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Ende der Steinkohle
"Die Kumpel haben verdient, dass der Bergbau in guter Erinnerung bleibt"

Am Freitag wird das letzte deutsche Steinkohle-Bergwerk Prosper-Haniel in Bottrop offiziell stillgelegt. Die Arbeit unter Tage sei immer gefährlich gewesen, sagte der ehemalige Steiger Siddik Eminoglu im Dlf. Doch die Kumpel hätten sich aufeinander verlassen können.

Siddik Eminoglu im Gespräch mit Christoph Heinemann | 21.12.2018
    Bergleute stehen auf der Zeche Prosper Haniel im Förderkorb. Das Bergwerk Prosper Haniel ist das letzte aktive Steinkohle Bergwerk im Ruhrgebiet. Ende 2018 schließt die Ruhrkohle AG (RAG) das Bergwerk.
    Bergleute stehen auf der Zeche Prosper-Haniel im Förderkorb: Heute wird das Bergwerk offiziell stillgelegt (dpa / picture alliance / Oliver Berg)
    Christoph Heinemann: Mit kaum einer Berufsgruppe verbindet sich der Begriff "Maloche" so wie mit den Bergleuten im Ruhrgebiet. Die harte Arbeit und die Gefahr hat sie zusammengeschweißt. Nach der Schicht haben sie sich in der Waschkaue gegenseitig den Rücken geschrubbt. Der Bergbau gehört zum Revier wie der Hafen zu Hamburg.
    Zu Hochzeiten in den 50er-Jahren arbeiteten in den Zechen des Ruhrgebiets rund 600.000 Menschen. Wenn heute das letzte Steinkohlebergwerk Prosper-Haniel in Bottrop offiziell stillgelegt wird, dann werden im kommenden Jahr noch einige hundert Kumpel unter Tage mit der Abwicklung und mit der Beseitigung der Folgeschäden beschäftigt sein.
    32 Jahre lang hat Siddik Eminoglu im Bergbau gearbeitet, zuletzt als Steiger. Ich habe ihn vor dieser Sendung gefragt, wie es ihm geht, wenn er heute an das Ende der Steinkohleförderung im Revier denkt.
    Siddik Eminoglu: Ehrlich gesagt sehr schlecht. Vor allem ist das ja eine Industriegeschichte, die nach 150 Jahren der deutschen Steinkohle zu Ende geht. Ich bin seit 1987 dabei, habe einiges mitbegleitet, habe richtig mit angepackt, und aufgrund dessen ist es schade, jammer schade.
    Unterhalten über die gute alte Zeit
    Heinemann: Sie hätten gerne weitergemacht?
    Eminoglu: Definitiv! Auf jeden Fall. Auch wenn die Arbeit sehr hart war, man hat sich daran gewöhnt, und danach mit den Kumpels zusammen hat man was getrunken oder sich unterhalten. Das war das Gute.
    Heinemann: Und das, glauben Sie, ist jetzt vorbei?
    Eminoglu: Ja, gut: Vorbei wird es definitiv sein. Das ist nun mal so. Die Politik hat so entschieden und aufgrund dessen sind uns die Hände gebunden. Wir müssen damit leben. Aber dass man sich immer noch zwischendurch mit den Kollegen, mit den Kumpels trifft und sich unterhält über die alte gute Zeit, das ist ja klar. Das werden wir definitiv machen. Aber trotzdem: Es ist vorbei! Wenn von heute auf morgen zack der Deckel draufkommt, dann sagt man okay, das war es wirklich.
    Heinemann: Sie kennen die Argumente. Die einen sagen, die Kohleförderung ist teuer, die Verbrennung belastet die Luft. Können Sie es verstehen, dass die Politik so entschieden hat, dass jetzt Schluss ist?
    Eminoglu: Ja! Das haben die damals so entschieden. Trotzdem braucht ja Deutschland immer noch Kohle und die wird jetzt nicht mehr in Deutschland gefördert, sondern im Ausland, ob sie jetzt aus Kolumbien kommt, aus Russland, aus Australien. Aber Deutschland braucht ja noch Kohle und das ist nicht wenig.
    "Deutschland hat den Zechen einiges zu verdanken"
    Heinemann: Was denken Sie, wenn Sie hören, dass billigere Kohle importiert wird?
