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Endlich mal erklärt
Was ist ein Stararchitekt?

Bauten wie die Glaspyramide des Louvre, das Opernhaus in Sidney oder das Münchner Olympiastadion haben seit den 1970ern aus Architekten Stars gemacht. Inzwischen suchen Investorinnen und Bauherren oft mehr nach großen Namen als nach großen Ideen. Wann aber ist der Starruhm gerechtfertigt?

Von Nikolaus Bernau | 15.05.2020
Die irakisch-britische Architektin Zaha Hadid entwarf das Heydar Aliyev Center in Baku. Das 2014 fertiggestellte Gebäude gilt als eins der modernen Symbole der aserbaidschanischen Hauptstadt
Moderne Architektur in Aserbeidschan: das Heydar Aliyev Center in Baku, entworfen von der Stararchitektin Zaha Hadid (picture alliance / dpa / Robert Ghement)
Wer ein Stararchitekt ist, kann relativ leicht festgestellt werden: Er muss männlichen Geschlechts sein, möglichst weißer Hautfarbe, derzeit zwischen 60 und 100 Jahre alt - und weit über die Architektenwelt hinaus bekannt. Frauen widerfährt nach wie vor eher selten die Ehre, in diesen illustren Kreis aufgenommen zu werden. Oft haben Stararchitekten äußere Erkennungsmerkmale wie eine runde Brille oder strenge schwarze Rollkragenpullover. Sie sind eine Marke. Das verbindet Künstler wie Rem Koolhaas, Frank O. Gehry, Peter Eisenmann, den inzwischen verstorbenen Oscar Niemeyer, Herzog und De Meuron oder Peter Zumthor.
Zwar gab es schon früher Stars der Architektenwelt: Ludwig XIV. etwa holte sich Lorenzo Bernini nach Paris, um das uralte Problem der Louvre-Vollendung zu lösen. Doch als der Künstler keine angemessene Lösung fand, wurde er höflich verabschiedet. Die Rollen von Auftraggeber und Auftragnehmer blieben klar getrennt. Stararchitekten wie Daniel Libeskind dagegen konnten zu ihren Hochzeiten Einfluss etwa auf die Stadtpläne von Berlin und New York nehmen oder den Denkmalschutz in Toronto aushebeln.
Beginn in den 1920ern
Die moderne Geschichte des Stararchitektentums beginnt wohl mit dem Bauhaus-Direktor Walter Gropius und seinem schweizerisch-französischen Antipoden Le Corbusier. Beide begannen in den 1920er Jahren, weit über die Architektenwelt hinaus in populären Magazinen, im Radio, später im Fernsehen einen Kult um sich aufzubauen. Seit dem Neoliberalismus der 1980er und dem damit verbundenen Kult um das individuelle Genie aber wurde das Stararchitekten-System entwickelt.
Von Stararchitekten wird nämlich mehr erwartet als nur ein Entwurf: Sie sollen komplizierte Probleme mit einem Schlag lösen, so wie angeblich Frank Gehry einst die Strukturprobleme der Industrie- und Hafenstadt Bilbao mit seinem sensationellen Guggenheim-Museum anging. Oder wie Herzog und DeMeuron demnächst das reichlich verschlafene Berliner Kulturforum mit einem gigantischen neuen Ziegelscheunen-Museum zum Leben erwecken sollen – egal, was Denkmalpfleger, Architekten, Stadtplaner, Museumsfachleute oder Stadthistoriker sagen. Der Stararchitekt kann das nämlich idealer Weise alles besser als andere Fachleute.
Auf einem aufgeschlagenen Kunstlexikon liegt eine Brille
Spezialwissen der Kultur – Endlich mal erklärt Postdramatik? Dystopie? Keine Ahnung. Jede Kulturszene pflegt ihre Fachausdrücke, weil sie griffig sind. Wir erklären endlich mal die Begriffe der Spezialsprachen und antworten auf Fragen, die man sich vielleicht nicht zu stellen traut. Denn Arroganz war gestern.
Ungerechter Begriff
Genau deswegen sollte dieser Begriff verboten werden. Wer wollte Jean Nouvels neuem Museum in Abu Dhabi das Geniale absprechen, oder dem Centre Pompidou von Richard Rogers und Renzo Piano, oder Zaha Hadids – die einzige Frau, die diesen Titel aus eigener Kraft erwerben konnte – Universitätsbibliothek in Wien? Doch gebaut werden konnten sie nicht des Entwurfs wegen, sondern wegen der Arbeit der Vielen in den Architekturbüros, der Gesetze und der Politik, der Investoren und Auftraggeber, der Arbeiter auf den Baustellen, der Ingenieure. Der Begriff "Star" strahlt alle diese Menschen weg.