Donnerstag, 25. April 2024

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Emron, Worldcom, Xerox, Vivendi: Bilanzfälschung und Betrug bei großen Firmen

Liminski: Vom großen Menschenkenner Albert Schweizer haben wir gelernt: "Vertrauen ist für alle Unternehmungen das große Betriebskapital, ohne welches kein nützliches Werk auskommen kann. Es schafft auf allen Gebieten die Bedingungen gedeihlichen Geschehens." Die Bestätigung dieser allgemeinen Lehre erleben wir zur Zeit an der Börse. Die Kurse brechen ein. Vorher eingebrochen ist das Vertrauen wegen Bilanzfälschung und Betrug. Was bedeutet das für die Weltwirtschaft, für die Konjunktur und für das Kapital? Zu diesen Fragen begrüße ich nun am Telefon den Präsidenten des Kieler Instituts für Weltwirtschaft, Prof. Horst Siebert. Herr Siebert, ich nenne einige Namen: Emron, Worldcom, Xerox, Vivendi. Man verbindet diese Namen mit Betrug und gefälschten Bilanzen. Die Firmen sind an der Börse abgestürzt, und damit könnte man sagen: O.K. Gerechte Strafe. Aber sie reißen offenbar auch andere Titel mit. Die Aktienmärkte sind jedenfalls erschüttert. Wohin führt die Entwicklung? Wohin kann sie führen? Stehen wir vor einem großen Crash wie vor gut 70 Jahren?

03.07.2002
    Siebert: Nein, das sehe ich nicht. Aber es ist natürlich unerlässlich, dass Bilanzen glaubwürdig sind, dass die Anleger davon ausgehen können, dass das, was sie in den Bilanzen vorgesetzt bekommen, auch der Realität entspricht. Das ist wichtig für das Funktionieren der Kapitalmärkte, also auch für die Bereitstellung von Kapital. Von daher müssen die Bedingungen überprüft werden, die man bisher, insbesondere in den USA, für die Erstellung von Bilanzen gehabt hat.

    Liminski: Können wir Europäer dazu etwas beitragen?

    Siebert: Na ja, es gab einmal, wenn ich mich an meine Studentenjahre erinnere, die Vorstellung eines vorsichtigen Kaufmanns, der vorsichtig bilanziert, der Risiken sozusagen auch in der Bilanz bereits abdeckt. Ich glaube, dass Bilanzregeln schon sehr wichtig sind, und die Kapital- und Finanzmärkte sollten sich davor hüten, nun sozusagen diese Risiken nicht zum Ausdruck zu bringen. Auch der Staat sollte sich übrigens davor hüten, dass er meint, dass die Gewinne sehr schnell ausgewiesen werden müssen. Also Vorsicht muss in den Bilanzen walten.

    Liminski: Es findet nun eine Flucht statt in sichere Häfen des Vertrauens. Sie sollen sich angeblich in Europa befinden. Analysten empfehlen diesen Ausweg für die Anleger. Aber soll man Vorständen vertrauen, die trotz der miesen Ertragslage ihres Volksunternehmens sich die Bezüge fast verdoppeln und die Taschen voll stopfen?

    Siebert: Also die Verlagerung von den USA nach Europa hat ja auch ganz andere Gründe. Da ist das große Leistungsbilanzdefizit in den USA von 4 bis 5 Prozent in Relation zum Bruttoinlandsprodukt, und deshalb steht der Dollar nicht mehr so stark; der Euro wird aufgewertet. Und wenn sich eine solche Entwicklung mal angebahnt hat, dann hat das auch eine gewisse Eigendynamik. Das ist die eine Situation. Inwieweit es angebracht ist, dass Vorstände ihre Bezüge über Optionswerte erhöhen in einer wirtschaftlich unglücklichen und klammen Lage, sei dahingestellt.

    Liminski: Vertrauen ist eine ethische Kategorie. Seit einigen Jahren wird auch von Wirtschaftsethik gesprochen. Die Bezugsfirmen sind alle global tätig. Fehlt es der Globalisierung an ethischen Elementen? Hat das Konkurrenzdenken die ethische Performance plattgewalzt?

    Siebert: Eine ethische Fundierung der Marktwirtschaft ist unerlässlich. Das wissen wir seit Adam Smith, der zwei große Werke geschrieben hat, nämlich das Buch über den Wohlstand der Nationen und das Buch über die Moral sentiments. Aber ich glaube, wir müssen jetzt sehr nüchtern sein und sagen: Bilanzwahrheit, der Ausweis des richtigen Gewinns, das wird man nicht über Ethik durchsetzen können, sondern das wird man über die richtigen Bilanzvorschriften durchsetzen müssen. Also man muss sicherstellen, auch durch rechtliche Regeln und mit rechtlichen Sanktionen, dass Bilanzen nicht gefälscht werden. So funktioniert unser System. Und diese Rahmenbedingungen für die Kapitalmärkte müssen einfach gewährleistet sein.