    Eminoglu: Das ist dann, wie man so sagt: Wenn wir Kohle brauchen, warum hat man dann nicht wenigstens eine Zeche offen gelassen? Die Zeche gehörte ja auch zum Ruhrgebiet, wo man sagt, die haben ja schließlich Deutschland mit aufgebaut. Deutschland hat ja einiges zu verdanken, dass die Bergwerke da waren und dass die Kohle gefördert haben, dass Deutschland heutzutage da ist, wo es heute steht.
    Heinemann: Was bedeutet es für das Revier, für das Ruhrgebiet, wenn es keinen Steinkohlebergbau mehr gibt?
    Eminoglu: Natürlich geht ein Stück Kultur verloren. Es gehen Arbeitsplätze kaputt, auch wenn es nur der Zulieferer ist, der Bäcker um die Ecke ist. Vorher hat der seine 2000 Brötchen verkauft und jetzt verkauft er nur noch die Hälfte.
    Heinemann: Sie fürchten wirtschaftliche Folgen?
    Eminoglu: Definitiv! – Auf jeden Fall.
    "Man hat sich aufeinander verlassen"
    Heinemann: Herr Eminoglu, Sie haben eben von der guten alten Zeit gesprochen. Wie unterscheidet sich die Arbeit unter Tage von anderen Tätigkeiten?
    Eminoglu: Die Arbeit unter Tage, da ist es so: Es ist ja immer ein gefährlicher Job gewesen. Da hat man sich auf seinen Kumpel verlassen müssen. Man war dann nicht mehr alleine; man war zu zweit, zu dritt, zu viert, und jede Hand musste sitzen, dass man gesagt hat, okay, ich weiß, wenn ich jetzt da hochgehe, mein Kumpel ist unten drunter, der hält dann die Leiter fest, damit man nicht abstürzt. Das war automatisch drin! Oder ich musste was abmeißeln und ich habe gerade meinen Meißelschutz nicht dabei gehabt; dann hat der Kumpel zu mir gesagt: Warte, hier hast Du meinen Meißelschutz. Man hat sich aufeinander verlassen, blind verlassen sogar.
    Heinemann: Funktioniert diese Solidarität, die Sie unter Tage erlebt haben, auch oben?
    Eminoglu: Definitiv, weil das ja bei uns, bei den Bergleuten in den Köpfen drin ist. Es ist so: Wenn ich jetzt nur mal über einen Weihnachtsmarkt laufe und da sehe ich eine Stolperkante, dann sage ich schon automatisch: Vorsicht, Stolperkante! Aber jemand anderes von über Tage, der würde weniger darauf kommen und seine Kollegen warnen und sagen: Vorsicht, Stolperkante.
    Heinemann: Das heißt, Sie denken für Ihre Kumpel immer mit?
    Eminoglu: Richtig.
    "Mit der Zeit war die Angst weg"
    Heinemann: Herr Eminoglu, Sie sind seit 1987 dabei. Erinnern Sie sich an Ihren ersten Arbeitstag?
    Eminoglu: An meinen ersten Arbeitstag? – Das war natürlich über Tage gewesen in der Ausbildung. Aber mein erster Arbeitstag unter Tage, der war so, dass man dann erst mal mit dem Steiger mitgelaufen ist. Man ist die Fluchtwege abgelaufen, im Falle eines Ereignisses, damit man auch zu wissen hatte, wo man überhaupt lang muss, dass man die Örtlichkeiten erst mal kennenlernt.
    Heinemann: Die Arbeit war immer gefährlich. Hatten Sie Angst?
    Eminoglu: Man hat sich mit der Zeit daran gewöhnt. Später war das ja alltäglich. Angst war dann nicht mehr da, weil man sich ja unten auskannte, sage ich mal. Aufgrund dessen war die Angst mit der Zeit weg. Es sei denn, es war was Besonderes, wenn man jetzt bei der Grubenwehr war und es gab einen Alarm und man musste raus und wusste nicht, was erwartet mich da. Natürlich hat man dann ein bisschen Angst gehabt. Aber im Großen und Ganzen hatte man bei den täglichen Arbeiten eigentlich keine Angst mehr.
    Heinemann: Haben Sie gefährliche Situationen erlebt?
    Eminoglu: Gefährliche Situationen? – Natürlich!
    Gefährliche Situation unter Tage
    Heinemann: Können Sie eine schildern?
