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Emnid-Chef: Protestwähler könnten bei der AfD landen

In den letzten zwei Wochen vor der Bundestagswahl komme es unter anderem auf die Protestwähler an, sagt Klaus-Peter Schöppner, Chef des Meinungsforschungsinstituts Emnid. Sie gingen dorthin, wo sie den Etablierten am meisten schaden können.

Klaus-Peter Schöppner im Gespräch mit Christine Heuer | 05.09.2013
    Christine Heuer: Die Ausgangslage von Rot-Grün vor der Bundestagswahl, die besprechen wir jetzt, und zwar mit Klaus-Peter Schöppner, Geschäftsführer beim Meinungsforschungsinstitut Emnid. Guten Tag, Herr Schöppner!

    Klaus-Peter Schöppner: Ich grüße Sie, guten Tag!

    Heuer: Peer Steinbrück wirkt ja viel fröhlicher seit dem TV-Duell. Ist es der Mut der Verzweiflung oder hat er wirklich einen Grund dazu?

    Schöppner: Na ja, er hat keinen wirklichen Grund, also die ersten Ergebnisse sozusagen als Entwicklung auf das Duell zeigen schon, dass nur relativ wenig Bürger sich insgesamt dadurch beeinflussen lassen. Zwar hat er sicherlich einen guten Eindruck gemacht, insofern, weil er – und das ist ein ganz wichtiges Kriterium – besser als erwartet sich da geschlagen hat. Aber der Effekt ist nicht besonders deutlich in der Sonntagsfrage zu sehen. Und auch, wenn man die Bürger fragt, ob sie sich dadurch beeinflussen lassen, so sind die Antworten im einstelligen Bereich.

    Heuer: Gilt das nur für die Partei? Kann Steinbrück wenigstens seine persönlichen Werte verbessern? Das ist ja der Vorteil, den Angela Merkel immer mit einbringt.

    Schöppner: Na ja, er kann vielleicht ein bisschen die Stimmung insgesamt verbessern, was natürlich nicht nur an ihm liegt. Eines seiner Probleme ist ja, dass er manchmal als Einzelkämpfer gesehen wurde und er relativ mangelndes Backing, also Rückhalt, in der SPD gehabt hat. Und da kann die SPD natürlich in den letzten 14 Tagen vor der Wahl einiges tun. Sie kann ihm Rückhalt gewähren. Das wäre natürlich schon mal ein gutes Ergebnis.

    Heuer: Welche Wähler kann die SPD denn jetzt noch gewinnen?

    Schöppner: Na ja, die SPD hat einen großen strategischen Fehler insofern gemacht, als sie sich von Anfang an sozusagen per Lagerwahlkampf an die Grünen gekettet hat. Und schon in einer Situation, wo es nicht besonders wahrscheinlich war, was auch heute noch der Fall ist, dass dieses zu einer Mehrheit insgesamt ausreicht. Wir wissen, dass es sehr viele Wähler in der politischen Mitte gibt, zwischen 50 und 60 Prozent, dass diese zwar sehr Angela Merkel schätzen, ihre auch eher stärkere Sozialdemokratisierung, ihre Ausgewogenheit, ihre teilweise überparteiliche Art des Regierens, aber viele von ihnen wollen auch ein soziales Korrektiv. Und da gibt es viele in der politischen Mitte, die durchaus bereit gewesen wären, die SPD zu wählen als Korrektiv einer Kanzlerin Merkel. Bloß, in einer Situation, wo dieses zuerst kategorisch, und jetzt doch eigentlich tendenziell ausgeschlossen wird, ist das natürlich ziemlich schwierig, diese Wähler noch sozusagen im Last-Minute-Swing zur SPD zu bewegen.

    Heuer: Das wären dann die Wechselwähler. Haben Sie eine Idee, wie die SPD bei denen punkten kann?

    Schöppner: Na ja, das ist sozusagen schwierig, weil das nach dem Prinzip der kommunizierenden Röhren läuft. Wenn sie sich jetzt öffnen würde, was meiner Ansicht nach ein bisschen spät ist 14 Tage vor der Wahl, denn die SPD hat grundlegend ein Glaubwürdigkeitsproblem in vielen ihrer Argumentationen, dann würde sie möglicherweise Wähler am linken Rand verlieren, die dann sagen würden, nicht mit der SPD, dann wähle ich lieber die derzeit schon relativ starke Linkspartei. Im Prinzip gibt es eigentlich zwei Gruppen, die noch zu beobachten sind in den letzten 14 Tagen vor der Wahl: das eine sind die Wechselwähler, das andere sind die Protestwähler. Wechselwähler finden aber eigentlich nicht oder nur in geringem Maße zwischen den großen politischen Blöcken, also vereinfacht gesagt, zwischen links und rechts, aber wohl innerhalb dieser Blöcke statt. Also es kann durchaus Bewegungen zum Beispiel zwischen Union und der FDP geben. Dass es Bewegung im linken Block gibt, ist auch – ich hab gerade ein Beispiel angesprochen – sinnvoll. Dass die SPD hier möglicherweise stärker werden könnte mit einem Kandidaten Steinbrück, ist auch nicht auszuschließen, bloß dann würde das auf Kosten der anderen Parteien, also in der Regel der Grünen oder der Linkspartei gehen. Aber dazu muss sie glaubwürdig agieren. Dazu muss sie nicht Themen setzen, von denen die Bürger meinen, dass kann die SPD auch nicht besser. Also bei Themen wie NSA, bei Thema Europa, wenn diese im Wahlkampf hochgespielt werden, dann ist die Mehrheitsmeinung, die SPD macht es nicht besser. Und das ist reine Wahlkampftaktik, und damit ist der SPD nicht sonderlich gedient.

