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Energiewende
Der schwierige Weg zu neuen Windrädern

Klagen von Naturschützern, Widerstand bei Bürgern, lange Genehmigungsverfahren – der Ausbau der Windkraft in Deutschland ist nach Jahren des Booms fast zum Erliegen gekommen. Zusätzlich werden alte Anlagen abgebaut. Neue Lösungsansätze sind gefragt, wenn die Energiewende gelingen soll.

Von Kay Bandermann | 08.08.2019
Sonnenuntergang hinter aufziehenden Gewitterwolken über der Landschaft mit Windenergieanlagen im Landkreis Oder-Spree in Ostbrandenburg
Der Ausbau der Windkraft in Deutschland ist aktuell fast zum Erliegen gekommen (dpa-Zentralbild / Patrick Pleul)
Eigentlich sind es Windgeräusche, die man in der hessischen Gemeinde Diemelsee üblicherweise hört. Doch heute ist es windstill. Und das ist gut so für die Arbeiten, die gerade begonnen haben. Ein fast 100 Meter hoher Industriekran reckt seinen Ausleger über ein stillstehendes Windrad. Mit einer Schlaufe hat er den Turm gepackt; an der Stelle, an der der Rotor montiert ist. Dann nimmt der Kran seine 40 Tonnen schwere Last auf, ganz langsam löst sich Rotor mit den Rotorblättern vom Turm ab.
Judith Michler vom Windpark-Projektentwickler (*) ABO Wind aus Wiesbaden beobachtet die Szene vom Boden aus.
"Der Kollege im Kran muss natürlich aufpassen, dass er das in einem guten Winkel auf die andere Seite hier bringt. Und die anderen Kollegen müssen vor allen Dingen gucken – Sie haben ja gesehen, die Rotorenblätter sind noch mit Extra-Leinen befestigt – dass sie alles in die richtige Richtung, wo es hier abgesetzt werden soll, bringen und natürlich sich gleichzeitig selbst aus der Schusslinie bringen."
Nach zehn Minuten ist es geschafft – ohne Komplikationen. Danach wird der lange Turm in drei Teile zerlegt. Es ist ein irritierendes Bild: Während in der Öffentlichkeit immer lauter der rasche Ausbau der klimafreundlichen Energieerzeugung gefordert wird, passiert auf dem Höhenzug zwischen Hessen und Nordrhein-Westfalen scheinbar das genaue Gegenteil: ein Windpark wird demontiert, der fast 20 Jahre "sauberen" Strom geliefert hat.
Ende der staatlichen Einspeisevergütung 2021
Das wird in Zukunft noch häufiger passieren. Die Betreiber von rund 5.000 älteren Windrädern der ersten Generation, die in der Regel 20 Jahre alt sind, stehen vor der Frage, ob sie ihre Anlagen weiterführen. Denn ab 2021 entfällt die lukrative, staatliche Einspeisevergütung in Höhe von ungefähr neun Cent pro Kilowattstunde. Der Staat ist der Ansicht, dass das Ziel dieser Subvention, nämlich der Windkraft eine Starthilfe zu geben, erreicht ist. Deshalb wurde vor zwei Jahren die Fördersystematik geändert. Das neue Ausschreibungsverfahren soll einen Wettbewerb zwischen den potenziellen Betreibern auslösen. Für die Altanlagen bedeutet das: jedem sechsten Windrad in Deutschland droht das Aus. Judith Michler:
"Es gibt durchaus auch Parks, die weiterbetrieben werden können, auch wenn sie aus der Förderung herausfallen. Jetzt ist es aber hier so gewesen, dass durch die großen Wartungsarbeiten, was sehr kostenintensiv wäre, einfach keinen Sinn mehr machte, die Anlagen weiterzubetreiben."
