Mittwoch, 24. April 2024

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Ende der kostenfreien Corona-Tests
Diagnostika-Verband: Bedarf an verschiedenen Testvarianten wird hoch bleiben

Der Chef des Diagnostika-Verbands Martin Walger rechnet damit, dass der Bedarf an Corona-Tests insgesamt weiter hoch bleibt. Zudem sei zu erwarten, dass sich das Hauptgeschäft der Labordiagnostik wieder normalisiere. Viele Vorsorgeuntersuchungen seien während der Pandemie zu kurz gekommen, sagte er im Dlf.

Martin Walger im Gespräch mit Tobias Armbrüster | 11.08.2021
Bund und Länder haben sich auf ein Ende der kostenlosen Corona-Tests geeinigt. Vom 11. Oktober an muss dann jeder, der nicht geimpft ist, seinen Schnelltest selbst bezahlen, wenn er am öffentlichen Leben teilnehmen will. Schüler und Schülerinnen sollen weiter kostenlose Tests bekommen - auch diejenigen, die sich aus medizinischen Gründen nicht impfen lassen können.
Was bedeutet dieser Schritt in der Corona-Politik für die Diagnostik-Branche? Diese habe durch die Corona-Pandemie eine Sonderkonjunktur erlebt, sagte Martin Walger, Geschäftsführer beim Verband der Diagnostica-Industrie, im Dlf. Die Infektions-Diagnostik nehme normalerweise etwa zehn Prozent des Branchenumsatzes ein. Im vergangenen Jahr sei dieser Anteil auf mehr als 30 Prozent gestiegen. Er erwarte nun einen Rückgang an Schnelltests, der Brache bereite das aber keine großen Sorgen. Denn das Hauptgeschäft der Labordiagnostik sei wiederum während der Pandemie rückläufig gewesen - zum Beispiel die Krebsdiagnostik, Blutbildbestimmungen oder Screenings von Neugeborenen. Viele Menschen seien in den vergangenen Monaten aus Angst zu Hause geblieben und hätten ihre Früherkennungsmaßnahmen nicht in Anspruch genommen. "Das heißt, wir werden ein Stück zurück in die neue Normalität kommen", so Walger.
Kubicki (FDP) gegen kostenpflichtige Coronatests
Solange die epidemische Notlage nationaler Tragweite bestehe, habe die Allgemeinheit ein Interesse daran, Infektionsträger zu entdecken, sagte der FDP-Politiker Wolfgang Kubicki im Dlf. Corona-Schnelltests sollten deshalb kostenlos bleiben.

Das Interview im Wortlaut:
Martin Walger: Guten Morgen, Herr Armbrüster.
Tobias Armbrüster: Was bedeutet das Ende dieser kostenlosen Tests für Ihre Branche?
Walger: Zunächst mal: Für die Menschen in Deutschland bedeutet das tatsächlich, dass das Angebot kostenloser Bürgertests für alle in zwei Monaten beendet wird. Für uns als Branche der Testhersteller heißt das, es wird einen Rückgang des Bedarfs an Schnelltests geben. Das werden wir spüren. Wenn man aber mal genau schaut auf das, was gestern beschlossen worden ist, dann ist es tatsächlich ja nur ein einzelnes Segment, was jetzt weggenommen wurde. Sie haben das schon angedeutet. Alle Personen, die nicht geimpft werden können oder für die keine Impfempfehlung vorliegt – und das sind beispielsweise alle unter 18 Jahren -, die werden weiterhin kostenlose antigene Schnelltests in Anspruch nehmen können. Auch die Arbeitgeber sind weiter verpflichtet, ihren Beschäftigten solche Testangebote zu unterbreiten. Und dann für die besonderen Personengruppen, Schüler oder denken Sie an diejenigen in den Krankenhäusern, die dort arbeiten, oder die Patienten sind in Pflegeeinrichtungen, für alle diese Gruppen wird es weiter Testangebote geben. Das heißt für uns als Industrie, dass wir tatsächlich teilweise einen Nachfragerückgang haben werden, aber insgesamt wird der Bedarf an verschiedenen Testvarianten für das Corona-Virus nach wie vor hoch bleiben.

