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Endrunde Deutscher Zukunftspreis 2019
Wandel vom Abgas zum Rohstoff

Das Treibhausgas CO2 als Rohstoff in der Chemischen Industrie zu verwenden, könnte helfen, den Klimawandel zu bremsen. Eine Kooperation der RWTH Aachen und der Covestro AG hat dafür ein neues Verfahren entwickelt und ist damit eines der drei Endrunden-Teams für den Zukunftspreis 2019.

Von Volker Mrasek | 27.11.2019
Frankfurt/Main: Aktivisten von Greenpeace füllen vor der Messe IAA einen riesigen Ballon mit Luft. Auf dem Ballon steht "CO2".
Vom Klimakiller zum wertvollen Rohstoff? Erste Anlagen zur Nutzung von CO2 laufen bereits. (dpa/Lennart Stock)
Stimmen aus dem Forschungslabor:
"So, jetzt gehen wir zu der Anlage, wo wir die Polyole herstellen. Polyole aus CO2."
"Wir haben hier einen Reaktor."
"Eine Serienschaltung von Rührkesseln im Prinzip."
"Wenn wir den CO2-Druck aufdrehen, dann macht man das CO2 hörbar!"
Im Labor- und kleinen Technikumsmaßstab – so fing es vor gut fünf Jahren an: Gemeinsam machten sich Forscher des Bayer-Konzerns und der RWTH Aachen auf, ganz neue Wege zu beschreiten. Ihre Idee: eine grünere Industriechemie auf der Basis von Kohlendioxid.
Laborantin: "Also, ich gebe die zwei Substanzen zusammen. Und dann warten wir darauf, dass der Schaum entsteht."
CO2: Vom Abgas zum Rohstoff
Statt es unnütz in die Atmosphäre zu blasen, soll das klimaschädliche Verbrennungsabgas vermehrt als Rohstoff für chemische Synthesen genutzt werden:
"Diese Vision, CO2 als Kohlenstoffquelle zu nutzen, die gab es lange. In den letzten Jahren ist über die Klimadiskussion da eine ganz neue Dynamik reingekommen."
Walter Leitner, Professor für Technische Chemie an der RWTH Aachen:
"Wir wollen also nicht alles CO2, das die Menschheit produziert, in chemische Produkte umwandeln. Das wäre utopisch und einfach nicht machbar. Aber umgekehrt ist CO2 eben deshalb auch ein attraktiver Rohstoff, weil schon geringe Mengen dieser Abfallströme ausreichen würden, um wertvolle Produkte in der Chemie zu erzeugen."
Erste kommerzielle Anlage läuft seit drei Jahren
Heute ist das keine Zukunftsvision mehr. Es geschieht bereits! Zum Beispiel im Chemiepark Dormagen nördlich von Köln. Dort strömt seit drei Jahren überschüssiges CO2 aus der Ammoniak-Synthese in die Produktion der genannten Polyole. Es ist die erste kommerzielle Anlage dieser Art. Betrieben wird sie von dem Kunststoffhersteller Covestro, der bis vor kurzem noch zu Bayer gehörte.
"Das ging alles, gemessen an den Verhältnissen der chemischen Industrie, sehr zügig."
Christoph Gürtler hatte großen Anteil daran. In seinen Händen lag die Entwicklung der Polyole mit CO2-Anteil bei Covestro:
"Das ist also eine Vorstufe für einen Schaumstoff, einen sogenannten Weichschaumstoff. Und den kennen wir von der Matratze zuhause. Den kennen wir von Möbeln, vom Sofa. Wir sitzen hier übrigens gerade auf Polyurethan. Also, das Material ist wirklich allgegenwärtig."
5.000 Tonnen der Polyole mit Abgasanteil kann die neue Anlage pro Jahr ausspucken. Das ist noch nicht viel. Aber es eröffnen sich bereits weitere Anwendungsfelder. So wurden die Grundstoffe aus Dormagen inzwischen auch in das Bindemittel für einen Sportplatzboden eingebaut. Die Polymerchemikerin Berit Stange hat die Vermarktung der neuen Technologie mit vorangetrieben:
"Wir haben da wirklich ein Baukasten-Prinzip und können die CO2-Nutzung ausweiten. Konkret arbeiten wir derzeit an elastischen Fasern, die dann in Textilien wie zum Beispiel Socken zum Einsatz kommen können. Aber auch Polyurethane, die man dann im Automobilsektor zur Anwendung bringen kann. Das sind so Gummi-Anwendungen. Elastomer-Bereich, Dichtungen."
Dr. rer. nat. Berit Stange, Dr. rer. nat. Christoph Gürtler, Prof. Dr. rer. nat. Walter Leitner (v.l.n.r.)
Mit in der Endauswahl des Deutschen Zukunftspreises 2019: Dr. Berit Stange, Dr. Christoph Gürtler und Prof. Dr. Walter Leitner (v.l.n.r.) (deutscher_zukunftspreis_ansgar_puden)
Schritt in die richtige Richtung
Auch die Chemieindustrie ist in großem Ausmaß von fossilen Rohstoffen abhängig. Kunststoffe zum Beispiel – fast alle werden heute aus Erdöl hergestellt.
Das neue Covestro-Verfahren ist hier zukunftsträchtig. Denn es spart Ressourcen, indem es das Abgas Kohlendioxid für die Herstellung solcher Kunststoffe nutzbar macht. Der Anteil von CO2 in den Polyolen liegt zwar nur bei 20 Prozent. Aber es ist ein Schritt in die richtige Richtung. Und ein beispielhaftes Leuchtturmprojekt der CO2-Chemie in Deutschland. Deshalb wurden Berit Stange, Christoph Gürtler und Walter Leitner für den Deutschen Zukunftspreis nominiert.
Techniker: "Ich warte jetzt auf den stationären Zustand der Anlage. Sobald der erreicht ist, läuft der Prozess vollautomatisch."
Es ist im Übrigen wie so oft in der Chemie: Den großen Durchbruch schafften die Forscher, weil es ihnen gelang, einen geeigneten Prozess-Katalysator für die Umsetzung von CO2 zu finden. Chemiker hatten jahrelang danach gesucht. Denn Kohlendioxid ist äußerst reaktionsträge. Man muss es erst aktivieren.
Der Arbeitsgruppe von Walter Leitner in Aachen gelang schließlich dieses Kunststück – durch einen maßgeschneiderten Katalysator auf Basis des Metalls Ruthenium.
Techniker: "Das sieht gut aus. Prozess läuft!"