Diese Entwicklung wäre zu verschmerzen, wenn in Deutschland gleichzeitig ausreichend neue Windparks gebaut würden. Doch das ist derzeit nicht der Fall. Darauf verweist Reiner Priggen. Er war viele Jahre Fraktionschef der Grünen im nordrhein-westfälischen Landtag und spricht jetzt für den Landesverband Erneuerbare Energien NRW – einer Lobbyorganisation der Erneuerbare-Energien-Industrie. Er nennt die Entwicklung im Jahr 2019 "dramatisch".
"Wir haben 95 Prozent Einbruch gehabt im ersten Quartal gegenüber dem Vorjahr. Und wir haben im ersten Halbjahr dieses Jahres bundesweit den wenigsten Zubau der Windkraft in den letzten 20 Jahren. So eine Situation hat es nicht gegeben. Und das führt direkt zu Entlassungen bei den Firmen. Das wird existenzgefährdend."
Windräder in einem Weizenfeld
77 neue Windräder mit einer Leistung von rund 250 Megawatt wurden im ersten Halbjahr 2019 in Betrieb genommen - 2018 waren es 1.630 Megawatt. (picture alliance / Klaus Ohlenschläger)
Das heißt konkret: Im ersten Halbjahr 2019 wurden in Deutschland an Land nur 77 neue Windräder in Betrieb genommen mit einer installierten Leistung von rund 250 Megawatt. Zum Vergleich: In den ersten sechs Monaten des Vorjahres wurden Anlagen mit 1.630 Megawatt Leistung in Betrieb genommen, mehr als sechsmal so viel. Das liegt unter anderem daran, dass die Genehmigungsverfahren immer länger dauern und viele Anlagen vor Gericht beklagt werden. Die Bundesregierung hat festgelegt, dass bis 2030 der aus Wasser, Biomasse, Sonne und Windkraft erzeugte Strom einen Anteil von 65 Prozent an der Gesamtproduktion von elektrischer Energie haben soll. Dafür müssen jährlich neue Windkraftwerke mit einer Leistung von 2.800 Megawatt aufgestellt werden, schätzt die Regierung. Der Bundesverband Erneuerbare Energien hat deutlich höhere Zahlen errechnet. Um die angepeilte Ökostrom-Quote zu schaffen, seien 4.700 Megawatt Windkraft an Land notwendig und weitere 1.000 Megawatt Offshore – also auf hoher See. Mittlerweile stammt ein Fünftel des deutschen Windstroms von Rädern in Nord- und Ostsee.
Vorwurf: Gesetze machen Windkraft unmöglich
Die Vertreter der Windenergie-Branche werfen den Politikern in Bund und Ländern widersprüchliches Verhalten vor. Sie würden sich zwar einerseits immer wieder zum Klimaschutz bekennen und setzten sich ehrgeizige Ziele. Andererseits machten sie Gesetze, die de facto den Ausbau der Windkraft unmöglich machen.
Beispiel Nordrhein-Westfalen. Dort erklärte FDP-Wirtschaftsminister Andreas Pinkwart im Frühjahr in einem Interview zur Windkraft:
"In den nächsten fünf Jahren werden wir noch einmal eine Verdopplung erleben. Einmal haben wir schon viele Projekte, die genehmigt sind und die sich in der Umsetzung befinden. Wir haben darüber hinaus auch Flächen in Zukunft, die sich mit den Interessen von Mensch und Umwelt vereinbaren lassen. Und drittens setzen wir auch auf das Re-Powering. Hier werden wir in den kommenden Jahren viele Anlagen erleben, die erneuert werden und dann eine viel höhere Leistung haben, als sie es zum Zeitpunkt des damaligen Baus hatten."
Pinkwart verkündete hochgesteckte Ziele, sorgte mit diesen Aussagen aber für Irritationen. Denn die gleiche CDU-FDP-Landesregierung hat kürzlich einen neuen Landesentwicklungsplan beschlossen, mit dem diese Ziele – so sehen es zumindest die Windkraft-Investoren – kaum erreichbar sind. Neue Windkraftanlagen müssen demnach mindestens 1.500 Meter von der nächsten Wohnbebauung entfernt sein. Das bedeute eine drastische Einschränkung der infrage kommenden Flächen, musste sich der Minister vorhalten lassen.
