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Endlich mal erklärt
Was machen Kuratorinnen und Kuratoren?

Ihre Aufgabe ist es, die Kunst ins rechte Licht zu setzen. Kuratorinnen und Kuratoren gestalten Ausstellungen, kümmern sich um Sammlungen, forschen und publizieren. Ein wunderbarer, ein zehrender, bisweilen auch ein undankbarer Job. Denn die Aufmerksamkeit gilt immer der Kunst.

Von Christian Gampert | 19.05.2020
Harald Szeemann im Juni 2001 auf der Biennale in Venedig. Szeemann starb im Jahr 2005.
Ein Star seiner Zunft: der Kurator Harald Szeemann (dpa)
Der Kurator und die Kuratorin sind immer in Sorge. Curare, lateinisch: sorgen, Sorge tragen, sich kümmern, verwalten, behandeln, pflegen. Ob kurieren oder doch besser kuratieren: Der Beruf scheint eine Mischung aus medizinischen und bürokratischen Tätigkeiten zu sein. Und das stimmt ja auch. Ein Kurator ist für den einwandfreien Zustand der ihm anvertrauten Kunstwerke zuständig.Er muss sie katalogisieren, pflegen, wissenschaftlich erforschen und schließlich auch präsentieren, in einem möglichst attraktiven, für eine große Öffentlichkeit erreichbaren Schaufenster – im Museum.
In einer Ausstellungsarchitektur, die die Kunstwerke leuchten lässt. Mit einer originellen, intelligenten, möglichst noch nie dagewesenen Themenstellung. Früher nannte man den Kurator auch Kustos, den Kustoden der Sammlung, wörtlich: eine Art Wächter oder Kirchendiener, der aber gleichzeitig auch wissenschaftlicher Sachbearbeiter sein sollte. Auch hier ist der Konnotationsraum des Ausdrucks völlig richtig, denn der Kustos dient seiner Kirche, dem Museum. Er wacht über die Kunstwerke, die er erforscht. Er ist immer im Dienst.
Ideen-Lieferanten
Die meisten Kuratoren und Kuratorinnen arbeiten an Kunsthallen oder Museen (auf die wir uns hier beschränken). Mittlerweile hat es sich aber auch bei Film- und Theaterfestivals eingebürgert, die Programm-Macherinnen und -Macher als Kuratoren zu bezeichnen. Das spiegelt die Einsicht, dass hinter einem Festival-Programm ebenso wie hinter einer Ausstellung eine Idee stehen sollte.
Meistens ist das ja auch so. Wenn nicht, kommt das schnell heraus. Dann geht es der Kuratorin schlecht. In den allermeisten Fällen jedoch sprudeln Museums-Kuratoren über vor Einfällen, die sie dann in eine oder mehrere Thesen oder in eine noch nie dagewesene Retrospektive packen. Deshalb gibt es Thesen-Ausstellungen, Überblicks- und Themen-Ausstellungen und sogenannte Rückschauen oder Hommagen an ein Lebenswerk.
Zwei Arten von Kuratoren
Grundsätzlich kann man zwei Arten von Kuratoren unterscheiden: diejenigen, die sich mit alter Kunst beschäftigen, mit dem Kanon (der allerdings bis in die klassische Moderne reicht). Und diejenigen, die sich mit Gegenwartskunst befassen. Die einen müssen sich vor ihrer Zunft, ihrer Gilde beweisen: der Kunstwissenschaft. Denn jeder Katalog, jeder Kommentar, jede Ausstellung muss den neuesten Stand der Forschung spiegeln – und zwar egal, ob es sich um religiöse Werke des 14. Jahrhunderts, um die Kunst der Renaissance oder des Barock oder um einen Blick auf das 19. Jahrhundert handelt.
Hier wird "lege artis" gearbeitet, ein bestimmtes Niveau wird selten unterschritten, und man unterhält sich von Spezialist zu Spezialistin. Die Kuratoren-Kollegen und die Damen und Herren Professores kommen ja verlässlich, um die Ausstellung, das neue Werk in Augenschein zu nehmen. Dass das Publikum auch was davon hat, versteht sich meist von selbst – und wenn das Thema scheinbar entlegen, in Wahrheit aber Blockbuster-tauglich ist, hilft schon im Vorfeld die Werbeabteilung mit einer großen Kampagne.
