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Energiewende
"Die Menschen sind unzufrieden mit der Umsetzung"

Die Deutschen stehen mehrheitlich hinter der Energiewende. Das geht aus einer Umfrage des Instituts für transformative Nachhaltigkeitsforschung hervor. Sorgen hätten viele aber bei den hohen Kosten, sagte der Direktor des Instituts, Ortwin Renn, im Dlf. Zudem fehle es am Vertrauen in die Parteien, die Energiewende umzusetzen.

Ortwin Renn im Gespräch mit Dirk-Oliver Heckmann | 14.11.2017
    Das Kraftwerk Niederaußem von der RWE Power. C. Hardt
    Das Kraftwerk Niederaußem von der RWE Power Bergheim. (imago / C. Hardt )
    Dirk-Oliver Heckmann: Die Flüchtlings- und die Klimapolitik, das sind die Themenfelder, bei denen sich die potenziellen Partner einer Jamaika-Koalition womöglich am schwersten tun. Die Grünen, die beharren darauf, dass die selbstgesetzten Klimaschutzziele auf jeden Fall erreicht werden müssen, und Union und FDP legen Wert darauf, dass die industrielle Basis nicht gefährdet sein darf.
    Diese Diskussion wird natürlich auch in Bonn geführt. Dort findet ja derzeit die Klimaschutzkonferenz statt. Aber wie stehen eigentlich die Deutschen zum Klimaschutz und zur Energiewende? Das Institut für transformative Nachhaltigkeitsforschung, noch vor kurzer Zeit geleitet von Ex-Umweltminister Klaus Töpfer, das gibt in Kooperation mit Partnern jedes Jahr beim Meinungsforschungsinstitut Forsa eine repräsentative Umfrage in Auftrag: "Soziales Nachhaltigkeitsbarometer zur Energiewende" heißt das. Und die Ergebnisse, die werden heute Mittag vorgestellt.
    Wir können aber schon jetzt darüber sprechen, und zwar mit Professor Ortwin Renn. Er ist wissenschaftlicher Direktor des IASS. Schönen guten Morgen, Herr Renn.
    Ortwin Renn: Guten Morgen, Herr Heckmann.
    Heckmann: Was halten denn die Deutschen von der Energiewende? So lautet der Titel Ihrer Einladung an die Presse. Und was halten sie?
    Renn: Die Deutschen sind mit 88 Prozent Befürworter der Energiewende. Das ist ein wirklich erstaunlicher Wert, nimmt man die Diskussion, die wir ja auch in Bonn haben, als Hintergrund dazu. Wir haben festgestellt, dass über alle Parteigrenzen hinweg selbst die Mehrheit der AfD-Anhänger, was uns sehr gewundert hat, sagen, dass sie die Energiewende befürworten, und 63 Prozent glauben, dass die Energiewende eine Gemeinschaftsaufgabe ist, zu der jeder etwas beitragen kann. Die Menschen sind auch bereit, für die Energiewende einzutreten, und über alle Einkommens-, über alle sozialen Schichten hinweg wird die Energiewende von den Deutschen inzwischen ganz stark befürwortet.
    Heckmann: Also eine hohe Zustimmung, eine überraschend hohe, über alle Parteien hinweg. Wie ist das zu erklären aus Ihrer Sicht?
    "Menschen sind unzufrieden mit Umsetzung der Energiewende"
    Renn: Ich denke, dass mit 2011, als damals die Ethikkommission sich dafür ausgesprochen hat, sowohl aus der Kernenergie auszusteigen als auch langfristig aus der Kohle auszusteigen, um dann natürlich den erneuerbaren Energien sehr viel größeren Raum einzuräumen, nach Fukushima, doch in der Bevölkerung insgesamt das nachvollzogen worden ist, und dass alle Parteien im Bundestag bis auf die AfD und die meisten gesellschaftlichen Gruppen dann gesagt haben, gut, jetzt wollen wir auch wirklich in diese Energiewende investieren. Ich habe den Eindruck, dass es ganz wenige Gruppen noch gibt, die diese Energiewende ablehnen, und dass auch Sonnenenergie und Windenergie, das sehen wir auch weiterhin, eine hohe Attraktivität haben, gemeinsam dann auch mit den negativen Auswirkungen, die mit Kernenergie und mit Kohle verbunden sind, die von den Leuten durchaus wahrgenommen werden.
    Heckmann: Sie untersuchen ja regelmäßig, welchen Einfluss verschiedene Faktoren haben auf die Akzeptanz der Energiewende. Sie haben gerade schon ein paar Faktoren genannt: Einkommen, Bildung, Alter, auch Wohnregion oder auch Parteipräferenz. Sie haben gerade schon gesagt, Sie waren überrascht über das Ergebnis bei den AfD-Anhängern. Gab es weitere Ergebnisse, die für Sie überraschend waren?
    Ortwin Renn
    Ortwin Renn, wissenschaftlicher Direktor des Institute for Advanced Sustainability Studies (IASS). (dpa / picture alliance / Marc Müller)
    Renn: Ja. Es gab ein zweites Ergebnis, das weniger gut ist, nämlich dass die Menschen zwar mit den Zielen der Energiewende sehr einverstanden sind, aber dennoch zum großen Teil nicht zufrieden sind mit der Art, wie die Energiewende in Deutschland umgesetzt wird. 41 Prozent der Bevölkerung bewerten die Umsetzung der Energiewende in Deutschland unterm Strich als gut, 33 Prozent als schlecht und die anderen dazwischen, weder gut noch schlecht. Das heißt, wir haben 88 Prozent Zustimmung auf der einen Seite, aber auch, dass gut ein Drittel oder mehr sagen, nein, die Art, wie sie umgesetzt wird, ist aus unserer Sicht nicht gut.