    Liminski: Wird das Vertrauen nicht nur im Einzelfall, sondern vermehrt und massiv erschüttert, dann frisst der Zweifel sich auch ins Gebälk des Marktsystems. Sehen Sie die Marktwirtschaft in Gefahr?

    Siebert: Nein, das sehe ich nicht. Aber diese Dinge, die wir gerade besprechen, können natürlich Auswirkungen auf die Konjunktur haben. Und wir sehen einige Auswirkungen in dem Sinne, dass es jetzt für Kapitalgesellschaften, also die Aktiengesellschaften, doch schwerer wird, sich Beteiligungskapital zu beschaffen. Neuemissionen sind zum Erliegen gekommen. Ferrari hat beispielsweise seinen Börsengang verschoben, T-Mobile ebenfalls. Es ist also eine unglückliche Situation für die Unternehmen. Sie können sich also kein Beteiligungskapital besorgen, das heißt sie haben keinen Zugang zum Kapital, und das überlagert sich nur noch mit den Klagen der Mittelständler und der Selbständigen, die auch die Schwierigkeiten betonen, Kredite zu bekommen.

    Liminski: Das heißt man müsste die Kreditlinien erweitern?

    Siebert: Das kann man so einfach nicht machen. Es ist eine erhebliche Unsicherheit im Finanz- und Bankensystem, und die Banken sind zum Teil gebrannte Kinder, die hohe Wertberichtigungen verarbeiten müssen, und sie sagen sich derzeit: Das berücksichtige ich lieber von vorne herein. Und sie sind dann vorsichtiger wohl bei der Kreditvergabe, so dass die Finanzierung von Investitionen, gerade in dieser aufkeimenden Konjunktur, ein bisschen in Mitleidenschaft gezogen ist. Ich will von einer Kapital- und Kreditklemme sprechen, aber es ist doch schwer, an Kapital und Kredit ranzukommen. Das hat Auswirkungen auf die Investitionstätigkeit der Unternehmen.

    Liminski: Sie sind doch einer der fünf Weisen im Sachverständigenrat zur Begutachtung der Konjunktur in Deutschland. Eben sprachen Sie von den Auswirkung, der Vertrauenskrise auf die Banken. Drückt die Krise auf das Konjunkturklima hierzulande? Lässt sich das irgendwie in Zahlen ausdrücken?

    Siebert: In Zahlen lässt sich das nicht ausdrücken, und wir sind vom Institut der Weltwirtschaft weiterhin relativ optimistisch mit einer Prognose für dieses Jahr von 1,2 Prozent, so dass wir eigentlich davon ausgehen, dass die üblichen Muster des Konjunkturzyklus auch dieses Mal zu beobachten sein werden. Die USA zieht uns mit über die Exporte. Das strahlt auf die Investitionen aus. Dann ist eigentlich unterstellt, dass diese Kreditrestriktionen sich nicht ganz entscheidend auswirken.

    Liminski: Also wir rutschen nicht in eine zweite Rezession hinein?

    Siebert: Wir rutschen nicht in eine zweite Rezession hinein.

    Liminski: Wir bräuchten uns keine Sorgen zu machen, sagt auch der Kanzler, und auch sein Herausforderer Stoiber beruhigt durch Schweigen. Ist das die angemessene Antwort der Politik, um das Vertrauen wieder herzustellen?

    Siebert: Ich glaube, das Vertrauen wird man wieder herstellen, wenn man etwa in den USA - man muss prüfen, ob das bei uns auch notwendig ist - die Vorschriften der Bilanzierung überprüft und gegebenenfalls neu fasst, um solche Fälle, die Sie angesprochen haben - Xerox, Worldcom, Emron, Vivendi - zu vermeiden, also eine Fälschung, eine Fehlinformation, eine Fehlleitung der Anleger zu vermeiden.

    Liminski: Sie haben vor einiger Zeit geschrieben, eine alternde Gesellschaft bringe weniger Wachstum. Nun altert die Gesellschaft in Deutschland nach wie vor. Sehen Sie die Auswirkungen immer noch so?

    Siebert: Das wird ein Thema sein, das uns insbesondere ab dem Jahre 2010 beschäftigen wird, wenn unser Arbeitsangebot wegen der alternden Bevölkerung abnehmen wird. Von daher wird das einen negativen Beitrag zum Wachstum mit sich bringen. Es kommen zusätzliche Fragen hinzu, etwa die Frage, ob ältere Gesellschaften nicht doch eine geringere Risikobereitschaft haben, so dass sie technologischen Neuerungen weniger aufgeschlossen sind. Dann hätte man auch eine geringere technologische Dynamik. Und es kommt natürlich hinzu, inwieweit die Systeme der sozialen Sicherung, die wir haben, in einer alternden Gesellschaft überhaupt noch nachhaltig finanzierbar sind, und inwieweit wir in der Lage sind, diese Systeme umzubauen.

    Liminski: Vielen Dank für das Gespräch.

    Link: Interview als RealAudio