"Wir werden ein Stück zurück in die neue Normalität kommen"

Armbrüster: Das ist ja schon interessant. Auf welchen Rückgang stellen Sie sich denn da ein?
Walger: Vielleicht mal, was man in Zahlen ganz gut veranschaulichen kann. Im letzten Normaljahr 2019 hatte unsere Industrie in dem gesamten Bereich der Infektions-Diagnostica, alle Erkrankungen und Infektionen, die durch Viren, durch Bakterien, durch Parasiten verursacht werden – das alles nimmt in einem Normaljahr etwa zehn Prozent des gesamten Branchenumsatzes ein. Im vergangenen Jahr ist das aufgrund der Corona-Pandemie auf über 30 Prozent angestiegen. Da ist der Bedarf wirklich explodiert. Wenn der jetzt aber wieder auf ein Normalmaß zurückgeführt wird, dann bleibt immer noch der große Bereich, in dem die Labordiagnostik unterwegs ist, die Krebsdiagnostik, die Diagnostik für chronisch Kranke, Diabetes, Blutzuckerselbstmessung, für Herzerkrankungen, für das Screening von Neugeborenen, für Blutbildbestimmung, Elektrolyte und so weiter und so fort. Das ist unser Hauptgeschäft. Das ist im Übrigen auch in der Zeit der Pandemie durchaus rückgängig, weil viele Menschen einfach aus Angst zu Hause geblieben sind und beispielsweise ihre Früherkennungsmaßnahmen, die in der gesetzlichen Krankenversicherung ihnen ja zustehen, gar nicht in Anspruch genommen haben. Das heißt, wir werden ein Stück zurück in die neue Normalität kommen. Das ist meine Prognose.

"Unsere Branche ist um 25 Prozent gewachsen"

Armbrüster: Aber dann kann man zumindest so viel hier schon mal festhalten: Die Corona-Pandemie hat Ihrer Branche zumindest einige Monate lang sehr, ich sage mal, rosige Zeiten beschert? Das kann man so sagen?
Walger: Ja! Wir hatten eine Sonderkonjunktur natürlich im vergangenen Jahr und auch noch in diesem Jahr. Dahinter steht aber, dass wir als Branche unglaubliche Anstrengungen unternommen haben. Wir haben ja wenige Wochen, nachdem das Virus in China entdeckt wurde, die Welt in die Lage versetzt, das zu diagnostizieren, das Virus zu verstehen, es komplett in seinem Genom zu sequenzieren. Wir haben verschiedenste Testvarianten entwickelt, unsere Industrie. Wir haben dann die Produktion hochfahren müssen. Der Bedarf weltweit ist ja explodiert. Wir haben in den ersten sechs Monaten des vergangenen Jahres die Produktion um das 20fache erhöht. Wir haben wahnsinnige Anstrengungen in der Logistik unternommen. Das alles steckt dahinter, dass wir im vergangenen Jahr eine Sonderkonjunktur hatten. Unsere Branche ist um 25 Prozent gewachsen, während andere Branchen natürlich in die Knie gegangen sind in der Pandemie. Das ist die Sondersituation, die wir gehabt haben im vergangenen Jahr.

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Armbrüster: Jetzt kommt auf einmal in die politische Debatte diese Forderung, diese Tests in zwei Monaten nicht mehr kostenlos. Das kam jetzt ja relativ plötzlich in den vergangenen Tagen auf, diese Forderung, wurde dann gestern als Beschluss umgesetzt. Wie beobachten Sie das? Sind die Vorgaben der Politik für die Mitglieder in Ihrer Branche noch zuverlässig und transparent?
Walger: In dem Fall kann man sagen, mit einer Ankündigungsfrist von zwei Monaten ist das ein ausreichender Zeitraum für die Industrie, sich darauf einzustellen. Wir werden sicherlich die Produktion ein Stück weit zurücknehmen. Auf der anderen Seite gibt es Bedarf weltweit. Das muss man alles austarieren.

