Donnerstag, 18. April 2024

Archiv

Ende der Stasi-Unterlagenbehörde
Meckel (SPD): "Die Akten sind in schlechtem Zustand"

Der Stasi-Unterlagenbehörde habe es an Klarheit und Konzeption gefehlt, sagte Markus Meckel (SPD), Ratsvorsitzender der Bundesstiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur, im Dlf. Beim Übergang der Akten in das Bundesarchiv müssten neue Akzente gesetzt werden.

Markus Meckel im Gespräch mit Christoph Heinemann | 19.03.2021
Akten in der Stasi-Unterlagenbehördeim Jahr 2017
"Die Akten sind in schlechtem Zustand und hier muss dringend gerade aus archivarischer Sicht etwas getan werden", sagte Markus Meckel im Interview (IMAGO/Jürgen Heinrich)
111 Kilometer Akten hat die Staatssicherheit der ehemaligen DDR hinterlassen, dazu noch 15.000 Säcke mit zerrissenen Papieren. Die Stasi-Unterlagenbehörde hat diese Dokumente der Unterdrückung gesammelt und Einsicht in die Papiere ermöglicht, nun wird die Bundesbehörde aufgelöst und die Akten werden in das Bundesarchiv überführt.
Das sei ein "wichtiger Schritt auch der Normalisierung", sagte Markus Meckel (SPD), letzter Außenminister der DDR und Ratsvorsitzender der Bundesstiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur, im Deutschlandfunk. Es wäre aber besser, nicht zu viele Strukturen der Stasi-Unterlagenbehörde zu übernehmen, fügte er hinzu. Denn in dieser seien zu viele Aufgaben vermischt worden, es habe an Konzeption und Klarheit gefehlt.
So hätten manche Bürgerrechtler die Institution als Symbol behandelt und nicht nach ihrer Funktionalität betrachtet. Politische Bildung keine Aufgabe für ein Bundesarchiv, sagte Meckel weiter. "Archiv muss Archiv bleiben und der Forschung und der Bildung zur Verfügung stehen, aber klar getrennt."
Markus Meckel
Markus Meckel hat auch in der DDR-Opposition mitgewirkt. (picture alliance/dpa/Annette Riedl)
Christoph Heinemann: Herr Meckel, was bedeutet das bevorstehende Ende der Stasi-Unterlagenbehörde für die Opfer der SED-Diktatur?
Markus Meckel: Für die Opfer ändert sich nichts. Ja es wird sogar ein Stück weit besser, weil sie ein neues Amt erhalten, das gezielt für die Opfer da ist, sich um sie kümmert und ihre Belange stark machen soll, auch gegenüber dem Parlament und der Bundesregierung. Das heißt, die sich um diese Rehabilitationsprozesse stärker kümmern sollen in dieser kleinen Behörde. Das wird neu, ist noch nicht besetzt. Ich hoffe sehr, dass es nicht nur symbolisch besetzt wird, sondern dass wir hier einen ordentlichen Juristen hinbekommen, der sich empathisch mit Feldkenntnis, aber auch die psychologischen Bedürfnisse mit im Blick hat.
Die Überführung der Stasi-Akten wiederum hat unmittelbar mit den Opfern nichts zu tun. Dies ist die Fortsetzung in einer neuen Struktur, die Fortsetzung des Zugangs zu den Akten. Das war ja das Revolutionäre damals, übrigens in der Volkskammer damals erkämpft. Die frei gewählte Volkskammer hat sich dafür eminent eingesetzt, gegen großen Widerstand der Bundesregierung, und es ist damals dann gelungen, festzusetzen, dass darüber der neu gewählte vereinte Bundestag des geeinten Deutschlands ein Gesetz macht. Das ist gelungen. Das Ergebnis war dann diese neue Behörde, die diesen Zugang schaffen soll. Der Zugang war das, was damals geschaffen wurde, und das bleibt erhalten.
29 . 08 . 2017 , Berlin / Mitte : Pk DRK - Suchdienst . Foto : Dr . Rudolf Seiters , Präsident des Deutschen Roten Kreuzes . *** 29 08 2017 Berlin centre press conference DRC Search service Photo Dr Rudolf Seiters President the German Red Cross
30 Jahre Wiedervereinigung - "Wir hatten viel Glück, dass alles so friedlich verlaufen ist"
Die Regierung in Bonn habe gewusst, dass es die DDR es nie gewagt hätte, gegen den Willen der Sowjetunion Soldaten gegen das eigene Volk einzusetzen, sagte der ehemalige CDU-Kanzleramtschef Rudolf Seiters im Dlf. Aber man sei besorgt gewesen, dass etwa verunsicherte Grenzpolizisten zur Waffe greifen könnten.
Heinemann: Herr Meckel, was haben Sie durch diese Behörde über Methoden und Funktionieren der Stasi gelernt, was Sie nicht schon gewusst hätten?
Meckel: Eigentlich weniger durch die Stasi-Akten, sondern mehr durch die Enquete-Kommission des Deutschen Bundestages, weil wir natürlich beides haben. Wir haben diesen wirklichen Repressionsapparat, der ganz wesentlich von der Stasi geprägt war, aber durchaus nicht nur. Wenn wir sehen: Wir brauchen die Akten. Bis hin zum Schreiben meiner Erinnerungen waren diese wichtig für die Informationen.
Aber wir brauchen weit mehr und wir müssen wegkommen von der Konzentration auf die Staatssicherheit, wenn wir die Repressionen und überhaupt die Aufarbeitung differenziert in den Blick bekommen müssen. Wenn jetzt diese Institution überführt wird in das Bundesarchiv, oder die Akten dorthin überführt werden, dann ist das, wie ich glaube, ein normaler, wichtiger Schritt auch der Normalisierung, und ich würde sogar kritisieren, dass allzu viel von dieser Behörde, die in gewisser Weise eine Eier legende Wollmilchsau war, das heißt die verschiedene Funktionen vereint hat, die in unserem, sehr differenzierten Gemeinwesen und Staatswesen getrennt sind – allzu viel wird jetzt als Status quo in das Bundesarchiv mitgenommen.

