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Endlich mal erklärt
Ist Kunst heute nur noch Ware?

Moderne Kunst erzielt auf Auktionen Höchstpreise. Sie ist Handelsware, Anlageobjekt und Schmuckstück. Zudem verspricht sie eine doppelte Rendite. Ihr Bedeutungswert und ihr Marktwert wachsen. Für die Künstler ist sie zweck- und wertfrei. Von ihr leben können aber die wenigsten.

Von Carsten Probst | 21.06.2020
Das Kunstwerk "Tulpen" von Jeff Koons vor dem Guggenheim Museum Bilbao
Moderne Kunst blüht: "Tulpen" von Jeff Koons vor dem Guggenheim-Museum Bilbao (imago / imagebroker)
Nähme man Karl Marx als Maßstab, dann wäre Kunst ein gutes Beispiel dafür, was Marx als Grundcharakteristikum des Kapitalismus verstand - dass nämlich der abstrakte Tauschwert eines Dinges seinen Gebrauchswert übersteigt. Schließlich betrachten wir Kunst nicht wirklich als Gebrauchsgegenstand: Sie hat ja keinen klar definierten Nutzen. Also verdinglicht sich in ihr das Kapital.
Alternative Kapitalanlage
Und tatsächlich sehen wir ja seit einiger Zeit auf dem hochspekulativen Markt gerade für Gegenwartskunst, dass sich der Erwerb von hochpreisiger Kunst zu einem Alternativgeschäft für Aktien und andere traditionelle Kapitalanlagen entwickelt hat. Kunst eignet sich zum Handel mit Symbolen für Prestige, wirtschaftliche Potenz oder kulturelle Überlegenheit. Andererseits ist der Kunst- und Auktionsmarkt mit seinen zwei- und dreistelligen Millionenpreisen nur ein kleiner Teil des Kunstmarktes. Die allermeisten Kunstwerke gehen für ein- oder zweistellige tausend Euros an neue Besitzer, manche sogar noch darunter. Auch hier wird für Kunst Geld bezahlt, und in diesem Sinn ist auch hier Kunst eine Ware, nicht zuletzt deshalb, weil Künstlerinnen und Künstler von irgendetwas leben müssen.
Die wahre Ware
Vielleicht ist es gerade dieser Mythos von klaren Kriterien für künstlerische Qualität oder vielleicht sind es die Ideale von Wahrhaftigkeit und Schönheit, die das Geschäft mit Kunst so befeuern. Das "Produkt Kunst" enthält eben auch das Versprechen, an einem Geheimnis der Kunst, einer möglichen verborgenen Wahrheit direkt teilhaben zu können durch den physischen Besitz eben eines solchen geheimnisvollen Kunstobjekts.
Auf einem aufgeschlagenen Kunstlexikon liegt eine Brille
Spezialwissen der Kultur - Endlich mal erklärt Postdramatik? Dystopie? Keine Ahnung. Jede Kulturszene pflegt ihre Fachausdrücke, weil sie griffig sind und zutreffend. Wir erklären endlich mal die Begriffe der Spezialsprachen und antworten auf Fragen, die man sich vielleicht nicht zu stellen traut. Denn Arroganz war gestern.
Über sich hinausweisen
Der Philosoph Theodor W. Adorno mochte den Gedanken der Humanität und der Freiheit der Kunst nicht ganz aufgeben. Er spricht von der Janusköpfigkeit der Kunst, die gleichzeitig Konsumprodukt sei, abhängig von Konsummoden, produziert von einer Kulturindustrie, die aber gleichzeitig auch über die Künstlerautonomie aus der Distanz zu diesen Mechanismen entstehe und das Menschsein selbst in den Blick nehme. Aber dieses Argument kann man natürlich auch genau umdrehen und sagen: Gerade deshalb ist Kunst als Ware attraktiv, weil sie uns glauben macht, sie sei eigentlich mehr als nur Ware.
Von der Kunst leben
Wie sah es in Zeiten aus, in denen es anders war? In denen Kunst also dem hohen Ideal der ästhetischen Wahrhaftigkeit ganz ohne finanzielles Kalkül entsprochen hat? Dafür muss man nicht in die Vergangenheit zurückgehen. Schon oft habe ich zum Beispiel die Situation erlebt, dass Besucher bei Aktionen von jungen Künstlerinnen und Künstlern, die sie vielleicht nicht als Kunst begreifen, sagen: "Und für den Quatsch bekommen die nun einen Haufen Geld!" Aber der Quatsch ist natürlich der Verdacht, Künstler schwämmen im Geld. Die allermeisten können von ihrer Kunst nicht leben, machen das also ganz sicher nicht des Geldes wegen. Übrigens kann man das gerade während der Coronakrise überall sehr gut beobachten, dass es bei vielen um die blanke Existenz geht. Nicht wenige, auch erfolgreiche, leiden unter den ziemlich willkürlichen Regeln des Kunstmarktes. Hier werden in der landläufigen Meinung ziemlich vorschnell Künstlerinnen und Künstler mit dem Kunsthandel und dem Reichtum mancher Sammler identifiziert. Die Rollenmodelle dafür liefern dann Kunstmarkt-Stars wie Damien Hirst oder Jeff Koons.
Romantisches Kunstideal
Der Kunstidealismus um 1800 war scheinbar sehr viel größer als das Marktkalkül. Aber natürlich wurde auch schon damals Kunst verkauft. Damals galt der Kunstmarkt ja sogar noch als etwas, was die Künstlerautonomie stärkt, weil die Künstlerinnen und Künstler sich selbst vermarkten konnten - ohne dazwischengeschaltete Akademien oder Salons. Dafür entstanden dann andere Abhängigkeiten.
Der Unterschied zu heute besteht darin, dass diese Kunstideale einerseits als weit entfernt und obsolet gelten, andererseits aber doch noch als Kriterien für Kunst insgeheim weiter wirken. Ohne diese romantischen Kriterien würde der Kunstmarkt und auch die Spekulation auf die Wertsteigerung von Kunst auch heute nicht mehr funktionieren. Und auf diesem Grundwiderspruch sitzt eben jene Spekulation auf, die Kunst nur noch als Investment sieht. Das ist, bei aller berechtigten Kritik, allerdings eher das Spiel einiger Weniger, und das trübt leicht den Blick dafür, dass es heute überhaupt gar keine einheitlichen Begriffe von Ästhetik oder Kunst mehr gibt.