Die Kuratorin als Prophetin
Ganz anders die Kuratorin, der sich der Gegenwartskunst widmet. Als Ausstellungs-Organisatorin ist sie eine Art Leibeigene und treue Jüngerin des Künstlers, den sie betreut; eine Sonderbotschafterin des neuen Stars, eine Prophetin aufkommender Moden, Stile, Einsichten und, ja, Weltsichten. Sie präsentiert den neuen Künstler, die neue Künstlerin ja nicht, weil sie sie für verrückt und absonderlich hält, sondern weil sie an ihn oder sie glaubt, weil sie seine und ihre Karriere entscheidend voranbringen möchte, auch auf dem Kunstmarkt. Und weil sie deshalb vielleicht schon mal eine kleine Zwischenbilanz organisiert, als erste Retrospektive während der Midlife-Crisis.
Sie liest dem Künstler jeden Wunsch von den Lippen ab, erträgt jede Laune, macht jede noch so obskure Wendung in der ästhetischen Entwicklung des Genius (oder der Genia) widerspruchslos mit, findet jeden Schwachfug originell, rollt rote Teppiche aus, vermittelt Interviews, fühlt sich als Spitze der Avantgarde, fast noch mehr als der Künstler selber. Obwohl sie, im Gegensatz zur Galeristin, diese Kunst nicht verkaufen muss, macht sie sich oft zur Freundin und Förderin, zur Pressesprecherin merkwürdigster Tendenzen.
Brancheneigener Jargon
Vor allem aber ist sie die erste Interpretin der neuen Kunst, des neuen Stars. Weil diese Kunst meist nicht fürs Volk, sondern für Käufer, Sammler und Investoren gemacht ist, für die Auserwählten des engeren Zirkels oder Mitglieder der Karawane, die sich von der Art Basel zur Biennale nach Venedig bewegt. Weil das so ist, muss die Gegenwartskunstkuratorin möglichst unverständlich reden, sich einen eigenen Jargon zulegen, die Werke des neuen Messias im Vokabular postmoderner Glaubensbekenntnisse preisen.
Das klingt dann manchmal ziemlich lustig, wie eine Selbstparodie. Ich versage es mir, einige besonders schlagende Beispiele aus meinem Posteingang herauszugreifen; die Urheber dieser berüchtigten Kuratorenprosa würden das Skurrile ihres Tuns sowieso nicht sehen können. Denn wie Marxologen, Theologen oder Astrophysiker verfügen auch Kuratoren über eine ganz eigene Spezial- und Privatsprache, die man sich in einem langen Studium aneignet und im Lauf der Jahre perfektioniert.
Auf einem aufgeschlagenen Kunstlexikon liegt eine Brille
Spezialwissen der Kultur - Endlich mal erklärt Postdramatik? Nie gehört. Dystopie? Keine Ahnung. Jede Kulturszene pflegt ihre Fachausdrücke, weil sie griffig sind und zutreffend. Wir erklären endlich mal die Begriffe der Spezialsprachen und antworten auf Fragen, die man sich vielleicht nicht zu stellen traut. Denn Arroganz war gestern.
Obwohl die Gegenwartskunst-Kuratorin dem Gegenwartskunst-Produzenten also dienstbar und bisweilen hörig ist, und obwohl der Künstler selber oft durch exzentrische Werke und das entsprechende Benehmen auf sich aufmerksam gemacht hat, so ist doch die Kuratorin am Ende diejenige, die den Künstler oder die Künstlerin "gemacht" hat, durchgesetzt hat, am Markt platziert hat, wie man so schön sagt, und eben: in die Museen gebracht hat.
Auch Einkaufsberaterinnen
Nicht selten soll auch die Gegenwartskunstkuratorin unter den Sammlern wegweisender Werke sein – sofern es ihre finanziellen Möglichkeiten erlauben. Oft ist sie auch nur als Beraterin finanziell potenter älterer Damen und Herren tätig. Aber auch das hat Vorteile.