Sein Amtskollege im Bund, Peter Altmaier, sieht die Entwicklung mittlerweile kritischer. Er hat deshalb Branchenvertreter und die Bundesländer zu einem Krisengespräch nach der Sommerpause eingeladen. Es gebe zu wenig Neubauflächen, so der Minister, und die Genehmigungsverfahren stockten.
"Eigentlich sind alle für die Energiewende. Aber wenn es dann um einzelne Anlagen geht – Windanlagen, Biogasanlagen, Photovoltaik-Anlagen – dann gibt es vor Ort heftige Diskussionen und oft genug auch mangelnde Akzeptanz."
Windpark DanTysk in der Nordsee
Die Windenergie-Branche hat mehrere Boom-Jahre hinter sich - an Land und in Nord- und Ostsee (imago/Lars Berg)
Die Windenergie-Branche hat mehrere Boom-Jahre hinter sich. Der Umsatz stieg zuletzt auf 18 Milliarden Euro – das ist so viel, wie die deutsche Möbelindustrie erlöst. Jahr für Jahr wurden neue Windparks gebaut, die der Leistung mehrerer großer Kohle- und Atomkraftwerke entsprachen – an Land sowie in Nord- und Ostsee.
Das schlug sich in der Statistik nieder: der Anteil der Erneuerbaren Energien an der deutschen Stromproduktion stieg kontinuierlich. Im ersten Halbjahr 2019 lag er bei 44 Prozent – einem Rekordwert, der allerdings auch den sehr günstigen Wind- und Sonnenverhältnissen zu verdanken ist.
Dieser Trend wird sich nicht fortsetzen, wenn alte Windräder ab- und kaum noch neue zugebaut werden. Doch was muss jetzt passieren? Das ist das überragende Gesprächsthema, wenn sich die Windkraft-Branche trifft, so wie kürzlich in Köln. Die Politik müsse jetzt klare Zeichen setzen, sind sich die anwesenden Firmen- und Verbandsvertreter einig. Damit sei aber nicht Geld gemeint. Niemand rufe nach neuen Subventionen, sagt Carsten Meyer, Geschäftsführer einer Firma aus Bremen die Windparks plant, betreibt und wartet.
"Davon sind wir hier absolut überzeugt, dass wir keine zweite Nachförderung brauchen, weil es auch viele Anlagen gibt, die ihr Geld verdient haben über 20 Jahre. Und jetzt sind die Betreiber mal gefordert, auch wenn sie nur Kostendeckung hätten, dann würde man halt auch mal sagen, dann machen wir mal vier oder fünf Jahre eine Energiewende und schalten die Anlagen nicht ab, ohne dass man als Betreiber noch viel Geld verdient."
Wie viele Besitzer von alten Windanlagen, deren Förderung jetzt ausläuft, derart selbstlos denken, lässt sich nicht sagen.
Alternativen für die Erhaltung alter Anlagen
Neben dem Abbau gibt es aber auch Alternativen, alte Anlagen zu erhalten. Zum Beispiel das PPA-Modell. Das steht für "Power Purchase Agreement", also: Stromeinkaufsvertrag. Und es bedeutet, dass ein Händler den Strom vieler kleiner Anlagenbetreiber für einen festen Preis übernimmt und auf eigene Rechnung weiterverkauft.
Hanno Mieth vom Energiekonzern Vattenfall organisiert solche Verträge, die Betreibern von alten Windrädern eine sichere Kalkulation für die Zukunft ermöglichen.
"Da stellt sich für einen Betreiber die Frage: welchen Preis krieg ich als Vergütung? Kann ich damit meine Anlage wirtschaftlich weiter betreiben? Und weil wir ja unsere Neuzubauziele derzeit auch nicht erreichen, wäre es ja fatal, wenn diese Anlagen nicht weiterbetrieben werden."
Vattenfall zahlt den Betreibern allerdings weniger als der Staat mit der Einspeisevergütung von etwa neun Cent.