    Heuer: Herr Schöppner, Steuererhöhungen scheinen auch kein Kassenschlager zu sein, oder wie erklärt es sich sonst, dass die Grünen im ZDF-Politbarometer ganz frisch zwei Prozentpunkte verloren haben?

    Schöppner: Na ja, das Thema Steuererhöhungen ist ja sozusagen auf die SPD durch die sogenannte Trittin-Falle eingewirkt. Sie konnten noch in ihrer moderaten Art zuerst, zumindest bei den linken Wählern punkten. Nun hat sie ein Problem dadurch, dass die Grünen sich deutlich verschlechtert haben. Wir können zwar keine kausalen Aussagen machen, dass das also nun an dieser Bindung SPD und Grüne, und dann gibt es sozusagen den Ansatz eines Trittinschen Steuerprogrammes – keine kausalen Aussagen machen. Aber die zeitliche Parallelität ist schon beeindruckend.

    Heuer: Rot-Grün hat offenbar keine sehr guten Karten, die Union fühlt sich sicher, vielleicht sogar zu sicher. Wie kann die CDU ihre Anhänger noch mobilisieren, damit die auch wirklich zur Wahl gehen?

    Schöppner: Ja, das ist ein Problem bei der Union. Trotz ihrer 39, 40 Prozent, auf die sie derzeit kommen würde, was noch nicht heißt, dass sie darauf in zwei Wochen kommen muss, hat sie oder kann sie ein neues Problem bekommen, nämlich das Problem der Nichtwähler. Bislang galt ja immer eine relativ geringe Wahlbeteiligung als Vorteil CDU, weil die Werteorientierten doch eher zur Wahl gingen, und das waren ja eher die Unionswähler. Sie hat aber, wenn man die Wählerwanderungen mal sich anschaut – also welche Wähler haben vor vier Jahren die Union gewählt und wo sind sie geblieben –, haben wir einen relativ großen Anteil, der derzeit bei den Nichtwählern parkt. Und wenn man sich diese Wähler näher anschaut, dann sind das die Wirtschaftskonservativen, dann sind das diejenigen, die eine andere Wirtschaftspolitik wollen und die Angela Merkel mit dieser eben angesprochenen Sozialdemokratisierung nicht unbedingt mitnimmt. Und das ist schon ganz entscheidend, ob diese noch mobilisiert werden können, ob die nun letztendlich sagen, dann lieber doch noch mal die Union als das kleinere Übel, was eine gewisse Berechtigung hat. Denn, vor die Alternative gestellt zu werden, Rot-Grün mit dem Trittinschen Steuerprogramm, das ist für sie eigentlich ein noch größeres Horrorszenario. Also hier deutlich zu machen, was die Alternative ist, das könnte der Union noch nutzen, möglicherweise die vier vorne hinterher zu bekommen.

    Heuer: Aber Herr Schöppner, kurz zum Schluss: Eine Alternative für die Wähler, die Sie gerade beschrieben haben, könnte ja auch die Alternative für Deutschland sein, die AfD. Wie gefährlich kann diese Partei der Union werden?

    Schöppner: Also, dass sie die Fünf-Prozent-Marge erreicht, ist nicht ausgeschlossen. Es gibt einen Kern, der liegt irgendwo zwischen zweieinhalb und drei Prozent der Wähler, die sie aus Überzeugung wählen. Mehr sind schon eher antieuropäisch und Anti-Euro eingestellt, aber eine Partei, wo es relativ vage ist, dass sie in den Bundestag rein kommt, zu wählen, das ist ja ein Hindernis. Also etwa zweieinhalb bis drei Prozent bekommt sie. Und dann gibt es vor jeder Wahl eine Gruppe, die sich kurz vorher entscheidet, das sind die Protestwähler. Die machen ihren Protest völlig unideologisch an der Partei fest, mit der man den Etablierten am ehesten schaden kann, mit denen man am ehesten Aufsehen erregen kann. Das waren vor einem Jahr die Piraten, das war vor vier Jahren die Linkspartei. Das ist zwischendurch mal die NPD, DVU – das ist durchaus möglich, dass diese bei der AfD landen. Und zweieinhalb Prozent Überzeugte und zweieinhalb Prozent Protestwähler ¬– da kann die AfD schon relativ nahe an die Fünf-Prozent-Marge herankommen. Und dann haben wir natürlich noch schwierigere Koalitionsvereinbarungen.

    Heuer: Es wird spannend!

    Schöppner: So ist es.

    Heuer: Klaus-Peter Schöppner, Geschäftsführer bei Emnid – vielen Dank!

    Schöppner: Danke Ihnen, tschüs!


    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.