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Endlich mal erklärt
Und? Darf ich jetzt klatschen?

Wenn Künstlerinnen und Künstler fertig sind, ist es Zeit für das Publikum. Dank und Anerkennung drückt es mit lautem Beifall aus. Den einen oder die andere reißt es dabei förmlich vom Stuhl. Doch die Verzückung hat auch ihre Grenzen. Besonders im Konzertsaal pochen Kenner auf die Applaus-Regeln.

Von Michael Laages | 15.04.2020
Klatschende Hände auf dem Außerordentlichen Landesparteitag der SPD Thüringen in Erfurt 2014
Momente des Beifalls sind Momente des Glücks (imago images / Karina Hessland)
Endlich! Jetzt sind wir dran. Vorbereitet hatten wir uns auf das, was da gerade zu Ende gegangen ist, haben womöglich viel Geld investiert, um Neues zu erleben, zu erfahren, zu entdecken. Im Theater oder im Konzert, vielleicht auch beim Vortrag eines klugen Kopfes haben wir stundenlang stumm und konzentriert auf mehr oder weniger bequemen Stühlen gesessen und dabei Augen, Ohren, Körper und Kopf ganz weit aufgemacht. Den Mund aber nicht. Höchstens zum Husten. Das zählt aber nicht.
Jetzt aber ist Schluss. Jetzt reden wir. Oder zumindest sprechen unsere Hände – und was sie tun, ist umgangssprachlich eine Spende: Beifall, Applaus. Zugegeben: Manchmal reißen wir auch ganz weit die Klappe auf, quieken sogar wie in Pop-Konzerten oder brüllen "Buh!". Aber in jedem Fall gehört der Augenblick, gehört dieser alles entscheidende Moment am Ende von allen möglichen Dingen uns und nur uns.
Klatsch-Verbot im antiken Griechenland
Selbst in fernen Zivilisationen wird geklatscht. Vielleicht hat dieses Hände-aneinander-Schlagen auch andere Bedeutungen – aber das Ritual der Künste gehört speziell der kulturell-europäischen Zivilisation. Historische Forschungen erzählen vom Klatsch-Verbot im antiken Griechenland. Was umgekehrt ja heißt, dass es eigentlich normal war. Im römischen Circus Maximus gab’s Daumenrauf und Daumenrunter, aber eben auch Beifall.
Nicht geklatscht wird eigentlich in Kirchen: Da mag der Pastor noch so grandios durch die Gleichnisse driften oder die Orgel himmlisch klingen. Und auch das Kinopublikum lässt selbst die schärfsten Stories unbeklatscht – aus tiefer Ahnung, dass es sich ja doch nur um ein Industrieprodukt handelt, eine von ungezählten Kopien, die wir da gerade angeschaut haben. Aura? Nix da. Nur die echte Filmpremiere, vor allem bei Festivals und in Anwesenheit des Ensembles, macht die Ausnahme.
Applaus-Polizei im Konzertsaal
Bei der Musik sieht’s ganz anders aus: Hier schreitet gar die Applaus-Polizei ein. Denn sehr gebildete Menschen wissen, aus wie vielen Sätzen zum Beispiel eine Sinfonie besteht. Und sie halten es gemeinhin für ein Sakrileg, wenn dazwischen geklatscht wird. Darauf antworten sie dann mit kräftigem Zischen, was ja auch eine Art Beifall ist: als Meinungsäußerung. Im Opernhaus sollte der letzte Ton verklungen sein, bevor ein Hände-Paar sich regen darf. Diese Stille vor dem Sturm nutzen Empörte übrigens gern für den ganz großen Auftritt. Wie vor langer Zeit ein völlig haltloser und unzivilisierter Wagnerianer in Hamburg, der schon im Nachhall der letzten "Tristan"-Töne losbölkte und die Regisseurin attackierte: "Frau Berghaus sollte man erschießen!"