Noch drängender als die Rettung der technisch brauchbaren aber alten Anlagen ist für Branchenexperten, den stockenden Neubau zusätzlicher Windkraftwerke wieder in Gang zu setzen. Von einem riesigen "Investitionsstau" ist die Rede.
Auch das sei keine Frage des Geldes, sondern liege an der mangelnden Akzeptanz der Windkraft in der Bevölkerung, heißt es auf dem Branchentreff in Köln.
Zwar unterstützt eine übergroße Mehrheit von 93 Prozent der Deutschen die Ziele der Energiewende – das ist das Ergebnis einer Umfrage der Agentur für Erneuerbare Energien von 2018. Doch sobald bekannt wird, dass ein Windrad in der Nachbarschaft aufgestellt werden soll, erhebt sich ein Proteststurm. Frank Sondershaus erlebt das immer wieder.
"Das sind die Bürgerinitiativen vor Ort, die sich gegen Windenergie organisieren, die sehr laut sind, die sehr professionell organisiert sind und die dann auch die Aufmerksamkeit der Politik auf sich ziehen."
Angela Merkel, Bundeskanzlerin und CDU-Vorsitzende bei der Nordex Rotorblattproduktion in Rostock. Hier vor einem Modell einer Windkraftanlage. 
Bundeskanzlerin Merkel in einer Firma für Rotorblätter: Viele finden, dass die Bundesregierung zu wenig für die Energiewende tut. (imago stock&people)
Sondershaus arbeitet für die Fachagentur "Windenergie an Land", ein Verein der von Bund, Ländern, Kommunen, der Wirtschaft und Naturschutzverbänden getragen wird, mit dem Ziel, eine erfolgreiche Energiewende zu realisieren.
"Vielerorts ist es so, dass man mit Windenergie nicht mehr einen Wahlkampf führen kann; zumindest dem Eindruck von Entscheidungsträgern nach, von Bürgermeisterinnen und Bürgermeistern, zum Beispiel. Und von daher auch der Energiewende vor Ort die Unterstützung fehlt."
Das haben auch die Regierungsfraktionen im Bundestag erkannt. Sie bildeten im Oktober vergangenen Jahres eine Arbeitsgruppe mit dem Ziel, ein Maßnahmenpaket für mehr Akzeptanz für die Energiewende zu erarbeiten. Ende März sollte die Arbeitsgruppe Ergebnisse liefern. Passiert ist: nichts.
Die CDU-Fraktion sagt zur Begründung, die Kommission warte noch auf eine Analyse aus dem Wirtschaftsministerium über die Flächensituation bei der Windenergie. Bei der SPD heißt es, die Fronten seien verhärtet und frühestens zum Jahresende mit einem Ergebnis zu rechnen.
Forderung an Politik: "Die muss Vorschläge auf den Tisch legen"
Reiner Priggen vom industrienahen NRW-Landesverband Erneuerbare Energien meint, es ist Eile geboten.
"Die muss Vorschläge auf den Tisch legen. Wir warten da dringend drauf. Wir haben wirklich die Situation: es sind schon über 5.000 Arbeitsplätze verloren gegangen in den letzten Monaten, wo Firmen wirklich Fachleute entlassen haben."
Mit fehlender Akzeptanz für den Neubau von Windkraftanlagen beschäftigt sich auch Tomke Lisa Menger. Sie ist Kommunikationsberaterin bei der EnergieAgentur NRW – einer Netzwerk-Einrichtung der Landesregierung, die den Einsatz klimafreundlicher Verfahren unterstützen soll.
Menger glaubt, dass Veränderungen im gewohnten Umfeld, dass Eingriffe ins vertraute Landschaftsbild von den Menschen als diffuse Bedrohung empfunden und instinktiv abgelehnt werden. 200 Meter hohe Windräder sind zweifelsohne ein solcher Eingriff. Man müsse auf die Anwohner zugehen und offen kommunizieren, rät Tomke Lisa Menger. Wenn es um Fragen des Lärms oder des Schattenwurfs gehe, dürften Anlagenbetreiber oder Kommunen den besorgten Bürgern nichts verheimlichen oder herunterspielen.
