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Ende des Denkverbots für Katholiken

Paul IV., der 1555 den Papstthron bestieg, gilt als der strengste Heilige Vater der katholischen Kirchengeschichte. Er untersagte nicht nur den Bewohnern Roms die Tavernen und den Frauen, den Vatikan zu betreten, sondern er führte auch einen Index verbotener Bücher ein. Erst 1966 bereitete der Vatikan der Zensur ein Ende.

Von Peter Hertel | 14.06.2006
    "Katholische Christen dürfen selber denken",

    lautet eine Schlagzeile, die der Öffentlichkeit die Sensation vom 14. Juni 1966 verkündet: Der Index librorum prohibitorum, die Bücherverbotsliste der katholischen Kirche, ist nicht mehr. Alfredo der Schreckliche, wie Kardinal Ottaviani, Chef der vatikanischen Glaubenskongregation, auch genannt wird, trägt seine Trauer mit Fassung:

    "Das Verzeichnis der verbotenen Bücher ist eines natürlichen Todes gestorben."

    Totengräber des verstorbenen Index war Papst Paul VI. persönlich. Er hatte im Dezember 1965, zum Ende des Zweiten Vatikanischen Konzils, die Reform seiner Verwaltung, der Kurie, angeordnet und dabei den Index praktisch abgeschafft, indem er ihn einfach ignorierte. Das hat kaum jemand gemerkt, bis Ottavianis Glaubenskongregation, ehemals Heilige Inquisition genannt, eine Notiz darüber veröffentlicht. Todesursachen waren, wie Alfredo Ottaviani in einem Interview mit der Vatikanzeitung "Osservatore della Domenica" wissen lässt:

    "Die meisten Bücher, die auf den Index kamen, sind derzeit nur noch wenig bekannt; andererseits sind die vatikanischen Zensoren durch die riesige Buchproduktion des 20. Jahrhunderts und durch die neuen Medien - Radio, Film und Fernsehen - schlicht überfordert. Sie können den Markt nicht mehr überschauen."

    Erlassen hatte das Verzeichnis der verbotenen Bücher anno 1559 Papst Paul IV., der die römische Inquisition neu einrichtete. Der Index war eine Liste von Werken, die Katholiken bei Strafe der Exkommunikation und damit bei Verlust des Seelenheils nicht lesen durften. Die Geschichte der rabiaten Zensur erforscht Hubert Wolf, Kirchengeschichtler in Münster:

    "Die Römische Inquisition ist 1542 gegründet zur Abwehr der protestantischen Häresie - eine Reaktion auf den Protestantismus, der sich des Mediums Buch bediente und wo sozusagen das Buch als das Erfolgsgeheimnis der Verbreitung reformatorischer Gedanken erkannt wurde. Deshalb ist eine der Hauptaufgaben der Römischen Inquisition, praktisch den Buchmarkt zu beobachten, um - jetzt mal in der Sprache der Zeit - zu verhindern, dass sich gesunde Katholiken mit dem protestantischen Virus anstecken. Natürlich, da der Buchmarkt sich immer weiter entwickelte, konnte man natürlich nicht statisch bei einer Liste bleiben, sondern es musste ständig nachgearbeitet werden, wenn neue Bücher erschienen, mussten die in Rom wieder untersucht werden und dann gegebenenfalls verboten werden - oder auch freigesprochen."

    Mehr und mehr wurde das Veröffentlichungs- und Leseverbot auch auf andere Bereiche ausgedehnt - zum Beispiel auf blasphemische und erotische Literatur. 4200 Einzelwerke und 97 Gesamtausgaben standen zuletzt auf dem Index. Böse, gefährliche Autoren waren unter anderem:

    "Balzac, Dumas Vater und Sohn, Heine, Kant, Lessing, Locke, Luther, Pascal, Ranke, Sartre, Spinoza, Stendhal, Voltaire, Zola."

    Inoffiziell wird der Index weitergeführt, und zwar von der mächtigsten und reichsten, vom Vatikan geförderten katholischen Organisation Opus Dei (Werk Gottes,) weiß jedenfalls der englische Priester Vladimir Felzmann, das ranghöchste Mitglied, das der Organisation in den vergangenen zwei Jahrzehnten den Rücken gekehrt hat:

    "Im Opus Dei gibt es einen Index, der vielleicht noch strikter ist als der ursprüngliche vatikanische Index. Deshalb ist es möglich, an Opus-Dei-Universitäten Doktor zu werden in Philosophie und Theologie, ohne dass man Autoren gelesen hat, die man an normalen Universitäten nicht umgehen kann - sozusagen die schlechten, bösen Autoren."

    Zu den 1000 schlechten Autoren gehören unter anderem - nach Berichten ehemaliger Opus-Mitglieder: Scho-penhauer, Nietzsche, Brecht, Küng.

    Kurzum: Am 14.Juni 1966 gab der Vatikan das stille Hinscheiden des katholischen Index bekannt. Aber erzkonservative Katholiken verleihen ihm ewiges Leben.