Im Schauspiel geht’s friedlicher zu. Beifall zwischen vier Akten Tschechow ist eher willkommen, zur Pause - wie in der Oper - sowieso. Gelegentlich bekommt mal ein Bühnenbild Extra-Beifall, sobald der Vorhang sich hebt oder öffnet. Auch starke monologische Passagen haben Chancen auf Sonderbeifall: Mein persönlich allerschönster Extra-Applaus galt vor gut drei Jahrzehnten in Hamburg dem auch generell ganz einzigartigen Schauspieler Hermann Lause. Der war noch gar nicht zu sehen auf der Bühne, kündigte aber aus den Seitengassen der Bühne mit einer so umwerfend komischen Bemerkung den eigenen Auftritt an, dass das Haus ihm schon jetzt jubelnd zu Füßen lag.
Den zweitschönsten Applaus rief am selben Hause das Ensemble von Christoph Marthalers Aufführung "Stunde Null" hervor, als alle gemeinsam eine (gefühlte) halbe Stunde lang erfolglos Liegestühle aufzubauen versuchten und immer wieder mit ihnen zusammen brachen. So viel Zwerchfell-Zittern gab’s nie und nirgends wieder.
Auf einem aufgeschlagenen Kunstlexikon liegt eine Brille
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Den schönsten Spezialbeifall provozierte Christoph Schlingensief. Bei ihm war der Applaus der Gehörlosen zu lernen: mit den Armen hoch über den Kopf gereckt und fleißig hin und her wedelnden Händen, optisch etwa wie das Blaulicht bei Polizei und Feuerwehr.
Sehr spezieller Beifall war in der DDR üblich - und ist es angeblich seit langem schon in Ungarn: rhythmisches Klatschen wie beim Parteitag. Diese Sitte hat überlebt und sogar Echos im Westen gefunden. Ganz weit weg, in Brasilien, gibt’s den rasantesten Beifall: Sofort stehen alle auf (als "Standing Ovations" hierzulande eine eher seltene Ehrung), aber keine zwei Minuten später ist auch schon wieder Schluss. Der letzte Omnibus wartet.
Wie hat das Ensemble "Os Satyros" aus São Paulo gestaunt, als es einst mit Dea Lohers Stück "A vida na Praça Roosevelt" nach Deutschland und zum "Stücke"-Festival nach Mülheim an der Ruhr kam – und nicht im Schnellstdurchlauf beklatscht wurde, sondern über 30 Mal vor den Vorhang kommen musste. So begeistert war das Publikum! Unvergesslich war auch das, nicht nur für’s brasilianische Ensemble.
Beifallslose Stille
Solche Beifallsmomente sind pures Glück. Im weniger glücklichen Fall mischt Beifall sich mit Protest: Applaus gibt‘s für’s Ensemble, Gezeter für die Regie. Dass eines ohne das andere gar nicht geht, ist in solchen Momenten leider niemandem zu erklären. Wenn Theater-Inszenierungen den "Eisernen Vorhang" herunter lassen, hofft das Team oft auf möglichst gar keinen Beifall – so war’s bei einem meiner frühen beifallslosen Erlebnisse im schönen kleinen Schlosstheater in Celle. Gespielt wurde "Der Stellvertreter" von Rolf Hochhuth – und nach diesem Stoff war kein Beifall vielleicht die beste Reaktion. Als Schüler jedenfalls leuchtete mir das unbedingt ein.
Beifall und Applaus "als Brot des Künstlers" und der Künstlerin? Naja. Selbst in der Zeit, aus der das romantische Wort stammt, ging auf den Marktplätzen immer der Hut herum für die reisenden Kompanien. Von halbwegs angemessenen Gehältern sprach da noch niemand. Nein – Beifall ist schon sehr schön und im Theater ein Zeichen von menschlicher Zuneigung den Künsten wie den Künstlerinnen und Künstlern gegenüber. Er ist aber nie genug.