"Fehlende Klarheit" und "fehlende Konzeption"

Heinemann: Was schlagen Sie stattdessen vor?
Meckel: Um mal einen solchen Punkt zu nehmen: Ich denke, dass politische Bildung keine Aufgabe für ein Bundesarchiv ist. Dies soll in den Regionen weiterhin vom Bundesarchiv gemacht werden, was die bisherigen Außenstellen gemacht haben. Es gibt eine fehlende, glaube ich, Klarheit, zu wenig Konzeptionalität, die ich kritisiere. Archiv muss Archiv bleiben und der Forschung und der Bildung zur Verfügung stehen, aber klar getrennt. Es macht keinen Sinn, Archivstandorte zu suchen nach authentischen Orten der Diktatur. Das sind getrennte Fragestellungen.
Heinemann: Entschuldigung! Kritisieren Sie damit auch Roland Jahn?
Meckel: Ja, auch er ist Teil dieser, wie ich finde, fehlenden Konzeption, und auch manche Bürgerrechtler sind, wie ich finde, dafür eingetreten, weil sie immer zu sehr diese Institution als Symbol behandelt haben und nicht nach ihrer Funktionalität betrachtet haben. Ich hoffe sehr, dass das Bundesarchiv jetzt ganz klar mit der Digitalisierung viel stärker Akzente setzt und eine Zukunftsperspektive gibt. Die Akten sind in schlechtem Zustand und hier muss dringend gerade aus archivarischer Sicht etwas getan werden.
FDJ-Angehörige blicken vom Brandenburger Tor aus in den westlichen Teil Berlins. Angehörige der Volkspolizei warnten die Jugendlichen, daß sie bei Betreten West-Berlins von der dortigen Polizei verhaftet werden würden (undatiert). Die "Freie Deutsche Jugend" (FDJ), der einheitliche Jugendverband der sowjetischen Besatzungszone, wurde am 7. März 1946 im sowjetischen Sektor zugelassen und beging am 8. November 1947 in Berlin seine Gründungsfeier. Nach der Gründung der DDR 1949 war die FDJ der einzige zugelassene Verband für Jugendliche ab 14 Jahren. Zu den Aufgaben des FDJ gehörten die politische und ideologische Erziehung der Jugend. Außerdem betreute er den Kinderverband der DDR, die Pionierorganisation "Ernst Thälmann", die sogenannten Jungen Pioniere.
DDR-Geschichte - Die Gründung der FDJ vor 75 Jahren
Am 7. März 1946 wurde die Freie Deutsche Jugend (FDJ) gegründet. Der Jugendverband sollte später in der DDR zum Vorzeigeprojekt werden, zeitweise waren rund 80 Prozent aller 14- bis 25-Jährigen darin organisiert. In Ostdeutschland gibt es sie heute noch, allerdings mit einer überschaubaren Mitgliederzahl.
Heinemann: Welche DDR- und Stasi-Kapitel müssen denn heute noch aufgearbeitet werden?
Meckel: Ich glaube, dass da noch sehr viel natürlich zu tun ist, aber nicht nur für die Stasi. Gerade die internationale Verflechtung der Geheimdiensttätigkeit ist nach wie vor ein wichtiges Thema, wie wir überhaupt feststellen müssen, dass Aufarbeitung des Kommunismus nicht nur eine nationale Angelegenheit ist. Das heißt, wir können das nicht nur für die kleine DDR machen, sondern man muss dies mit dem Blick auf die gesamte kommunistische Welt tun. Da waren die Verflechtungen groß. Diese internationale Aufarbeitung nicht nur die Stasi betreffend, sondern überhaupt der Systeme, scheint mir für die Zukunft ein wesentlicher Schwerpunkt zu sein.
Heinemann: Herr Meckel, der Historiker Ilko-Sascha Kowalczuk hat gesagt, mit der Abschaffung der Unterlagenbehörde werde den Gegnerinnen und Gegnern einer kompromisslosen Aufarbeitung eine Freude gemacht. Haben die Täterinnen und Täter und ihre Helfershelfer Grund zur Freude?
Meckel: Überhaupt nicht. Ich halte diese Aussage wirklich für Unsinn, weil es ja gar nicht darum geht, wer das macht. Ich denke, dass gerade die Aufarbeitung verstärkt werden muss. In der politischen Bildung muss dies getan werden, aber da, wo sie normalerweise ihren Ort hat: in den Institutionen der politischen Bildung.
Heinemann: Entschuldigung! Besteht denn nicht genau die Gefahr, dass mit der Abschaffung der Behörde deren Auftrag in Vergessenheit gerät?
Meckel: Überhaupt nicht! Wir haben zum Beispiel diese Bundesstiftung Aufarbeitung. Die muss man stärken. Da sind nur eine Hand voll Leute, die dort arbeiten. Dies kann deutlich verstärkt werden, aber gerade dezentral und nicht durch eine Behörde nur gemacht. Das heißt, wir haben auch Institutionen der politischen Bildung, die dieses viel stärker mit in den Blick nehmen müssen, als etwa die Landesinstitutionen. Ich glaube, dass wir hier in dieser stärkeren Normalität der Institutionen stärkere Akzente setzen müssen, und mit der Bundesstiftung haben wir eine solche Institution, die in die Breite geht und nicht nur die Stasi-Fragen zum Thema macht.