"Viele denken, damit wecken sie schlafende Hunde. Und wir versuchen, diese Angst zu nehmen, weil, wenn man versucht, das so klein wie möglich zu halten, das funktioniert fast nie, dann kocht es irgendwann hoch, irgendwann merken es die Leute und dann hat man schon verloren. Und deshalb versuchen wir wirklich dafür zu werben, dass man früh mit den Leuten in Dialog tritt, früh diesen Bedenken begegnet. Und dann hat man auch eine Chance, dass es nicht komplett explodiert die Stimmung vor Ort."
Ein bewährtes Instrument sind sogenannte Info-Messen, mehrstündige Veranstaltungen, bei denen alle am Projekt beteiligten Firmen und Gutachter den Anwohnern im Gespräch zur Verfügung stehen.
"Und bei allen Veranstaltungen gilt auf jeden Fall, sich einen externen, neutralen Moderator zu suchen."
Diese Erfahrung hat man auch im hessischen Diemelsee gemacht. Weil die Betreiber mit dem windstarken Standort an sich zufrieden waren, haben sie noch einmal nachgerechnet. Es würde sich lohnen, für die alten, abgebauten Windräder modernere, leistungsstärkere Anlagen aufzustellen, das sogenannte Re-Powering. Allerdings wären die fast doppelt so groß: gut 200 Meter. Der Projektentwickler ABO Wind suchte mit Gemeinde und Bürgern das Gespräch (*), sagt Sprecherin Judith Michler.
"Klar, es gab auch da – wie bei jedem anderen Windkraftprojekt in Deutschland auch – einige Kritiker. Am Anfang waren deren Stimmen auch relativ vehement. Wir haben da aber eine gute Ebene gefunden, sind gut miteinander in den Dialog gekommen, sodass alle Parteien zufrieden waren."
Dann, so die Erfahrung der Berater, sinkt auch die Bereitschaft, gerichtlich gegen einen geplanten Windpark vorzugehen. Wenn dann noch finanzielle Anreize dazukommen, kann die Skepsis sogar in Zustimmung umschlagen. Etwa, indem die Bürger am Gewinn beteiligt werden.
Beteiligung der Bürger am Gewinn mit "Wind-Euro"
Brandenburg hat diesen Ansatz aufgegriffen und als erstes Bundesland einen sogenannten Wind-Euro beschlossen. Per Gesetz werden Anlagenbetreiber verpflichtet, für jedes Windrad 10.000 Euro pro Jahr an die Anrainer-Kommunen zu zahlen; und zwar an alle Gemeinden in einem Radius von drei Kilometern.
Wie das ankommt, muss sich noch zeigen. Auch in Brandenburg werden derzeit kaum neue Windkraft-Projekte gestartet. Und die bereits laufenden Projekte werden fast alle vor Gericht angefochten – genauso wie in allen Teilen Deutschlands. Die von Politik, Wirtschaft und Naturschutzverbänden getragene Fachagentur "Windenergie an Land" fand in einer Befragung heraus: Bundesweit werden derzeit 325 große Windturbinen beklagt. Bürger und Gerichte bremsen den Ausbau des Ökostroms, sagt Johannes Lackmann, Windkraft-Unternehmer aus Nordrhein-Westfalen.
"Das Status-quo-Denken ist sehr ausgeprägt. Und dann gibt es Bedenken mit Infraschall und allen möglichen obskuren Dingen, die aber technisch gesehen ausgeräumt sind, aber die Leute haben erst einmal so eine diffuse Angst."
Dabei erhielten die Windkraftgegner Unterstützung aus einer Ecke, aus der man es eigentlich nicht erwarten würde, sagt Lackmann: von Umweltverbänden.
"Der Nabu hat sich völlig auf die andere Seite geschlagen. Der verabsolutiert den Artenschutz in einem Maße, wie es überhaupt nicht rational zu rechtfertigen ist."
