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Empfindlicher Biosensor

Nanotechnologie. - Spezielle Lichtmikroskope machen es inzwischen möglich, das komplexe Zusammenspiel der einzelnen Bausteine im Inneren lebender Zellen live zu beobachten. Der Erkenntnisgewinn ist enorm. Nun soll es mithilfe neuartiger Biosensoren möglich sein, einzelnen Molekülen bei der Arbeit zuzuschauen.

Von Ralf Krauter | 20.03.2012
    Kohlenstoff-Nanoröhrchen sind eines der ersten Massenprodukte der Nanotechnologie. Mittlerweile werden täglich Tonnen der winzigen Makkaroni aus Kohlenstoff hergestellt. Weil sie Strom hervorragend leiten und extrem stabil sind, sind sie begehrte Zutaten für robuste Kunststoffe und leitfähige Beschichtungen.

    Ein drittes Anwendungsgebiet sind empfindliche Messfühler, erklärt der US-Physiker Philip Collins von der University of California in Irvine.

    "Kohlenstoffnanoröhren haben interessante Eigenschaften, die sie extrem sensitiv machen. Die wichtigste davon: Sie sind hohl. Wenn sie Strom leiten, bewegen sich deshalb alle Elektronen auf ihrer Oberfläche, in direktem Kontakt mit der Umgebung. Wenn dort irgendetwas passiert, verändern sich sofort die elektrischen Eigenschaften. Bei Nanodrähten aus Kupfer oder Gold ist das anders. Da fließen die Elektronen vor allem im Inneren, haben also viel weniger Kontakt zur Außenwelt. Dieser Unterschied macht Nanoröhren zu etwas Besonderem."

    Kohlenstoffnanoröhren sind der ideale Ausgangsstoff für extrem empfindliche Sensoren, die Druck oder mechanische Spannungen messen oder die Konzentration von Gasmolekülen. Philip Collins will der Palette an kommerziellen Nanoröhren-Sensoren nun einen weiteren Typ hinzufügen, der Biologen und Pharmaforscher hellhörig machen dürfte. Er hat einen Messfühler gebaut, der die Aktivität einzelner Enzyme registriert.

    "Wir können einzelne Moleküle dabei beobachten, wie sie in Echtzeit miteinander reagieren. Das ist wirklich ein Durchbruch."

    Die neuartigen Biosensoren sehen aus wie millimetergroße Siliziumchips. Auf ihrer Oberfläche ist ein mikrometerlanges Kohlenstoffnanoröhrchen befestigt, durch das ein Strom fließt. Auf diesem Nanodraht wiederum haben die Forscher mit chemischen Tricks ein Lysozym-Molekül festgeklebt: Ein natürliches Enzym, das Bakterien angreift. Lysozym ist Teil des Immunsystems vieler Pflanzen und Tiere und beim Menschen unter anderem in Speichel und Tränenflüssigkeit enthalten.

    "Wenn man auf einer langen einspurigen Straße die Wüste durchquert, sorgt schon ein einziges Hindernis dafür, dass sich der Verkehr meilenweit aufstaut. Einfach weil die Autos keine Möglichkeit haben, dieses Hindernis zu umfahren. Genau so ist es mit dem Nanodraht, den wir verwenden. Er ist so dünn, dass das nanometergroße Biomolekül auf seiner Oberfläche die Elektronen beeinflusst. Jedes Mal wenn das Enzym mit seiner Umgebung reagiert, bekommen wir deshalb ein elektrisches Signal."

    Der Stromfluss durch den Draht verrät, wie aktiv das Lysozym-Molekül gerade ist. Und zwar in Echtzeit. Taucht man den Sensorchip in eine Bakterienlösung, zeichnet er im Nu eine gezackte Kurve. Zur Interpretation griffen die US-Physiker auf Lehrbuchwissen zurück, wonach Lysozym wie eine Art Pac-Man-Molekül funktioniert: Es besteht aus zwei über ein Scharnier verbundenen Teilen, die abwechselnd auf und zu klappen, um Bakterien zu zerstückeln. Jeder Peak der Messkurve zeigt eine dieser Scherenbewegungen.

    "Wir haben Dinge über Lysozym gelernt, die bislang unbekannt waren. Zum Beispiel, wie genau es Bakterien angreift und wann es ins Stocken gerät. Es ist wirklich faszinierend: Mit einer neuen Art von Mikroskop lernt man immer was dazu. Unser Nanoröhren-Schaltkreis ist einfach ein neues Aufnahmegerät."

    Und zwar eines, das universell einsetzbar ist. Anstelle von Lysozym lassen sich auch zahllose andere Biomoleküle an Kohlenstoffnanoröhren heften, um ihre Aktivität live zu verfolgen. Philip Collins geht deshalb davon aus, dass die Nanodraht-Sensoren, an denen er tüftelt, bald in vielen Labors zum Einsatz kommen.