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Ende der Isolation

Raumfahrt.- 520 Tage lang haben sechs Männer in einem Container nahe Moskau gelebt. Ziel des Experiments: Es sollte getestet werden, ob Menschen der psychischen und physischen Belastung einer Marsmission gewachsen wären. Seit ein paar Tagen sind sie wieder in Freiheit.

Von Robert Baag | 08.11.2011
    Ein bisschen, ein ganz kleines bisschen sowjetisch angehauchte Raumfahrt-Tradition können sich die russischen Gastgeber dann doch nicht verkneifen.

    Ordensverleihung und nochmals Glückwünsche an die sechs virtuellen Raumfahrer, inzwischen gern auch "Mars-o-Nauten" genannt. Nicht mehr ganz so bleich wie nach dem Ausstieg aus dem Mars500-Raumschiff-Modell am vergangenen Freitag und völlig entspannt wirkend scheinen sich die Sechs inzwischen wieder recht gut an ihre irdische Außenwelt gewöhnt zu haben.

    Kaum war nach dem Wochenende die Quarantäne aufgehoben worden, hat der Italiener Diego Urbina offenbar gleich sein Russisch ausprobiert, das er während der 520 Tage an Bord versucht hatte zu lernen: Gestern habe er es immerhin hinbekommen, in einem Moskauer Restaurant das Essen auf Russisch zu bestellen und damit zugleich seine Mama ein wenig zu beeindrucken. Also: "Selbst gestellte Aufgabe erfüllt", meldet lächelnd Urbina.

    Endlich wieder Fleisch und sogar ein Bier dazu, darüber hat sich am Wochenende auch sein französischer Crew-Kamerad Charles Romain so richtig gefreut, angesichts der - wie er sagt - zwar schmackhaften aber eintönigen, nach Diät-Gesichtspunkten zusammengestellten Speisefolge während dieser manchmal schier endlosen Reise.

    Der russisch-tadschikische Mannschaftsarzt, der Herz- und Gefäß-Chirurg Suchrob Kamolov, hat jedoch selbst dies positiv zu sehen versucht. Er habe sich vorgenommen, während des Fluges abzunehmen. Und das sei ihm auch bestens gelungen, strahlt er: "24 Kilo weniger!" - Ruhe und Beherrschtheit strahlen sie alle aus. Hektik scheinen die Sechs aus Russland, Frankreich, Italien und China nicht an sich herankommen zu lassen: Ein Stück Mars500-Philosophie - will man Bordarzt Kamolov glauben:

    "Während der ganzen Reise muss man ständig konzentriert sein. Wir hatten dazu ein tolles Plakat. Dort war zu lesen: 'Eine Fliege kann im Weltall zu einem Elefanten heranwachsen!' - Deshalb: Die eigene Selbstkontrolle im Umgang mit den Anderen darf nie aufhören. Seine Gefühle muss man unter Kontrolle haben. Wenn man sich einmal - und das kam schon vor - absolut nichts zu sagen hatte, sind wir in unsere Privatzimmerchen verschwunden, haben dort vielleicht ein bisschen was gelesen... Nach einiger Zeit sind wir dann aber wieder 'rausgekommen, zurück ins Kollektiv, und haben wie vorher miteinander gesprochen. Dass wir uns mal so richtig nicht mehr hätten sehen wollen, das gab es während der ganzen Reise kein einziges Mal."

    Nicht die Crew-Kameraden hätten genervt, grinst der knapp 1,80 Meter große französische Bordingenieur Charles Romain, sondern das Bett sei nun wirklich winzig gewesen, sagt er. Immer wenn er sich zum Schlafen auf den Rücken gedreht habe, sei sein Arm herausgefallen. Oft habe er lange herumprobieren müssen, um eine bequeme Ruheposition zu finden. Ansonsten aber halten Romain und seine Crew-Kameraden das Mars500-Experiment für einen vollen Erfolg. Die Reise hat für sie den Nachweis erbracht, dass der Mensch in seiner physischen wie psychischen Konstitution durchaus fähig ist, so lange Zeit unter extremen Isolationsbedingungen im Weltall unterwegs zu sein, arbeiten und leben zu können. Gern wäre er, Romain, nun auch bei einer echten Mars-Mission dabei, auch wenn er im Rückblick augenzwinkernd einräumt: Ein gutes Croissant am Sonntagmorgen, zum Frühstück, das habe ihm während des virtuellen Fluges von "Mars500" dann doch schon gefehlt - das eine oder andere Mal.