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Endlich mal erklärt
Warum gibt es so wenige Komponistinnen?

Clara Schumann wurde als Pianistin gefeiert, als Komponistin aber lange kaum wahrgenommen. Frauen mussten bis ins 20. Jahrhundert um Anerkennung als Tonkünstlerinnen ringen. Viele ihrer Werke sind immer noch unentdeckt. In der Neuen Musik scheint heute hingegen Parität zu herrschen.

Von Jörn Florian Fuchs | 25.05.2020
Das romantsiche Porträt zeigt Clara Schumann im  Alter von 17 Jahren
Clara Schumann, virtuose Pianistin und Komponistin, lebte von 1819 - 1896 (dpa / picture alliance / akg-images)
Die Frage stellt sich heute mit einer gewissen Vehemenz, doch lange Zeit wäre sie wohl kaum jemandem in den Sinn gekommen: Warum gibt es so wenige Komponistinnen? Das ist erst einmal ganz einfach zu beantworten: weil die Musik wie auch die Malerei oder die Literatur überwiegend Männersache waren. Zwar duldeten die Herren der Schöpfung gelegentlich auch das andere Geschlecht in ihren - als selbstverständlich angenommenen - Gefilden, doch herrschte bis in die Gegenwart ein herablassender Blick auf Komponistinnen. Tonkunst war zwar für alle, aber die Damen sollten lieber interpretieren statt komponieren. Zudem war den meisten auch der Weg zu einer ernstzunehmenden Ausbildung verwehrt.
Der Weg in die Archive
Seit wenigen Jahrzehnten verändert sich das. Dabei aber bedarf es zum Teil tiefer Blicke in die Archive, um zu klären, welche Komponistinnen und welche Werke es überhaupt gibt. Da ist zum Beispiel die Italienerin Francesca Caccini, geboren 1587 in der Kunststadt Florenz. Sie war eine bedeutende Sängerin, die sich ihre Lieder auch gerne selbst in die Kehle schrieb. Ihre erste Oper "La Stiava" wurde 1607 uraufgeführt. Viele weitere Werke folgten; die meisten sind jedoch verschollen. Als Komponistin war Caccini zweifelsohne auf der Höhe ihrer Zeit. Oder Wilhelmine von Bayreuth, ohne die es niemals die Kulturstadt gleichen Namens geben würde. Sie schrieb 1740 mit "Argenore" ein Stück, in dem sie sich an ihrem Vater, dem Soldatenkönig Friedrich Wilhelm I., und manch anderen Familienmitgliedern abarbeitete. Es ist ein düsteres Drama mit sehr vielen Toten am Ende.
Kunstfreiheit und Frauenfreiheit
Oder die englische Dirigentin und Komponistin Ethel Smyth (1858-1944), die sich in der Suffragetten-Bewegung engagierte, ihre lesbische Liebe offen lebte und gegen heftigste Widerstände der Männerwelt mehrere Opern zur Premiere brachte. Etwa "The Wreckers" aus dem Jahr 1906. Ein packendes, brillantes Musiktheater, welches man heute mühelos überall spielen könnte, wenn nicht etliche Intendanten und auch Intendantinnen nach wie vor Zurückhaltung gegenüber Komponistinnen üben würden. Es scheint immer noch interessanter und vermeintlich publikumswirksamer zu sein, etwa einen unbekannten, zweitklassigen Gaetano Donizetti, von denen es einige gibt, ans Licht der Opernwelt zu zerren.
Natürlich darf und soll es rein um Qualität gehen und nicht um eine Quote. Bei den Zahlen aber besteht viel Nachholbedarf. In der unmittelbaren Gegenwart sieht die Sache erfreulicherweise anders aus. Nicht im Bereich der Oper, die ist immer noch eine eher männliche Domäne, aber auf den diversen Festivals für Neue Musik geht es ziemlich fair und ausgeglichen zu.
Auf einem aufgeschlagenen Kunstlexikon liegt eine Brille
Spezialwissen der Kultur - Endlich mal erklärt Postdramatik? Dystopie? Keine Ahnung. Jede Kulturszene pflegt ihre Fachausdrücke, weil sie griffig sind und zutreffend. Wir erklären endlich mal die Begriffe der Spezialsprachen und antworten auf Fragen, die man sich vielleicht nicht zu stellen traut. Denn Arroganz war gestern.
Weiblicher Klangkosmos
Bleibt die Frage, ob Frauen eigentlich anders als Männer komponieren. Die eindeutige Antwort: jein. Das Spektrum von der flirrende Klangflächen liebenden Finnin Kaija Saariaho bis zu den kopflastigen Tonwelten der Britin Rebecca Saunders ist breit. Vielleicht wird in der Betrachtung von Extrempositionen ein halber Schuh daraus. Richard Wagners Gigantomanie in Musik, Wort und Denken - würde das zu einer Frau passen? Intuitiv würden vielleicht viele sagen: nein. Allerdings scheint dieses Thema weitaus komplexer zu sein. Denn wenn man wirklich weibliche von männlichen Klängen, Tönen, Stimmungen unterscheiden möchte, ist das biologische Geschlecht wohl eher Nebensache, da wäre die Frage nach der sexuellen Identität deutlich spannender.