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Empörung über Atomvertrag

Die Atompolitik der Bundesregierung sorgt auch nach Offenlegung ihrer Vereinbarung mit den Atomkonzernen für Empörung. Der Vorwurf: Die Regierung fasse die vier Energieriesen mit Samthandschuhen an, die Förderung der erneuerbarer Energien bleibe auf der Strecke.

Von Mario Dobovisek | 10.09.2010
    Die Hälfte ihrer zusätzlichen Gewinne aus den verlängerten Laufzeiten wollten die vier großen Betreiber deutscher Atomkraftwerke abgeben - und zwar freiwillig, statt einer Steuer im Rahmen eines Vertrages mit der Bundesregierung - von 30 Milliarden Euro war noch vor zwei Wochen die Rede, zu zahlen in einen Fonds für erneuerbare Energien. Dann kam der Atomkompromiss vom Wochenende: mit Brennelementesteuer und einem zusätzlichen Sonderbeitrag für erneuerbare Energien. Steuer und Vertrag lagen am Ende also auf dem Tisch - nicht ganz. Denn bis gestern Abend war der Vertrag über die Sonderabgaben der Energieriesen Geheimsache.

    "Wir haben gar nicht vor, irgend etwas zu verschleiern. Hier gibt es auch nichts zu verschleiern."

    Beteuert Unionsfraktionsvize Michael Fuchs im ZDF-Morgenmagazin. Die Nachverhandlungen hätten bloß noch etwas gedauert, meint er. Eines ist klar: Erst als der öffentliche Druck immer größer wurde, veröffentlichte die Bundesregierung schließlich am Abend das Papier. Kein Wunder. Dessen Kern macht Schutzklauseln für die Stromkonzerne deutlich: Die Sonderbeiträge für erneuerbare Energien sinken demnach, wenn zum Beispiel die Laufzeitverlängerung aufgehoben wird, etwa durch eine neue Regierung. Sie sinken auch, wenn die Brennelementesteuer nach 2016 gesetzlich verlängert werden sollte oder wenn die Ausgaben für die Sicherheit je Kernkraftwerk 500 Millionen Euro übersteigen. Michael Fuchs, CDU:

    "Das heißt, wenn die Kernkraftwerksbetreiber 600 Millionen für Sicherheit ausgeben müssen, dann zahlen sie 100 Millionen weniger in den Fonds. Das ist meiner Meinung nach fair, denn wir wissen ja heute nicht, welche zusätzlichen Sicherheitsanforderungen nötig sein werden. Wir können alle nicht so ganz genau und ganz lange in die Zukunft gucken."

    Das könnte dem Ausbau erneuerbarer Energien teuer zu stehen kommen. Bundesumweltminister Norbert Röttgen, CDU, errechnete bereits vor Wochen, bei einigen Atomkraftwerken könnte die Sicherheitsaufrüstung sogar eine Milliarde Euro kosten. Grünen-Fraktionschefin Renate Künast spricht im Deutschlandradio Kultur von einem schmutzigen Deal:

    "Irgendein Schrottreaktor, der jetzt acht Jahre länger laufen darf, darf in der Reparatur nicht mehr als 500 Millionen Euro kosten. Ich sage Ihnen: Das ist ein Nichts, das kann nämlich problemlos doppelt so viel kosten. Die Bundesregierung tut so, als hätte sie eine Brennelementesteuer, eine Investition in Erneuerbare vereinbart plus Sicherheitsvorschriften; jetzt sehen Sie, dass alles miteinander gegengerechnet wird."

    Das sei Wortbruch, kritisiert Renate Künast. Während die Bundesregierung die erlangte Planungssicherheit für AKW-Betreiber hervorhebt, spricht die Grünen-Politikerin von einem Knebel für nachfolgende Regierungen - denn diese seien mit dem Vertrag in ihrer Handlungsfähigkeit eingeschränkt. Nie zuvor in der Geschichte der Bundesrepublik habe eine Regierung die Sicherheit der Bevölkerung so dreist verkauft, poltert SPD-Chef Sigmar Gabriel und nennt die Zusicherungen einen einmaligen Vorgang. SPD und Grüne wollen klagen. Für Linksfraktionschef Gregor Gysi ist der Atomkompromiss ein weiteres Beispiel für die Entmachtung des Parlaments.

    Die Antikorruptionsorganisation Transparency International hat die schwarz-gelbe Koalition davor gewarnt, demokratische Grundlagen auszuhebeln. Transparency-Geschäftsführer Christian Humborg wirft die Frage auf, wie die Bundesregierung Akzeptanz in der Bevölkerung für unbequeme Entscheidungen gewinnen wolle, wenn die vier Bossen der Atomkonzerne die Bedingungen diktierten.

    "Jetzt war es so, dass per Telefon bestimmte Vertreter von Spezialinteressen im Verhandlungsraum dabei waren, während die Vertreter anderer Interessen - beispielsweise Mittelstand, Stadtwerke oder Klimaschützer - draußen vor der Tür warten mussten."

    Trotz alle dem: die Sicherheit hatte für Schwarz-Gelb immer oberster Priorität, betont Michael Fuchs, CDU:

    "Wir haben von vornherein gesagt, auch in dem Kompromiss, dass wir die Sicherheit an erste Stelle stellen. Das ist auch selbstverständlich."

    Offenbar so selbstverständlich, dass nun die Kosten dafür von den versprochenen Investitionen in erneuerbare Energien wieder abgezogen werden.