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Ende der Misswirtschaft?

IT.- eGovernment, das Regieren mithilfe digitaler Verwaltungsabläufe, ist nicht so leicht wie es vielleicht scheinen mag. Auf dem Berliner Kongress "Effektiver Staat" bemühten sich Spitzenkräfte deutscher Behörden zwei Tage lang um Lösungen, die Verwaltung zu vereinfachen.

Von Wolfgang Noelke | 07.05.2011
    Altdatenbestände sind inzwischen digitalisiert, für die verschiedenen Betriebssysteme und Formulare der Behörden wurden technische Lösungen entwickelt, um Datenbestände auch für Nachbarbehörden lesbar bereit zu halten. Politische Entscheidungen aufgrund gesicherter digitaler Referenzen zu treffen, müsste jetzt einfach sein. Doch das jüngste Beispiel der falschen Daten zur Kinderarmut zeigt, dass dies offensichtlich noch nicht funktioniert. Auch die, durch Digitalisierung erhoffte Verschlankung der Behörden findet nicht statt.

    Im Gegenteil: Die Sozialdezernentin der Millionenstadt Köln beklagte kürzlich im Deutschlandfunk, dass sie wegen der bürokratischen Vorgaben des Bildungspakets neun neue Arbeitsplätze besetzen müsse. Noch einmal soviel Arbeitsplätze wären nötig im Jobcenter und Sozialamt der Stadt. Obwohl man davon ausgehen kann, dass die Daten dort bereits vorliegen, müssen neue Anträge ausgefüllt, geprüft und neu digitalisiert werden. Hochgerechnet auf die Einwohnerzahl Deutschlands müssten demnach mehr als 1400 Menschen nur damit beschäftigt sein.

    Muss das sein? Professor Tino Schuppan, Wissenschaftllicher Direktor des Forschungsinstituts "Potsdam eGovernment Competence Center":

    "Möglich ist natürlich, dass man heute die Bildungsgutscheine komplett elektronisch abwickelt und vorstellbar ist es, dass wir ein ganz neues Verhältnis zwischen Verwaltung und Politik bekommen, wenn Sie viel leichter solche Sachen beschließen und umsetzen können, mit einem geringen bürokratischen Aufwand. Es sind ja auch Kosten, die dahinter stehen."

    Warum Behörden auch bei neuen Gesetzgebungen und Verordnungen auf personalintensive Formularbearbeitung setzen, hat rechtliche Ursachen. War früher eine Willensbekundung nur dann rechtsverbindlich, wenn man sie eigenhändig unterschrieb und per Brief oder auf elektronischem Wege per Fax versendete, sei jetzt in gewissen Fällen bereits eine nicht zertifizierte E-Mail rechtsverbindlich, sagt Professor Dr. Manfred Mayer, Ministerialrat und Leiter des Referats eGovernment im Bayerischen Staatsministerium für Finanzen:

    "Das heißt, wenn irgendwie erkennbar ist, um welchen Bürger es sich handelt, wenn irgendwie erkennbar ist, welches das Anliegen des Bürgers ist, dann wird die Verwaltung selbstverständlich von sich aus auch versuchen, dem Anliegen des Bürgers Rechnung zu tragen, auch wenn dort keine, sei es eingescannte oder andersartig geartete Unterschrift vorhanden ist."

    Die bürokratischen Abläufe innerhalb der Behörden würden in Bayern gerade den realen Bedingungen zeitgemäßer Kommunikation angepasst:

    "Da geht es darum, dass wir in jedem einzelnen Fachgesetz nochmal sehr kritisch prüfen, ob die in der Vergangenheit notwendigen formellen Voraussetzungen, ob die in der Vergangenheit notwendigen Unterschriftserfordernisse tatsächlich auch noch für die Zukunft erforderlich sind"

    Zumal der Neue Personalausweis große Rechtssicherheit gewährleisten würde, wenn er für Online-Kommunikation freigeschaltet ist. Weitaus schwieriger umzusetzen sei zum Beispiel das Verlangen von Bürgern und Nicht-Regierungsorganisationen nach völliger Offenlegung behördlicher Daten, sagt Professor Herbert Kubicek, wissenschaftlicher Direktor des Bremer Instituts für Informationsmanagement. Zum Beispiel, weil Anfang der 1990er-Jahre einige Kommunen Vermessungs- und Katasterämter privatisierten, um Geodaten gewinnbringend zu verkaufen:

    "Wenn man sich die Ziele der Open Data Bewegung anschaut, dann vermischen sich da immer die Ziele der Wirtschaftsförderung, der Innovation durch die Weiterverwendung, zum Beispiel der Geodaten, wo Geschäftsmodelle basieren, während Haushaltsdaten ja freigegeben werden sollen, weil da geht’s um Transparenz, um Korruptionsbekämpfung, die Kontrolle der Verwendung von Steuergeldern. Und da kann man nicht nach Geschäftsmodellen fragen. Ich glaube, die Daten, die politische Entscheidungsprozesse transparenter machen, da muss die Politik letztendlich entscheiden, zu welchen Bedingungen das den Parlamentariern und den Bürgern bereitgestellt wird, während da, wo Geschäftsmodelle drauf aufbauen, da kann man auch darüber nachdenken, ob die Bereitstellungskosten, denjenigen, die diese Daten teilweise weiterverarbeiten nicht in Rechnung gestellt werden können."

    Bezahlen müssten dann wohl auch die Parlamentarier für die Entschlüsselung kryptischer Zahlenkolonnen kommunaler Haushalte. Auch dies ist ein überraschendes Fazit der Tagung: Angeblich verstünden nur wenige Volksvertreter etwas vom wichtigsten kommunalen Tagesordnungspunkt, über den sie abstimmen.