Der große Rest der Kuratorinnen und Kuratoren, die ihr Leben der Wissenschaft und der Darbietung des Kanons (und seiner Nebenstraßen) geweiht haben, sieht da natürlich alt aus. Und ist es auch: Die Kunst, auf die diese Kuratoren sich verstehen, ist ja schon etabliert. Sie ist auf dem Kunstmarkt meist nicht mehr präsent, und wenn, dann in Dimensionen, die nur den Scheichs und Milliardären dieser Welt vorbehalten ist. Wo also auch die staatlichen Museen meist nicht mehr mitbieten können.
Wegweisende Kuratorinnen und Kuratoren
Aber was ist dann die eigentliche kuratorische Arbeit? Verwalten, Wissen anhäufen, Konzepte produzieren? Mit Ausstellungs-Architekten streiten, Sponsoren akquirieren, Hängungen ausprobieren? Von allem natürlich ein bisschen. Wenn wir allerdings auf diejenigen schauen, die ihren Job wirklich können (oder konnten), die in diesem zunehmend kommerzialisierten Betrieb etwas in Bewegung gesetzt haben, dann kommen wir um eine triviale Erkenntnis nicht herum: Die wegweisenden Kuratorinnen und Kuratoren verfügen nicht nur über eine solide Bildung, sondern über ein sehr eigenständiges Weltbild und das entsprechende Durchsetzungsvermögen.
Eine Gestalt wie der Schweizer Harald Szeemann, wahrscheinlich der wichtigste Kurator der letzten Jahrzehnte, hat sich nie um das Gerede der Traditionalisten geschert. Er war einfach zur rechten Zeit am rechten Platz, nämlich sehr früh, mit 27 Jahren, auf dem Direktorenposten der Berner Kunsthalle. Das war 1961. Allerdings hatte er schon als Student ein Ein-Mann-Theater betrieben und war intellektuell breit aufgestellt: zwischen Literatur, Theater und Kunst, zwischen Psychologie und Kulturgeschichte. Es war einfach an der Zeit, den Kunstbegriff zu erweitern, und Szeemann tat es.
Er stellte die Bilder von Psychiatrie-Insassen aus und ließ Christo und Jeanne-Claude die Berner Kunsthalle verhüllen. Die Ausstellung "When Attitudes Become Form" fasste 1969 den gesamten künstlerischen (und kuratorischen!) Prozess der Gegenwart zusammen. Der weitere Weg zum "documenta"-Macher, der das Kunst-Festival als eine Art performatives Ereignis begriff, und zum freien Kurator, der die antibürgerlichen Aufbrüche seiner Generation zu bündeln wusste, war dann vorgezeichnet.
Okwui Enwezor
Die zweite wegweisende Kuratoren-Figur der letzten Jahre war, etwas später, der aus Nigeria stammende Okwui Enwezor, der in den USA studiert hat. Enwezor kritisierte ab den 1990er-Jahren den auf Europa und die USA fokussierten Kunstbetrieb und verschaffte der Kunst der so genannten "Dritten Welt", zumal der afrikanischen, ein weltweites Forum. In der von ihm dezentral kuratierten documenta 2002 schaute die Betrachterin nicht mehr auf diese "Dritte Welt" als das Fremde, sondern das Fremde schaute auf uns zurück. Dokumentation und Videokunst spielten auf einmal eine Hauptrolle. Auch wenn manche seine postmodernen Ausstellungen im Münchner "Haus der Kunst" nicht besonders mochten, das er in den Jahren vor seinem frühen Tod 2018 leitete, so hat Enwezor doch etwas Ungeheures in Gang gesetzt: einen postkolonialen Perspektivwechsel, der die angeblich nur "Dritte Welt" als gleichwertig betrachtet und auch den Kunstmarkt kritisiert – 2015, als Kurator der Biennale von Venedig, ließ Enwezor monatelang "Das Kapital" vorlesen.
