Freitag, 29. März 2024

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Empörung über Karikatur in "Süddeutscher Zeitung"
"Ich erkenne keinen Antisemitismus"

Der langjährige Leiter des Zentrums für Antisemitismusforschung hält die Kritik an einer Karikatur in der SZ für ungerechtfertigt. Die Zeichnung sei unfreundlich für Israels Ministerpräsidenten, aber nicht judenfeindlich, sagte Wolfgang Benz im Dlf.

Wolfgang Benz im Gespräch mit Antje Allroggen | 17.05.2018
    Die Zeichnung des Karikaturisten Dieter Hanitzsch zeigt den israelischen Premierminister Benjamin Netanjahu in Gestalt der Gewinnerin des Eurovision Song Contest, Netta.
    Die "Süddeutsche Zeitung" hatte sich nach massiver Kritik an dieser Darstellung bereits öffentlich dafür entschuldigt. (Deutschlandfunk / Michael Borgers)
    Antje Allroggen: Über das Medienecho auf diese Karikatur, aber auch über Antisemitismus in den Medien habe ich mit Wolfgang Benz gesprochen. Er ist emeritierter Professor für Geschichte an der TU Berlin und ehemaliger Leiter des Zentrums für Antisemitismusforschung. Und meine erste Frage an ihn war: Finden Sie die Netanjahu-Karikatur witzig?
    Wolfgang Benz: Karikaturen sind oft nicht witzig, sie müssen vielleicht auch nicht witzig sein. Sie müssen einen Sachverhalt auf den Punkt bringen. Und so kann man das zunächst auch mal so verstehen. Der israelische Ministerpräsident, ein wehrhafter Mann, das weiß alle Welt, identifiziert sich mit dem strahlenden Sieg der jungen Dame am Wochenende beim ESC. Das sind ja beschreitbare Tatsachen. Das hat der Karikaturist ganz offensichtlich zusammenbringen wollen.
    Allroggen: Das finde ich interessant, weil der Presserat gerade sehr viele Beschwerden sammelt. Er wird auch ein Prüfverfahren einleiten. Auch der Antisemitismus-Beauftragte der Bundesregierung hat diese Darstellung kritisiert. Die Zeitung selber hat sich entschuldigt. Sie teilen vielleicht auch so ein bisschen die Meinung des Karikaturisten Dieter Hanitzsch. Er hat gesagt, er wolle gar keine Kritik betreiben, die antisemitisch sei, aber er wolle sich politisch äußern dürfen.
    Benz: Und das hat er ja ganz öffentlich getan. Ich erkenne keinen Antisemitismus in dieser Karikatur. Aber selbstverständlich: Zwei Experten in Sachen Judenfeindschaft ergibt mindestens drei unterschiedliche Meinungen.
    "Den angeblichen neuen Antisemitismus sehe ich nicht"
    Allroggen: Das ist ja auch ein äußerst demokratisches Moment, unterschiedlicher Meinungen sein zu dürfen, eben auch zu dem Thema. Trotzdem: Es gibt im Moment ja Viele, die sagen, dass sich die Antisemitismus-Debatte auch in den Medien verschärft hat. Sehen Sie das?
    Benz: Nein, das sehe ich überhaupt nicht. Jetzt diese Aufregung, auch diese ja sehr windelweiche Entschuldigung der Chefredaktion der "Süddeutschen Zeitung" in ihrem Ton zeigt doch, wie sensibel man ist auf alles, was man für Antisemitismus hält, wie vorsichtig man mit dem Problem umgeht. Das sehe ich aber wirklich nicht: den verstärken und wuchtigen und massiven angeblichen neuen Antisemitismus, der derzeit durch die Medien geistert.
    Wie inzwischen bekannt wurde, hat die "Süddeutsche Zeitung" ihre jahrzehntelange Zusammenarbeit mit dem Zeichner der Karikatur, Dieter Hanitzsch, beendet.
    Allroggen: Auch nicht, wenn die Bild-Zeitung jetzt genau diese Karikatur veröffentlicht, versehen mit der Überschrift "Karikatur erinnert an Nazi-Propaganda", wird da nicht bewusst etwas angetriggert?
    Benz: Das würde ich als schlechten Journalismus bezeichnen. Und das Vergnügen der Bild-Redaktion, der Süddeutschen eins auszuwischen. Aber an "Nazi-Propaganda" erinnert das wirklich nicht. Da muss man also schon die Fantasie eines Bild-Zeitungsredakteurs haben.
    Allroggen: Warum reden dann so Viele darüber? Über diesen Antisemitismus, der sich verschärft habe, was sich auch in den Medien widerspiegelt. Woher kommt diese Aufregung? Ein Kollege von Ihnen hat neulich auch gesagt, das sei alles hysterisch. Ist das alles hysterisch?
    Benz: Ja! Ich meine das aber nicht abwertend, wenn ich das hysterisch nenne. Es gibt immer wieder mal einen Vorfall, leider, unendlich bedauerlich. Und nach medialer Gesetzmäßigkeit muss man das ja nur ein-, zweimal schreiben, und dann wird das unendlich wiederholt, bis man ein neues Thema findet. Messbar mit wissenschaftlich-seriöser Methode ist das überhaupt nicht. Das hat nichts damit zu tun, bei allem Respekt, den man haben muss vor den Emotionen und Gefühlen der Minderheit, die Gegenstand von antisemitischer, also judenfeindlicher Betätigung im Alltag durch Propaganda, durch Schrift ist oder sich nur unsicher und unwohl fühlt durch unbedachte, unüberlegte und falsche Bemerkungen.
    "Man muss doch sehr stark differenzieren"
    Allroggen: Aber müssen es immer dieselben Klischees sein, Herr Benz, derer man sich bedient? Muss es immer die Nase sein, die langen Ohren, die Rakete? Kann da nicht mal kreativer versuchen, das Thema in den Medien widerzuspiegeln?
    Benz: Ich weiß jetzt nicht, ob ich da Ratschläge geben soll zur Verbesserung von judenfeindlicher Propaganda. Die Klischees sind nun einmal undenklicher Zeit im Schwange. Und dass man sie wiedererkennt, das macht ja ihren propagandistischen Effekt aus.
    Allroggen: Jetzt sprechen Sie aber gerade von judenfeindlicher Propaganda. Aber genau diese rhetorischen Mittel hat ja der Karikaturist ja jetzt auch gewählt.
    Benz: Hat er die ausgewählt? Woran erkenne ich das? Das Bild, diese Karikatur ist auf jeden Fall ziemlich unfreundlich gegenüber dem Ministerpräsidenten des Landes Israel. Ist das identisch mit Antisemitismus? Ist das identisch mit judenfeindlich? Ist das, wie die Bild-Zeitung vermutet, mit Nazi-Juden-Feindschaft? Ich glaube, da muss man doch sehr stark differenzieren.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.