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Endstation Südtirol
Flüchtlinge am Bahnhof Bozen

Sie wollen nach Österreich, Deutschland oder Schweden, doch oft ist bereits in Südtirol Endstation: Viele Flüchtlinge stranden auf dem Weg nach Norden am Bahnhof im italienischen Bozen. Wie es von dort weitergeht, ist ungewiss und die örtlichen Behörden ignorieren die Durchreisenden weitestgehend. Darum kümmern sich nun Ehrenamtliche um das Nötigste.

Von Tillmann Kleinjung | 11.05.2015
    Hauptbahnhof Bozen / Bolzano - in Südtirol
    Spätestens am Hauptbahnhof Bozen endet für viele Flüchtlinge der erste Versuch, Österreich oder Deutschland per Zug zu erreichen. (Imago / Manfred Segerer)
    Wenn am Bahnhof Bozen um halb drei am Nachmittag der Eurocity 84 in Richtung München eintrifft, dann gibt es für Katrin Oberrauch vom Bozener Verein "Volontarius" wieder jede Menge zu tun. Denn für viele Flüchtlinge ist hier Endstation. Spätestens in Bozen endet der erste Versuch, Österreich oder Deutschland per Zug zu erreichen. Wer sich gegenüber patrouillierenden Polizisten nicht ausweisen kann, landet auf dem Bahnsteig.
    "Mit dem Nachtzug ist eine Familie angekommen, eine Mutter mit vier Kindern, die Kinder sind im Alter zwischen eineinhalb und 14 Jahren. Sie waren sehr ruhig und sehr müde. Ich habe die paar Stunden mit den Kindern verbracht und ein bisschen mit den Kindern gespielt."
    Bozen: keine gute Figur in Flüchtlingspolitik
    Freiwillige wie Katrin Oberrauch kümmern sich um die in Bozen gestrandeten Flüchtlinge. Der Staat, das Land Südtirol, hält sich dagegen vornehm zurück, beklagt Florian Kronbichler, Abgeordneter der Grünen im italienischen Parlament.
    "Die öffentliche Hand, also die autonome Provinz Bozen macht in der Flüchtlingspolitik nicht gerade eine großartige Figur. Sie hat sich bisher sehr auf diese freiwilligen Organisationen verlassen. Es herrscht die Angst, wenn wir zu viel machen, bleiben sie uns."
    Also wird nichts unternommen, um die durchreisenden Flüchtlinge in Bozen länger als unbedingt notwendig zu halten. Es gibt keine Übernachtungsmöglichkeiten, keine offiziellen Hilfsangebote geschweige denn staatliche Ansprechpartner für die Flüchtlinge, von denen oft mehr als hundert aus einem Zug steigen müssen. Helfer wie Katrin Oberrauch sind allein auf dem Bahnsteig:
    "Es mangelt noch an professioneller Hilfeleistung, es bräuchte mehr Mediatoren, Rechtshilfe. Auch wir Freiwilligen improvisieren ja oft und wissen nicht: Was bedeutet Asylrecht, welche Erwartungen haben diese Menschen?"
    Das Desinteresse der Behörden kommt den Flüchtlingen durchaus entgegen. Keiner der Durchreisenden hat vor, in Italien zu bleiben, einen Asylantrag zu stellen, sich registrieren, identifizieren zu lassen. Das würde nach EU-Logik nämlich bedeuten, dass man jederzeit ins Aufnahmeland Italien zurückgeschickt wird. Stattdessen suchen sie das Weite, auf eigene Faust, auf riskanten Wegen, erzählt Florian Kronbichler:
    "So kommt es dazu, dass heute zwischen Bozen und dem Brenner abenteuerliche Dinge zu sehen sind. Da sind Leute auf den Bahnstrecken zu Fuß unterwegs. Man muss wissen: Die sind leidensfähig. Die sind durch die Wüste gegangen, mit den Schiffen über das Meer, das macht ihnen nichts diese 80 Kilometer von Bozen zum Brenner zu Fuß zu gehen und dort schwarz über die Grenze zu kommen."
    Keine große Hilfe von Italien
    Tausende kommen in diesen Tagen in den Häfen Siziliens und Süditaliens an, gerettet von Einheiten der italienischen Küstenwache und Marine. Doch das Land der Retter wollen die meisten so schnell wie möglich verlassen, weil sie Verwandte in Deutschland, Schweden oder der Schweiz haben. Vor allem aber, weil sie wissen, dass sie einmal an Land von Italien keine große Hilfe mehr erwarten können.
    "Die Hilfe Italiens hört mit der Rettung auf, wir haben keine Assistenz für diese Leute. Es wird niemand untergebracht. Das wissen die Flüchtlinge."
    In Südtirol ist vor kurzem ein Junge aufgetaucht, vielleicht 13, 14 Jahre alt, erzählt Florian Kronbichler. Der minderjährige Flüchtling war ohne Eltern, ohne Begleiter unterwegs, sprach kaum Englisch. Nur an seinem Oberarm war das Ziel seiner Reise eintätowiert. Eine Adresse in Deutschland.