Auch wenn Enwezor natürlich ein finanziell bestens ausgestatteter Trendsetter und Weltreisender war: Er hatte seinen Wahrnehmungsapparat sehr nah an den politischen Veränderungen der Zeit, an der Globalisierung. Und es ist kein Zufall, dass ausgerechnet zwei Inszenatoren von Gegenwartskunst die wichtigsten Kuratoren der letzten Jahre waren: Dort kann man als Windbeutel und Schaumschläger auftreten, aber dort kann man auch wirklich etwas in Bewegung setzen.
Herausfordernde Blockbuster-Ausstellungen
Die am traditionellen Kanon orientierten Kuratorinnen und Kuratoren haben es da viel schwerer. Um ein großes Publikum zu erreichen und eine Blockbuster-Ausstellung zu platzieren, müssen sie ein etabliertes Werk aus einer völlig neuen Perspektive erzählen – so wie kürzlich in der großen Van-Gogh-Ausstellung im Frankfurter Städel, die die Frage untersuchte, wie der Mythos um diesen Künstler überhaupt entstand. Oder man macht eine Minderheiten-Ausstellung und erfindet ein Thema, das es eigentlich gar nicht gibt – wie im Moment die "impressionistische Skulptur", ebenfalls in Frankfurt; ein Genre, das man erst mal konstruieren muss…
Natürlich haben es Kuratoren an großen Häusern in Berlin, Köln, Düsseldorf, Frankfurt oder München weitaus leichter als die Kollegen an kleineren Instituten. Aber sie alle machen einen Knochenjob, sie alle arbeiten viel zu viel. Ein Großteil der heute tätigen Kuratorinnen und Kuratoren ist weiblichen Geschlechts - Kunstgeschichte gilt nach wie vor Vielen als Fach der angeblich höheren Töchter.
Und Arbeit und Familie sind im Museum nicht gerade einfach zu vereinbaren. Kuratorinnen fahren ständig durch die Welt (im Moment vielleicht etwas weniger). Sie kennen jedes noch so entlegene Kunstwerk. Sie haben noch entlegenere Kommentare dazu gelesen. Sie überreden mit Schafsgeduld alle noch so narzisstischen Sammler und potentiellen Leihgeber, weil sie deren Besitz für ihre Ausstellung unbedingt brauchen. Nebenbei schreiben sie wunderbare Aufsätze, die alle im Katalog erscheinen, die aber niemand liest. Oder nur die Fachleute. Der normale Ausstellungsbesucher schaut vielleicht die Bilder nochmal an und liest in einen Aufsatz hinein, aber er hat gar nicht die Zeit, die wissenschaftliche Arbeit der Kuratoren zu würdigen.
Immer in der zweiten Reihe
Kurator, Kuratorin: das ist ein wunderbarer, zehrender, bisweilen auch undankbarer Job, eine Sekundär-Existenz. Immer im Schatten der Künstler, immer in der zweiten Reihe, aber immer in Kontakt mit der Kunst – also mit dem, was einem lebenswichtig ist. Karriere? Ach ja… Bestenfalls wird man Museums-Direktorin, sehr gut bezahlt, aber dann ist man eine Art Managerin. Immerhin noch in Kontakt mit den Werken. Aber mehr mit Personalsteuerung und Geldströmen beschäftigt.
Für den Kurator, der reiner Ausstellungsmacher bleibt und seine Arbeit mit Engagement betreibt, ist die Eröffnung einer Ausstellung immer noch der Testfall, bei dem die Saat aufgeht: wo all die mühsame Vorarbeit, das Abwägen und Verwerfen, die Komposition der Schau, das Platzieren einzelner Kunstwerke an dieser und jener Stelle endlich seine Belohnung findet. Es gibt Kuratorinnen und Kuratoren, die gehen unauffällig in ihre eigene Ausstellung und schauen sich das Publikum und seine Reaktionen an. Und wissen dann, ob sie es gut gemacht haben oder nicht.
So viel Arbeit, so wenig Rampenlicht. Und wenn, dann in den Erklär-Videos der Museen, die jetzt überall im Netz stehen. Aber egal. Es geht um Kunstgeschichte! Und die schreiben, unter anderem: Kuratorinnen und Kuratoren.