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Ende der Wehrpflicht

Kurz vor dem NATO-Gipfel in Riga hat die lettische Regierung das Ende der Wehrpflicht besiegelt. Damit das kleine Land seinen internationalen Verpflichtungen mit Soldaten im Irak, in Afghanistan, im Kosovo und in Bosnien-Herzogowina nachkommen kann, bemühen sich die Militärs eifrig um die Verpflichtung junger Leute. Birgit Johannsmeier berichtet.

24.11.2006
    Wenn Guntis Karlsbergs mit seiner Lektion beginnt, kehrt sogleich Ruhe in der Aula des 41. Gymnasiums in Riga ein. Aufmerksam verfolgen 16- und 17-jährige Jungen und Mädchen, wie sie der Oberstleutnant mit temperamentvollen Gesten für einen Dienst in der lettischen Armee gewinnen will. Guntis Karlsberg:

    "Wir wollen zeigen, dass die lettische Armee kein Monstrum ist. Denn pro Jahr benötigen wir ungefähr 300 neue Leute. Wenn sich nach jeder Lektion ein bis zwei Schüler für uns entscheiden, reicht das. Die Soldaten kommen auch noch auf anderem Weg in die Armee. Was aber wird, nachdem jetzt der letzte Wehrpflichtige gegangen ist, das wissen wir nicht."

    Mit eindruckvollen Kampfübungen und modernen Waffen zieht ein Film über die lettischen Streitkräfte die jungen Leute in den Bann. Das war nicht immer so, erinnert sich Janis Karlsberg. Er ist Staatssekretär im Verteidigungsministerium und setzte sich für die Abschaffung der Wehrpflicht ein. Schon im Sozialismus habe kaum jemand freiwillig in der sowjetischen Besatzungsarmee gedient, erklärt Janis Karlsberg. Zwar seien die lettischen Streitkräfte mittlerweile angesehen, viele Wehrpflichtige hätten aber nach wie vor versucht, ihrer Einberufung zu entgehen.

    "Unsere Armee muss schnell einschreiten können, auch außerhalb der lettischen Grenzen. Wehrpflichtige dürfen Auslandseinsätzen verweigern, wir können uns nicht auf sie verlassen. Aber wir sind Mitglied der NATO und werden von der Allianz gebraucht. Deshalb müssen wir in Lettland eine hundertprozentige Berufsarmee aufbauen."

    Einsätze im Irak und in Afghanistan haben viele Soldaten in die lettische Armee gelockt. Aivis Bebris hat soeben ehemalige Wehrpflichtige für vier Jahre verpflichtet und weiß, wie groß die Lust auf Abenteuer in fremden Ländern ist. Zufrieden ist Oberstleutnant Aivis Bebris mit der neuen Berufsarmee trotzdem nicht.

    "In meiner Einheit dienten nur Wehrpflichtige, wir waren für die Versorgung verantwortlich, haben Wache gehalten und Gehwege gereinigt. Aber Profis wollen diese Arbeit nicht tun. Sie wollen kämpfen. Ohne Wehrpflicht fehlt uns Personal."

    In der 41. Schule geht es hoch her, wenn Oberstleutnant Guntis Karlsberg auf richtige Antworten Geschenke verteilt. Hier eine CD-Box, dort eine Geldbörse oder einen Kalender, alles in militärischem Grün mit Telefonnummer und Webadresse der lettischen Armee. Zwar bieten die Militärs heute überdurchschnittliche Gehälter an. Guntis Karlsberg fürchtet aber, dass die Löhne im zivilen Leben schneller steigen und ein Engpass in
    der neuen Berufsarmee entstehen wird.

    "Diese kleinen Geschenke sind unsere Köder. Denn wir bieten auch eine kostenlose Ausbildung und einen stabilen Arbeitsplatz an. Vielleicht erinnern sich die Jugendlichen daran, wenn ihnen am Ende des Schuljahres unser Kalender in die Hände fällt, und entscheiden sich doch für eine Karriere in der lettischen Berufsarmee."