    Eminoglu: Zum Beispiel auf dem Weg zum Schacht. Da war eine Strecke, wo es bergab ging. Weil ich spät dran war, habe ich mich beeilt, damit ich noch pünktlich raus komme. Wir haben ja immer unter Tage volle Stunde Seilfahrt. Ist die Seilfahrt weg, muss man eine Stunde warten. Weil ich anschließend noch Termine hatte, habe ich mich dann beeilt. Dann war ich natürlich zügig und bin irgendwie weggerutscht, dass ich vor dem Antrieb stehengeblieben bin. Ich denke mal, noch 20, 30 Zentimeter weiter, dann wäre ich im Antrieb gewesen, unterm Band, und das Band hätte mich mit Sicherheit reingezogen.
    Heinemann: Und das wär’s dann gewesen?
    Eminoglu: Eben!
    "Sehr hohen Wert auf Gesundheit gelegt"
    Heinemann: Herr Eminoglu, viele Kumpel leiden unter schweren Lungenschäden. Viele Bergleute sterben an der Staublunge, und das ist ein qualvoller Tod. Wieso haben Sie sich trotzdem – das wussten Sie ja – für diese Arbeit entschieden?
    Eminoglu: Mein Papa war nicht im Bergbau. Warum habe ich das überhaupt gemacht? Ich wollte eigentlich ein Kfz-Mechaniker werden, hatte sogar eine Ausbildungsstelle gehabt. Da war ich aber auf mich alleingestellt und alle meine Kumpels waren dann im Bergbau, wo ich dann gesagt habe, okay, dann gehe ich auch dahin. Die Ausbildung war schön und gut, aber unter Tage hatte ich natürlich Tage gehabt, wo ich sagte, wie lange soll ich das noch machen, dreckig. Aber auf der anderen Seite: Staubbekämpfung unter Tage – die Maßnahmen gab es ja früher nicht. Die Technik hat sich ja auch weiterentwickelt, dass man sehr hohen Wert auf die Gesundheit gelegt hat, ob jetzt über Tage oder unter Tage. An jeder Bandanlage hatte man so eine Staubbekämpfungs-Einrichtung. Oder beim Fördern der Kohle, beim Abbau der Kohle, dass man da jetzt etwas für die Staubbekämpfung getan hat, das war ja früher alles nicht.
    Heinemann: Wenn der Steinkohlebergbau fortgesetzt würde, hätten Sie dann Ihrem Sohn empfohlen, Bergmann zu werden?
    Eminoglu: Definitiv! – Aber ich habe keinen Sohn, ich habe nur Töchter.
    Heinemann: Ihrem Sohn hätten Sie es empfohlen?
    Eminoglu: Auf jeden Fall.
    Heinemann: Trotz der ganzen Gefahren, trotz der Erlebnisse, auch gefährlichen Erlebnisse, die Sie hatten?
    Eminoglu: Auf jeden Fall! Allein schon im Bergbau zu arbeiten, gehörte ja auch mit zur Erziehung, finde ich.
    "Unter Tage waren wir ja alle gleich"
    Heinemann: Hat unter Tage Ihre Herkunft jemals eine Rolle gespielt?
    Eminoglu: Im Großen und Ganzen gar nicht. Auch wenn man über Tage war – unter Tage waren wir ja alle gleich und mit der Zeit waren wir sowieso alle mehr oder weniger dreckig. Aufgrund dessen hat man einen Arbeitsauftrag gekriegt, man ist dann losgelaufen und hat seinen Arbeitsauftrag erledigt, hat noch dabei gelacht, und auf dem Weg nach Hause hat war immer noch miteinander. Und über Tage hieß es: Glück auf, bis morgen, und das war’s.
    Heinemann: Das heißt, der Bergbau integriert?
    Eminoglu: Definitiv.
    Heinemann: Wie sollte der Bergbau, wie sollte die Kohle in Erinnerung bleiben?
    Eminoglu: In guter Erinnerung – definitiv! Die Kumpels haben sich das verdient, dass der Bergbau in guter Erinnerung bleibt, weil wir auch bis jetzt großartige Leistungen erbracht haben. Darauf sind wir auch stolz, dass wir auch unsere Ziele erreicht haben, dass wir überhaupt so weit kamen. Aufgrund dessen muss der Bergbau in guter Erinnerung bleiben.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.