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Endlich mal erklärt
Haben Kunstakademien heute noch einen Sinn?

Den eigenen Weg zu finden, das ist für viele Künstlerinnen und Künstler eine Lebensaufgabe. Reines Faktenwissen hilft da nicht viel. Deshalb ist das Studienfach Freie Kunst an den Akademien und Hochschulen eine historische Errungenschaft. Die Lehrenden tragen dabei eine große Verantwortung.

Von Carsten Probst | 20.04.2020
Die Staatliche Akademie der Bildenden Künste Karlsruhe
Ein Ort der Lehre und der Kreativität - die Staatliche Akademie der Bildenden Künste Karlsruhe ((c) Pietro Pellini )
Es stellt sich die Frage, was man unter Kunstausbildung heute überhaupt versteht. Den großen Zeichen- oder Malersaal, in dem die Schülerinnen und Schüler hinter ihren Staffeleien stehen und der Meister umhergeht und korrigiert, gibt es zwar manchmal noch in der Grundlehre. Aber vielfach sind die Studienformen individuell und dialogisch. Denn in der Kunst gibt es ja auch keine verpflichtenden Stile mehr – dafür aber eine Vielzahl anderer, ungeschriebener Gesetze. Die Professorinnen und Professoren liefern also heute idealerweise eine individuelle Unterstützung bei der Suche nach einem eigenen Weg – und zwar in dem Wissen, dass dieser für Künstlerinnen und Künstler überaus schwer zu finden, aber der Anpassungsdruck an den Markt gewaltig ist.
Freiheit der Kunst
So gesehen ist etwa das Studienfach Freie Kunst, das in den letzten Jahrzehnten besonders umkämpft war, seiner ursprünglichen Bestimmung nach eigentlich eine riesige historische Errungenschaft. Denn es gibt kaum etwas Anspruchsvolleres, als sich der Herausforderung zu stellen, künstlerisch frei zu sein. Jede Künstlerin, jeder Schriftsteller, jede Musikerin weiß, dass nichts unbequemer, mühsamer und qualvoller und auch psychisch belastender sein kann als diese Freiheit, der sie ja erst einmal durch die eigene Arbeit einen Sinn und eine Struktur geben müssen. Ein solcher Studiengang kann nicht einfach nach Regelwerk bestimmte Stoffe durchpauken. Von außen wird das gern als staatlich subventionierter Müßiggang dargestellt, doch das geht am eigentlichen Problem vorbei.
Konkurrenz um große Namen
Das Problem ist nämlich, dass die Institution Kunsthochschule auch hier zuweilen immer noch sehr hierarchisch gedacht wird - mit alten Meister-Schüler-Verhältnissen, die der Bestimmung des Faches Freie Kunst widerspricht. Und bis heute konkurrieren Kunsthochschulen, wie auch die Universitäten, bei der Besetzung einiger Professuren um große Namen.
Das führt dazu, dass der Name von Galerien, der Erfolg am Kunstmarkt und im Ausstellungsbetrieb zu Kriterien werden, was die Intention von "Freier Kunst" natürlich ebenfalls ad absurdum führt. Dies um so mehr, wenn Professorinnen und Professoren ihre Stellen eher als eine Art Lebenszeitstipendium für sich selbst interpretieren und sich permanent durch Assistenten vertreten lassen. Dann muss die Politik natürlich schauen, wo die Steuergelder bleiben. Aber den Wert des Kunststudiums kann man nicht einfach volkswirtschaftlich verrechnen. Gerade dadurch sind die Hochschulen ja derart in der Pflicht, diese Art von Studienweg zu pflegen.
Auf einem aufgeschlagenen Kunstlexikon liegt eine Brille
Spezialwissen der Kultur - Endlich mal erklärt Postdramatik? Dystopie? Keine Ahnung. Jede Kulturszene pflegt ihre Fachausdrücke, weil sie griffig sind. Wir erklären endlich mal die Begriffe der Spezialsprachen und antworten auf Fragen, die man sich vielleicht nicht zu stellen traut. Denn Arroganz war gestern.
Die Tendenz, Künstlerinnen und Künstler ihr Studium mit Diplom abschließen zu lassen oder an Kunsthochschulen auch Bachelor- und Masterstudiengänge einzuführen, wird diese Art der Ausbildung verändern. Und sie wird Anschluss an andere Berufsfelder, zum Beispiel im Design oder in der Pädagogik, ermöglichen. Manche sehen darin allerding den Einstieg in die Auflösung des Künstlerberufes.
Zumutungen während des Studiums
Diese Kämpfe um die Umstellung der Studienordnungen, die viele Lehrende, aber auch Studierende vor den Kopf gestoßen hat, habe ich unter anderem am Beispiel der Hochschule für Bildende Künste in Hamburg verfolgt. Tatsache ist: Heute wollen so viele Leute an Kunsthochschulen studieren wie nie. Und nur ein kleiner Prozentsatz wird danach tatsächlich den Beruf ergreifen oder die von vielen als Prostitution empfundene Behauptung auf dem Kunstmarkt für längere Zeit durchhalten. Ihnen gewisse prüfbare Zusatzqualifikationen mitzugeben, scheint so gesehen ein ganz naheliegender Gedanke. Doch für viele sind die heutigen Mischformen aus künstlerischer und theoretischer Diplom- oder Ph.D.-Prüfung auch eine echte Zumutung. Hier sollte es mehr Wahlfreiheit geben.
Der Künstler-Beruf wird sicher nicht verschwinden. Aber er wird sich verändern, so wie sich auch die Kunst verändert. Und eine Hauptaufgabe der Kunsthochschulen muss es sein, die Studierenden vor dem reinen Verwertungs- und Marktdenken zu bewahren und sich nicht auf die Traditionswahrung zurückzuziehen. Wie schwer das in der Praxis ist, zeigt sich jeden Tag.