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Energiepolitik
Kohlekraftwerke als teure Reserve

Sie sind vorläufig stillgelegt, könnten aber bei Versorgungsengpässen in Betrieb gehen: alte Braunkohlekraftwerke. Die Bundesregierung zahlt Millionen an die Kraftwerksbetreiber für diese "Sicherheitsreserven". Diese Zahlungen sind umstritten - denn genutzt wurde die Reserve noch nie.

Von Paul Vorreiter | 02.03.2018
    Das Braunkohlekraftwerk Buschhaus beim Helmstedt von Landschaft umgeben
    Das Braunkohlekraftwerk Buschhaus ist seit 2016 stillgelegt (imago/Sven Simon)
    Sie ist eingeführt worden, für den Fall der Fälle, damit der Strom nicht ausgeht, falls es Schwankungen bei Energie aus Wind und Sonne gibt, doch die Reserve an Kohlekraftwerken, um die es hier geht, bleibt ungenutzt und sie verursacht Kosten: Das zeigt eine Antwort der Bundesregierung auf eine Kleine Anfrage der Grünen-Bundestagsfraktion, über die die "Frankfurter Rundschau" berichtet.
    Im Jahr 2016 hatte die Regierung aus CDU/CSU und SPD beschlossen, nach und nach acht Kraftwerksblöcke an fünf Standorten in Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen und Brandenburg abzuschalten und die dann in eine neue Reserve überzuführen. Die Anlagen werden für Notfälle jeweils vier Jahr lang betriebsbereit gehalten. Nach vier Jahren in Reserve werden die Kraftwerksblöcke dann endgültig stillgelegt.
    Im Notfall innerhalb von zehn Tagen einsatzbereit
    Seit Oktober 2016 ist schon das Kohlekraftwerk Buschhaus bei Helmstedt in Niedersachsen vorläufig stillgelegt, ebenso zwei Blöcke des Kraftwerks Frimmersdorf bei Köln. Weitere fünf werden bis Herbst 2019 folgen. Im Notfall müssen sie innerhalb von zehn Tagen wieder einsatzbereit sein.
    Diese Reserve kostet: Für das vergangene Jahr und dieses Jahr sind von den Übertragungsnetzbetreibern insgesamt 234 Millionen Euro angesetzt, heißt es in der Antwort des Bundeswirtschaftsministeriums. Dieses betont, dass es sich um Abschlagszahlungen unter Vorbehalt handele: Die Vergütungshöhe lege die Bundesnetzagentur endgültig fest, was zu viel gezahlt wurde, müsse an die Netznutzer zurückfließen.
    Bernd Westphal, SPD: "Berechtigte Versicherungsprämie"
    Obwohl ungenutzt und Kosten verursachend, verteidigt der wirtschafts- und energiepolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, Bernd Westphal, die Reserve als richtige Maßnahme, gerade auch im Blick auf die Energiebedürfnisse des Industriestandortes Deutschland: "Es ist eine Versicherungsprämie, die man abschließt, ich finde das auch berechtigterweise. Wir haben gerade Temperaturen, wo wir sehen, es könnte durchaus sein, dass solche Kraftwerke auch gebraucht werden, wenn sich in den nächsten Jahren herausstellt, dass wir diese Kapazität zu groß veranschlagt haben und vorhalten, muss man das sicher nochmal überprüfen."
    Lisa Badum, klimapolitische Sprecherin der Grünen-Bundestagsfraktion, hält die Reserve dagegen für wenig sinnvoll: "Im Prinzip zahlen die Steuerzahlerinnen und Steuerzahler für Phantomstrom, der nicht gebraucht und nicht genutzt wird und auf der anderen Seite haben wir wahnsinnig viele Personen, die gerne in Erneuerbare investieren wollen und die ausgebremst werden, also das ist fatal und man muss ja sagen, es braucht auch elf Tage bis die Kraftwerke hochfahren, also zum kurzfristigen Einspringen bei kalten Temperaturen sind die ungeeignet, bis dahin sind alle schon wieder erfroren."
    Sollte die SPD-Basis dem Gang in eine neue Große Koalition zustimmen, dann soll künftig - im Sinne des Koalitionsvertrags - eine Expertenkommission Vorschläge dazu machen, wie Kohlestrom weiterhin schrittweise reduziert werden soll.