüter haben einen überraschend hohen Anteil des Fußabdrucks eingenommen in unserer Studie.
    Blumenthal: Gibt es eine kleine Falle in Ihrer Studie? Berechnen Sie, wenn Sie mich als Touristen sehen, die Nahrungsaufnahme, den ganzen Verbrauch im Tourismus im Zielland, aber müssten eigentlich doch auch rausrechnen, was ich in Deutschland beispielsweise dann nicht verbrauche. Oder zählen Sie da doppelt?
    Lenzen: Das ist richtig. Im Prinzip müsste man das so berechnen, dass man den Unterschied zwischen dem Verhalten am Reiseziel und zu Hause berechnet. Erst einmal ist das sehr schwierig, weil es die Daten des Konsumentenverhaltens für den jeweiligen Heimatort für die meisten Länder gar nicht so gibt. Ein anderer Punkt ist aber auch sehr wichtig, spielt eine Rolle in diesem Zusammenhang, und das ist, dass wenn die Nahrungsmittelaufnahme in einem anderen Land passiert als zu Hause. Insofern ist das ein CO2-Transfer zwischen dem Reiseziel und Ihrem Heimatland. Die Emissionen entstehen in dem Land, wo - die Emissionen entstehen am Reiseziel, werden aber im Fußabdruck dem Land zugewiesen, aus dem der Reisende kommt. Das ist insofern wichtig mit zu berücksichtigen, weil es gibt Reiseziele, die sind sehr stark vom Tourismus in Anspruch genommen, und zwar zum Beispiel kleine Inselstaaten. Und es gibt dort Situationen, wo die territorialen Emissionen von solchen Ländern zum Großteil durch die Emissionen der Touristen verursacht werden oder von der Nachfrage der Touristen verursacht werden letztendlich. Und dazu gehört auch die Nahrungsmittelaufnahme.
    "Auf anderen Gebieten Emissionen einsparen"
    Blumenthal: Herr Professor Lenzen, wo sehen Sie den wissenschaftlichen Wert und auch die Bedeutung der Studie, die Sie jetzt im Fachmagazin "Nature Climate Change" publiziert haben?
    Lenzen: Wir denken, dass unsere Studie zuerst einmal eine Berechnungsgrundlage für den Fußabdruck des globalen Tourismus erstellt hat. Man muss jetzt weiter sehen, was für Schlüsse daraus gezogen werden können. Es ist auf jeden Fall klar, dass Maßnahmen am Urlaubsort, die jeweils die Hotels oder Tourismusinfrastruktur weniger kohlenstoffintensiv macht, nur einen begrenzten Einfluss haben können. Es ist ganz klar, dass es ohne eine Änderung des Reiseverhalten es eigentlich keine signifikante Reduktion des Kohlenstofffußabdrucks zu erwarten.
    Blumenthal: Denken Sie da in erster Linie und vor allem an das Fliegen, oder gibt es auch noch andere Emissionsquellen, die Sie dann im Auge haben?
    Lenzen: Letztendlich ist es dem globalen Klima oder der Natur egal, wodurch wir Treibhausgase emittieren. Für Bürger, denen das Reisen sehr wichtig ist, die können natürlich auch auf anderen Gebieten CO2 einsparen. Es hängt im Grunde genommen von der Gesamtreduktion ab. Man kann jetzt nicht sagen, man muss auf jeden Fall weniger fliegen oder weniger Autofahren. Es kommt da auf die Gesamtemissionen an, und ich denke, das muss jeder und jede für sich selbst beantworten.