Ein Rotmilan (Milvus milvus) im Flug. In Deutschland brüten noch 25.000 Paare.
Ein Rotmilan im Flug: Umweltschützer sehen diese Greifvolgelart durch Windräder bedroht (imago/blickwinkel)
Als Beispiel nennt er den seiner Ansicht nach überzogenen Schutz des Rotmilans, einer gefährdeten Greifvogelart. Diesem Vorwurf widerspricht die kritisierte Organisation vehement. Wenn erkennbar gegen den Artenschutz verstoßen werde, habe seine Organisation gar keine andere Wahl als zu klagen, sagt Sebastian Scholz, Leiter der Abteilung Energiepolitik und Klimaschutz beim Naturschutzbund Deutschland.
"Da geht es nicht ein bisschen weniger streng oder etwas lockerer oder so, sondern: wenn das Individuum gefährdet ist, ist es eine Frage für den Artenschutz. Zum anderen, wir haben in den vergangenen zehn Jahren lediglich 44 Klagen geführt beziehungsweise führen sie noch. Das heißt, man kann gar nicht sagen, dass wir besonders oft klagen oder besonders viel klagen. Die eigentlichen Klageverfahren sind – im Gegenteil – sehr gering."
Weniger restriktives Gesetz
Johannes Lackmann, ein Pionier der Windkraft in Deutschland seit 1994, wünscht sich, dass Gesetze weniger restriktiv formuliert werden. Zum Beispiel in Bezug auf die Abstandsregeln, die besonders in Bayern und Nordrhein-Westfalen scharf sind. Verordnungen und Richtlinien ließen auch zu viel Platz für behördliches beziehungsweise richterliches Ermessen, kritisiert Lackmann.
"Wir müssen den Artenschutz weiter ernst nehmen, aber wir müssen ihn auf den rationalen Kern verdichten. Das heißt da, wo es wirkliche Probleme gibt, wo Bestände gefährdet sind, muss Windkraft Abstand halten, aber nicht pauschal und überall. Und das muss natürlich sich in konkreten Gesetzesformulierungen wiederfinden, sodass es dann eben bei den Genehmigungsbehörden und auch vor Gericht handhabbar ist."
Auch wenn Unternehmer Lackmann die Zulassungsverfahren und umfangreiche Betriebsauflagen kritisiert, baut er schon in Kürze acht neue Windräder. Wirtschaftlich ist es trotz Einschränkungen lohnenswert. Wegen der vielen Klagen gegen Windräder wird die Bundesnetzagentur ihre ausgeschriebenen Windkraft-Kapazitäten nämlich nicht los.
Das bedeutet aus Sicht von Betreibern, dass sie mit einer genehmigten Anlage derzeit einen relativ hohen Vergütungspreis garantiert bekommen. Bei der letzten Ausschreibung im Mai lag der im gewichteten Durchschnitt bei etwa 6,1 Cent pro Kilowattstunde. Die Betriebskosten für ein modernes Windkraftwerk liegen unter fünf Cent. Also, sagt Johannes Lackmann, mache er garantiert Gewinn.
Diese Rechnung geht auch im hessischen Diemelsee auf. Dort ist mittlerweile das Fundament für das erste neue Windrad gegossen. Am Ende werden zwei große Windräder zweieinhalb Mal so viel Strom liefern wie die vier, die abgebaut wurden. Judith Michler vom Projektentwickler ABO Wind:
"Wir gehen davon aus, dass wir das Ganze im Oktober fertig bekommen und dann auch im Oktober die Inbetriebnahme erfolgen kann."
Dieses Beispiel zeigt, dass in Deutschland nach wie vor Windräder gebaut werden, wenn es sich wirtschaftlich lohnt. Aber es macht auch deutlich, wie komplex das Projekt der Energiewende ist.
(*) Anmerkung der Redaktion: An diesen Stellen haben wir in der Textfassung jeweils eine Präzision und eine Korrektur vorgenommen.