Freitag, 19. April 2024

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Ende des UNO-Kriegsverbrechertribunals
"Wir brauchen für die Zukunft eine UN-Rechtsakademie"

Nach 24 Jahren stellt das UNO-Kriegsverbrechertribunal in Den Haag heute offiziell seine Arbeit ein. Wolfgang Schomburg war bis 2008 als Richter in Den Haag tätig. Er zog im Dlf eine positive Bilanz des Tribunals. Er hofft auf Nachfolgetribunale und plädiert für eine Ausbildungsmöglichkeit für Richter und Staatsanwälte für solche Fälle.

Wolfgang Schomburg im Gespräch mit Mario Dobovisek | 21.12.2017
    Die Angeklagten Jadranko Prlic, Bruno Stojic, Slobodan Praljak, Milivoj Petkovic und Valentin Coric kommen am 29.11.2017 in den Gerichtsaal des UNO-Kriegsverbrechertribunal zum früheren Jugoslawien in Den Haag.
    Der letzte Verhandlungstag: Die Angeklagten Jadranko Prlic, Bruno Stojic, Slobodan Praljak, Milivoj Petkovic und Valentin Coric am 29. November im Gerichtsaal des UNO-Kriegsverbrechertribunal zum früheren Jugoslawien in Den Haag. (ANP POOL / Robin Van Lonkhuijsen)
    Mario Dobovisek: Nach 24 Jahren macht der Letzte das Licht aus am Internationalen Strafgerichtshof für das ehemalige Jugoslawien in Den Haag, besser bekannt als UN-Kriegsverbrechertribunal. Großer Bahnhof beim Festakt heute, royal und politisch. Exzellenzen und Richter kommen, große Prozesse liegen hinter ihnen und Urteile. 40 Jahre muss Radovan Karadzic zum Beispiel ins Gefängnis, einst Führer der bosnischen Serben, und lebenslänglich sein General Ratko Mladic, verantwortlich für das Massaker von Srebrenica.
    Dann das letzte Urteil Ende November gegen den Kroaten Slobodan Praljak. 20 Jahre Gefängnis bestätigt der Berufungsrichter das ursprüngliche Urteil.
    Der Verurteilte ruft in den Saal, er sei kein Kriegsverbrecher, greift überraschend zu einer kleinen Flasche, legt den Kopf in den Nacken und trinkt. Seine Anwältin übersetzt später, ihr Mandant habe an diesem Morgen Gift getrunken. Die Urteilsverkündung wird unterbrochen. Im Krankenhaus stirbt der verurteilte Kriegsverbrecher.
    Am Telefon begrüße ich Wolfgang Schomburg. Er war der erste deutsche Richter beim UN-Kriegsverbrechertribunal in Den Haag, dort tätig von 2001 bis 2008. Heute lehrt und berät er in Fragen des internationalen Strafrechts. Ich grüße Sie, Herr Schomburg.
    Wolfgang Schomburg: Einen schönen Tag.
    Dobovisek: Der Suizid beim letzten Urteil in Den Haag – wie groß sind Ihre Bauchschmerzen dabei, dass es vor allem dieser Zwischenfall sein könnte, der den Menschen in Erinnerung bleibt, wenn sie künftig an das Tribunal zurückdenken?
    Schomburg: Ich hoffe, dass, wenn mit einigermaßen Abstand auf das Tribunal zurückgeblickt wird, dieses ein sicherlich trauriger Punkt ist, aber einer unter vielen, und dass in erster Linie die Bekämpfung der Straflosigkeit als Erinnerungspunkt bleibt.
    "Alle zusammen arbeiten daran, um ein bisschen mehr Recht zu schaffen"
    Dobovisek: Was sollte tatsächlich im Vordergrund stehen in der Erinnerung?
    Schomburg: In Erinnerung muss bleiben, dass es zum ersten Mal gelungen ist, wider aller Erwartungen, auch die höchst Verantwortlichen in Kriegssituationen zur Verantwortung zu bringen. Bisher war das eigentlich immer ein Krieg, eine rechtsfreie Zone. Die Verantwortlichen haben gegen existierendes Recht verstoßen, aber es wurde nicht verfolgt. Das Internationale Rote Kreuz hatte seit Jahrhunderten gefordert, dass dies endlich ein Ende haben muss.
