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Endlich mal erklärt
Können gute Maler auch schlechte Bilder malen?

"Schmierereien" - so war das nahezu einhellige Urteil der Zeitgenossen über Picassos späte Gemälde. Denn sie hatten nichts mehr gemein mit Meisterwerken wie den "Demoiselles d’Avignon" oder "Guernica". Gute Bilder, schlechte Bilder? Der Werte-Kanon der Kunst wird immer wieder neu diskutiert.

Von Kathrin Hondl | 05.04.2020
Eine Frau betrachtet im Pariser Picasso-Museum Gemälde des Künstlers in der Ausstellung "Chefs-d'oeuvre"
Gemälde aus dem Spätwerk Picassos (Kathrin Hondl)
Können gute Maler auch schlechte Bilder malen? Was für eine Frage! Natürlich können sie das. Aber was ist das überhaupt - ein gutes Bild? Und was ist ein schlechtes Bild? Die Kriterien für die qualitative Bewertung von Kunstwerken werden immer wieder neu diskutiert und definiert.
Die Kunstwelt war schockiert, als 1973, kurz nach dem Tod des Künstlers, das Spätwerk Picassos in einer großen Ausstellung in Avignon gezeigt wurde. Als "Schmierereien" befanden Kritiker die letzten Gemälde des "Jahrhundertgenies". Denn Picassos hektisch hingeworfene, skizzenhafte und erotomanische Malerei der letzten Lebensjahre hatte nichts mehr mit jenen Bildern gemein, die als Meisterwerke in den Kanon der Kunstgeschichte aufgenommen waren.
Ähnlich erging es Giorgio de Chirico. Als "gut" galt lange Zeit allein die Metaphysische Malerei der Jahre bis 1918, jene traumähnlichen Stillleben und Stadtlandschaften, die als Vorläufer des Surrealismus gelten. Was de Chirico danach malte, als er sich von der Moderne ab- und den Alten Meistern zuwandte, wurde bestenfalls ignoriert. Der Chef-Surrealist André Breton teilte das Werk de Chiricos gar schlicht in zwei Teile ein - in eine "frühe" und eine "schlechte" Phase.
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Doch der Blick auf die vermeintlich "schlechten" Bilder wandelte sich. Picassos Spätwerk darf mittlerweile als rehabilitiert gelten. Und auch das Werk Giorgio de Chiricos wurde vor einigen Jahren im Pariser Musée d’Art Moderne umfassend gewürdigt, nicht nur die berühmte Metaphysische Malerei, der er sich nur sieben kurze Jahre gewidmet hatte.
"Bad Painting" ist seit den späten 1970er Jahren in der Gegenwartskunst auch ein Konzept. Scheinbar schlechte Bilder funktionieren als oft humorvolle Proteststrategie gegen die Dogmen der klassischen Moderne und ihrer Avantgarden, die sich einst gegen die Konventionen der Tradition auflehnten, aber längst neue Konventionen geschaffen hatten.
Ist "Bad Painting" deshalb auch immer gleich gute Kunst? Natürlich nicht! Der Werte-Kanon der Kunst ist keine abgeschlossene Sache. Was gut oder schlecht ist, darüber wird und muss weiter lebhaft gestritten werden.