Neue Möglichkeiten für die Industrie

Was wir für ganz wichtig halten ist, dass die Politik unser Gesundheitssystem zukunftsfest macht, denn das Virus wird nicht verschwinden. Das ist leider die etwas ernüchternde Wahrheit. Das heißt, wir müssen uns ja beispielsweise darauf einstellen, dass wir im Winter nicht nur eine neue Corona-Welle bekommen, sondern dass die auch zusammenfällt mit der eigentlich üblichen Grippewelle in den kalten Monaten. Unser Verständnis ist, dass wir als Labortesthersteller beispielsweise auch Tests entwickeln und anwendungsreif machen, mit denen man die Corona-Viruserreger und das Grippe-Virus, Influenza-Virus gleichzeitig erkennen kann und damit in den Hausarztpraxen, in den Kinderarztpraxen eine wichtige Entscheidungshilfe, eine schnelle Entscheidungshilfe anbietet. Oder, um ein zweites Beispiel noch nennen zu dürfen: Es gibt Möglichkeiten, dass wir das Corona-Virus im Abwasser überwachen. In den Klärwerken kann genauso gut molekulardiagnostisch eine Überwachung des Infektionsgeschehens stattfinden. Das sind unsere Vorschläge und Angebote an die Politik, dass wir die Labordiagnostik wirklich nutzenbringend einsetzen, damit unser System für die möglicherweise nächste Welle, von der wir alle hoffen, dass sie glimpflich verläuft, aufgestellt ist.
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Tests für acht bis zehn Euro

Armbrüster: Herr Walger, jemand, der sich nicht impfen lassen möchte, aus welchem Grund auch immer, und sich darauf einstellt, ab Oktober diese Schnelltests in einem Testzentrum zu bezahlen, auf welche Kosten muss der sich da einstellen?
Walger: Ich gehe mal davon aus – das ist jetzt vielleicht eine etwas grobe Schätzung -, dass er für den eigentlichen Test, das Testmaterial, und dann für die Abnahme des Tests in so einem Testzentrum insgesamt vielleicht mit zehn Euro oder acht Euro dabei sein wird. Wer Symptome hat oder wer glaubt, krank zu sein – das ist noch mal ganz wichtig zu unterstreichen -, der möge bitte zum Arzt gehen, denn dort hat er natürlich aufgrund seiner Krankenversicherung einen Anspruch auf entsprechende medizinische Diagnostik mit einem PCR-Test. Das ist der Goldstandard. Auch das ist natürlich eine Möglichkeit, sich weiter testen zu lassen.

Testzentren wird es für Restgruppen weiter geben

Armbrüster: Sie vertreten jetzt natürlich die Hersteller der Tests. Aber ich möchte trotzdem auch gerne etwas wissen zu den Testzentren. Die sind ja in den vergangenen Monaten in vielen Städten und Stadtvierteln regelrecht aus dem Boden geschossen. Wir haben das heute Morgen schon gehört. Da wurden Discos umfunktioniert, da sind Popup-Zelte aufgestellt worden. Was ist Ihre Voraussage? Werden wir diese Testzentren in dieser Fülle auch noch in zwei, drei Monaten in Deutschland sehen?
Walger: In Berlin gab es an jeder Straßenecke ein Testzentrum. Der Höhepunkt war im Mai und im Juni. Das ist schon weniger geworden. Das kann man zumindest hier in Berlin beobachten, dass das ein bisschen ausgedünnt worden ist. Ich glaube, dieses Angebot von Testzentren wird auch weiter zurückgehen, aber die Testzentren werden nicht völlig verschwinden. Noch mal: Für die vielen Restgruppen, die weiterhin einen Testanspruch haben, wird es diese Testzentren geben. Ich sage mal so: Nicht mehr an jeder Straßenecke, aber ich glaube tatsächlich noch, in jedem Stadtviertel wird es solche Anlaufstellen geben.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.