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Endlich Hoffnung auf Frieden

Jeder irische Bürger daheim und im Ausland begrüßt erleichtert und dankbar die heute verkündete Entscheidung von einem Ende der 25jährigen IRA-Kampagne.

Von Georg Gruber | 31.08.2004
    Der irische Ministerpräsident Albert Reynolds am 31. August 1994, dem Tag, an dem die Untergrundbewegung IRA, die Irisch-Republikanische Armee, bekannt gab, alle militärischen Operationen komplett einstellen zu wollen.

    Das ist ein Tag, von dem viele schon geglaubt hatten, sie würden ihn nicht mehr erleben. Ein langer Albtraum geht zu Ende.

    Terroranschläge und Gewalt hatten seit Ende der 60er Jahre den Alltag in Nordirland geprägt. Nun gab es endlich Hoffnung auf Frieden:

    Nach 25 Jahren: Der Krieg ist vorbei

    Titelte des "Belfast Telegraph". Während viele Protestanten skeptisch reagierten, feierte die katholische Bevölkerung in den Straßen Belfasts:

    Junge Männer schwenkten die irische Trikolore und ließen die IRA hochleben,

    schrieb ein Reporter der Süddeutschen Zeitung.

    Hunderte und Aberhunderte von Menschen zogen um Mitternacht über die Falls Road wie zu einem nationalistischen Freudenfest, eine Mischung aus Siegesfeier und Straßenkarneval.

    Die IRA sei unbesiegt und der Waffenstillstand der ehrenvolle Anfang eines neuen Kapitels - so die Meinung vieler Katholiken. Der Konflikt in Nordirland entzieht sich einfachen Erklärungen, es ist kein Religionskrieg, in dem Protestanten Katholiken bekehren wollen oder umgekehrt. Seine Wurzeln reichen zurück bis ins 17. Jahrhundert, als England Protestanten im Norden des katholischen Irland ansiedelte.

    Irische Unabhängigkeitsbestrebungen, wie etwa der Osteraufstand von 1916, waren lange erfolglos. Der Aufstand wurde zum wichtigen Bezugspunkt für die IRA, die zu dieser Zeit entstand. 1921 wurde Irland geteilt, der größere Teil, die Republik Irland, wurde unabhängig. Die Protestanten im Norden und mit ihnen eine katholische Minderheit blieben Teil des Vereinigten Königreichs von Großbritannien und Nordirland. Die IRA verlor an Bedeutung, bis Ende der 60er Jahre in Nordirland Unruhen ausbrachen: Die katholische Bevölkerung fühlte sich diskriminiert durch die Protestanten, sah in den britischen Soldaten bald keine neutralen Schlichter mehr, sondern nur noch Besatzer.

    Gewalt, Gegengewalt, Repressionen, Hass auf beiden Seiten: Mehr als 3000 Tote und 38.000 Verletzte forderte der blutige Konflikt in Nordirland bis zum Waffenstillstand 1994, wobei rund ein Drittel der Opfer auf das Konto protestantischer Paramilitärs ging. Der Gewaltverzicht war Zeichen eines Umdenkens, eine Schlüsselfigur auf katholischer Seite war Gerry Adams, seit Anfang der 80er Jahre Vorsitzender von Sinn Fein, dem politischen Arm der IRA. Sechs Wochen nach der IRA erklärten sich auch die protestantischen Organisationen zu einem Waffenstillstand bereit. Und sie entschuldigten sich:

    In aller Aufrichtigkeit bieten wir den Angehörigen der Opfer der zurückliegenden 25 Jahre unsere Bitte um Vergebung und das Gefühl der Reue an.

    Auch die britische Regierung erklärte sich zu Verhandlungen mit Sinn Fein bereit. Im April 1998 folgte ein Friedensabkommen zwischen Protestanten und Katholiken, das Karfreitagsabkommen, das als Durchbruch gefeiert wurde. Im November 1999 wurde die erste katholisch-protestantische Regionalregierung in der Geschichte Nordirlands ernannt, Nordirland durfte sich selbst verwalten - doch nur für kurze Zeit. Der Streit um die Entwaffnung der IRA entwickelte sich zur zentralen Hürde für den Friedensprozess: die IRA sträubt sich, die Waffen abzugeben, trotz aller Beteuerungen des Sinn Fein -Vorsitzenden Gerry Adams:

    We are opposed to the threat of force to any political purpose. Sinn Fein wants all guns taken out of our society."

    Die Wahlen zu einer neuen Regionalversammlung im November 2003 bescherten den Hardlinern auf beiden Seiten Stimmenzuwächse, Sinn Fein und der Democratic Unionist Party des protestantischen Scharfmachers Ian Paisley. Auch wenn sich der Alltag in Nordirland insgesamt zum Positiven verändert hat, die Zahl der Anschläge und Todesopfer zurückgegangen ist, haben sich doch die Erwartungen, die durch Waffenstillstand und Karfreitagsabkommen geweckt wurden, nicht vollständig erfüllt. Noch immer können gewalttätige Auseinandersetzungen ausbrechen, etwa wegen protestantischer Umzüge durch katholische Viertel oder wenn katholische Kinder auf dem Weg zur Schule bedroht werden. Der Friedensprozess ist ins Stocken geraten, könnte aber durch die Einbindung der Hardliner neue Impulse erhalten. Mitte September sollen sich die Protagonisten des Konflikts im englischen Schloss Leeds versammeln.