    Wir haben in Deutschland erlebt, dass die Alliierten eingegriffen haben nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges. Aber jetzt haben wir zum ersten Mal gehabt ein internationales Gericht, was wirklich mit Mitgliedern, Richtern, Staatsanwälten aus aller Welt zusammengesetzt ist, wirklich auch von den Supermächten USA, Ukraine, China, England, Frankreich, Deutschland. Alle zusammen arbeiten daran, um ein bisschen mehr Recht zu schaffen.
    "Sprung in das kalte Wasser"
    Dobovisek: Es war der UN-Sicherheitsrat, der damals das Tribunal 1993 eingesetzt hat. Dann das erste Mal die von Ihnen beschriebene Zusammenarbeit von Juristen aus aller Welt. Wie haben Sie diese Zusammenarbeit erlebt?
    Schomburg: Als einen Sprung in das kalte Wasser, weil so viele Rechtstraditionen aufeinander kommen und eigentlich jeder das eigene Rechtssystem im Gepäck hat und dann konfrontiert ist mit einem angloamerikanischen Rechtssystem, was wohl nicht unbedingt hätte hier in Europa angewendet werden müssen. Aber man musste sich damit abfinden und natürlich war es keine perfekte Prozessordnung, die wir kennen würden, sodass wir oft die Köpfe zusammenstecken mussten - auch in der Hauptverhandlung - und gucken, wie macht es ihr in Sambia, wie macht es ihr auf Malta, um dann zu einem Ergebnis zu kommen.
    "Jeder Tag ohne Überraschung wäre eine Überraschung im Gerichtssaal"
    Dobovisek: Jeden Tag ein neues Ausprobieren also?
    Schomburg: Ja. Die Definition war praktisch von Überraschung. Jeder Tag ohne Überraschung wäre eine Überraschung im Gerichtssaal.
    Dobovisek: Wie wichtig ist die Arbeit und die Entwicklung des Tribunals für die internationale Strafjustiz heute?
    Schomburg: Nun, ich hoffe, dass es wichtig sein wird, denn man hat so ein wenig den Eindruck, dass jetzt, wo sich gezeigt hat, dass tatsächlich solche Tribunale funktionieren, und dass es möglich ist, auch die höchst Verantwortlichen in Politik und Militär zur Rechenschaft zu ziehen, dass einige Staaten doch kalte Füße bekommen und ihnen plötzlich auf die eigenen Füße fallen könnte, dass es internationale Strafgerichtsbarkeit gibt. Das hat man ja schon beim Internationalen Strafgerichtshof gemerkt, der sicherlich ohne diese ersten Erfolge des Jugoslawien-Strafgerichtshofs und auch des Ruanda-Strafgerichtshofs nicht gekommen wäre.
    "Wer A sagt und um Strafverfolgung bittet, der muss auch B sagen"
    Dobovisek: Jetzt gibt es, Sie sprechen ihn an, den Internationalen Strafgerichtshof, den ICC. Alle EU-Staaten unterstützen inzwischen seine Arbeit. Wichtige Länder wie China, Indien, die USA, Russland, also diese Supermächte, die Sie vorhin ja auch wirklich angesprochen haben, die sind nicht mit dabei. Kann der ICC, kann dieser Internationale Strafgerichtshof unter diesen Vorzeichen überhaupt vernünftig arbeiten?
    Schomburg: Das wird sehr schwer werden. Es ist vor allem dann sehr schwer, wenn man sieht, dass der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen Verfahren überträgt an diesen Internationalen Strafgerichtshof, aber dann nicht konsequent ist und beispielsweise in der Situation wie bei Darfur nicht dafür sorgt, dass ausgestellte Haftbefehle – ich denke hier an Herrn al-Baschir – nicht vollstreckt werden von der internationalen Staatengemeinschaft. Wer A sagt und um Strafverfolgung bittet, der muss auch B sagen und dann die Strafverfolgung unterstützen.
    Dobovisek: Heißt das, dass wir nach dem Ende zum Beispiel des Tribunals jetzt in Den Haag wieder zurückfallen in vielen Bereichen in einen rechtsfreien Raum, wie Sie ihn beschrieben haben?