"Geschichtsunterricht in Deutschland ist schlecht"

Heinemann: Machen wir es trotzdem konkret. Was sollten denn Schülerinnen und Schüler über die SED und über die Stasi wissen und wie sollte das vermittelt werden?
Meckel: Da gibt es viele gute Konzepte, die gerade von der Stiftung vorgegeben werden. Es muss klarer sein – und es geht ja überhaupt um Zeitgeschichte –, dass die überhaupt noch in der Schule vorkommt. Unser Geschichtsunterricht in Deutschland ist schlecht und die politische Bildung an den Schulen ist unterbelichtet. Dies insgesamt ist eine große Aufgabe der Bildungspolitik.
Heinemann: Was sollte man wissen über SED und Stasi?
Meckel: Man sollte über sie genauso viel mehr wissen übrigens wie auch über die Geschichte der Bundesrepublik. Hier weiß man viel zu wenig. Man weiß viel zu wenig, was es heißt, in einer Diktatur zu leben. Man muss dann auch die Menschen nicht nur einfach in Opfer und Täter unterteilen, denn die allermeisten waren weder das eine so richtig, noch das andere. Die Differenzierung des Lebens in der Diktatur, das scheint mir die wichtigste Dimension zu sein, und natürlich die Funktionsweisen dieses Repressionsapparates müsste viel stärker dargestellt werden, als dies bisher geschieht.
30 Jahre Wiedervereinigung - Neues Erzählen von der DDR
30 Jahre nach der Wiedervereinigung gehen Autorinnen und Filmemacher neue Wege, um von der DDR zu erzählen – jenseits der Klischees von Täter, Mitläufer und Opfer. Können ein neuer Blick und eine spezifisch ostdeutsche Perspektive auf die Geschichte dabei helfen, die tiefgreifenden Unterschiede zwischen Ost und West zu überwinden?
Heinemann: Sie haben es in Ihrer ersten Antwort schon genannt. Künftig soll sich jetzt eine Beauftragte oder ein Beauftragter um die Opfer der SED-Diktatur kümmern. Sie haben gesagt, eine Juristin oder ein Jurist, empathiefähig. Welche ist die wichtigste Aufgabe für dieses Amt?
Meckel: Die wichtigste Aufgabe ist, dass es beim Bundestag eine Lobby für diese Gruppe gibt, die es immer schwer hat. Opfer von Diktaturen haben es schwer. Wir haben diese Erfahrung gemacht bei den Opfern des Nationalsozialismus. Das war eine lange Leidensgeschichte, bis sie überhaupt zu ihrem Recht kamen. Das gilt für die Opfer des Kommunismus genauso. Hier eine Ansprechstelle zu haben, hier wirklich auch zu prüfen und diesem Beauftragten die Initiativrechte zu geben, auch Neues zu tun, etwa in der Umkehrung der Beweislast bei Gesundheitsschäden, das scheint mir die wichtigste Aufgabe zu sein. Das heißt, Sammeln der Situation aus der konkreten Praxis der Beratung, die ja vielerorts passiert und die auch weiterhin dezentral passieren sollte, aber diese Informationen zu sammeln und zuspitzen auf die Frage, wo kann die Situation der Opfer noch verbessert werden, und natürlich sich um konkrete Einzelfälle kümmern, wo man einfach sagen muss, hier sind sie nicht weitergekommen.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.