    Schomburg: Ich habe die Hoffnung, dass es auch in Zukunft situationsbedingte Ad-hoc-Tribunale geben wird. Wenn durch einen günstigen Zufall die Großmächte einer Meinung sind und meinen, dass eine Situation jetzt verfolgt werden soll, und dass dann auch das so umschrieben wird, dass sie sich nicht selbst gefährden, hoffe ich, wird es weitergehen. Und man sollte das jetzt auch nicht zu pessimistisch sehen. Sicher sind alle vor dem Gesetz gleich beziehungsweise sie sollten gleich sein, was, wie wir sehen, nicht der Fall ist.
    "Eigentlic h müsste das Recht für Jedermann gleich sein"
    Dobovisek: Aber sollte sich internationales Recht und Rechtsprechung auf so etwas wie günstige Zufälle verlassen sollen?
    Schomburg: Eigentlich nicht. Eigentlich müsste das Recht für Jedermann gleich sein, aber das ist ein Traum und wir müssen sehen. Ich denke, selbst zurück in die 80er-Jahre, wo ich mit anderen zusammen an einem Statut für einen internationalen Strafgerichtshof gearbeitet habe. Aber wir haben niemals daran gedacht, dass es jemals einen solchen Internationalen Strafgerichtshof geben wird. Jetzt gab es das nicht nur für Ruanda und das frühere Jugoslawien, sondern wir haben das auch für Kambodscha und Libanon und etliche andere Situationen wie Sierra Leone und so fort.
    Dobovisek: Das sind alles Konflikte, die inzwischen in der Vergangenheit liegen. Blicken wir auf einen ganz aktuellen Konflikt: Blicken wir nach Syrien. Noch immer tobt da der Bürgerkrieg. Länder wie die USA und Russland spielen mit ihren Militäreinsätzen eine nicht unwesentliche Rolle. Beide machen zum Beispiel beim Internationalen Strafgerichtshof nicht mit. Wer soll etwaige Kriegsverbrechen in Syrien ahnden und aufklären?
    Schomburg: Nun, eine Aufklärung findet ja durchaus schon statt. Es werden ja Beweise gesammelt, genauso wie sie im Vorfeld vom Jugoslawien-Tribunal auch gesammelt wurden von Wissenschaftlern und Praktikern, sodass jederzeit, wenn dieser Konflikt hoffentlich bald mal zu Ende geht, dass dann auch mit Mitteln des Rechtes dieses aufgearbeitet werden kann.
    Es ist natürlich traurig, wenn im Bereich des Strafrechtes immer wieder erst hinterher gearbeitet werden kann, wenn schon viele, viele Tausende, wenn nicht gar Hunderttausende zu Tode gekommen sind, wie es in Ruanda war. Das zeigt eine Lehre: Wir brauchen für die Zukunft meines Erachtens schon eine UN-Rechtsakademie, wo Richter und Staatsanwälte für die Zukunft ausgebildet werden und dann ad hoc in derartigen Situationen eingreifen können.
    Dobovisek: Und auch einen verbindlichen gemeinsamen Internationalen Strafgerichtshof?
    Schomburg: Das ist sicherlich richtig und das ist ganz, ganz wichtig. Aber Sie müssen auch sehen, dass durch den Internationalen Strafgerichtshof und durch diese Ad-hoc-Tribunale die nationalen Rechte sich soweit geändert haben, dass eigentlich viele Länder, zum Beispiel Sie sprachen die EU-Staaten an, jeder Staat in der Lage ist, derartige Menschenrechtsverbrechen selbst abzuurteilen. Deutschland hat da mit den Fällen von Ruanda schon sehr gute Beispiele geliefert, aber auch für das frühere Jugoslawien. Das soll man nicht vergessen, dass dieses auch auf nationaler Ebene als Ultima Ratio möglich war.
    Dobovisek: Wolfgang Schomburg war unter anderem Richter beim UN-Kriegsverbrechertribunal für das ehemalige Jugoslawien, das heute seine Arbeit offiziell beendet. Das Interview haben wir gestern Abend aufgezeichnet.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.