    Heckmann: Haben Sie genauer nachgefragt, was genau die Leute stört?
    Renn: Das eine ist, dass ein Großteil der Bevölkerung sagt, dass die Kosten zu hoch sind, oder zumindest, dass es teuer ist oder eher teuer ist. Das glauben zwei Drittel, also 66 Prozent. Vor allem natürlich die Stromversorgung.
    "Die Einkommensschwächeren werden zu stark belastet"
    Das zweite ist - und das ist auch vielleicht etwas überraschend -, dass sie glauben, dass die Energiewende nicht sozial gerecht in ihrer Lastenverteilung ist. Das kam sehr stark in der Umfrage hervor, dass diejenigen, die schon jetzt stark Energie sparen, dennoch belastet werden, und diejenigen, die wenig Energie sparen, im Prinzip gut davon kommen. Auch die Ausnahmeregelungen durch das EEG, dass energieintensive Betriebe entlastet werden, halten die meisten für nicht sinnvoll. Von daher haben wir hier eine Schieflage im Bereich der sozialen Gerechtigkeit. Das zielt sich auch interessanterweise durch alle Bevölkerungsschichten durch. Auch die Einkommensstärkeren sagen, ja, es stimmt, die Einkommensschwächeren werden zu stark belastet. Hier brauchen wir Abhilfe und wir sind auch bereit, hier als einkommensstärkere Haushalte mehr dazu beizutragen.
    Heckmann: Wobei das Sagen und das tun ja oft zwei verschiedene Dinge sind. Wenn es dann konkret wird, dann sieht die Lage natürlich oft ein bisschen anders aus.
    Renn: Absolut.
    Heckmann: Kommen wir noch zu einem anderen Punkt, Herr Renn, und zwar ringen die Jamaika-Partner in spe ja über einen Kohleausstieg, ob er kommt, wann er kommt, wie schnell er kommt. Was halten denn die Deutschen davon, nach der Atomkraft jetzt auch aus der Kohle auszusteigen? Da gibt es ja viele, die sagen, das könnte ein Risiko sein für die Versorgungssicherheit.
    Renn: Ja, auch das ist interessant. Wir haben 63 Prozent insgesamt, die den Ausstieg aus der Kohle befürworten, davon 40 Prozent stark befürworten. Das liegt durchaus in der Nähe des Atomausstiegs. Da hatten wir 68 Prozent, die den Ausstieg befürworteten, und davon 53 Prozent stark. Zum Ausstiegsszenario bei der Kernenergie haben wir noch etwas mehr. Aber beim Ausstieg der Kohle haben wir wie gesagt fast zwei Drittel der Bevölkerung. Und was uns auch gewundert hat: Wir können es nicht auf Regionen im Moment differenzieren. Aber in den Kohleländern Sachsen-Anhalt, Sachsen, NRW und Brandenburg sind auch die Mehrheit der Menschen für den Kohleausstieg, weniger zwar, es ist nicht mehr so hoch wie in den anderen Ländern. Das ist ja auch nachvollziehbar. Dort ist ja auch Kohlebergbau zum Teil und vielfach Kohleverstromung. Aber auch da sehen wir, dass sich die Menschen doch inzwischen damit angefreundet haben, dass die Kohle keine Zukunft habe. Damit wird auch deutlich, dass die Bevölkerung einen wie auch immer gearteten Kohleausstieg doch in der Mehrheit befürwortet.
    Heckmann: Ganz kurz noch zum Schluss, Herr Renn. Welcher Partei trauen die Deutschen zu, die Energiewende zu schultern? Ist die Jamaika-Koalition eine Option?
    "Parteien kommen nicht gut weg bei Energiewende"
    Renn: Es ist interessant, das haben wir auch gesehen, dass insgesamt die Parteien nicht besonders gut wegkommen bei dieser Umfrage. Diejenigen, die keiner Partei zutrauen, mit der Energiewende fertig zu werden, ist die relative Mehrheit. Das muss man auch sehen. Aber wenn eine Partei die positiven Bewertungen bekommt, sind es im Wesentlichen die Grünen. Die haben einen etwas höheren Kompetenzwert. Natürlich ist das Thema Klima bei den Grünen auch eines der ganz großen zentralen Themen.
    Heckmann: Aber es ist ja auch ein Wirtschaftsthema.
    Renn: Es ist auch ein Wirtschaftsthema. Das ist klar. Etwa fast die Hälfte sind mit der Politik der vorherigen Großen Koalition unzufrieden. Das heißt, sie glauben, dass sie nicht diese Kompetenz mitbringen. 23 Prozent sehen, dass keine Partei gute Konzepte für die Umsetzung der Energiewende hat, und 20 Prozent finden, dass dies Bündnis 90/Die Grünen haben.
    Vielleicht ein Punkt, der vor allem für die SPD sehr kritisch ist. Die SPD-Anhänger sind mehrheitlich der Meinung, dass die Grünen das bessere Energiekonzept haben als ihre eigene Partei.
    Heckmann: Interessante Zahlen, was halten die Deutschen von der Energiewende, tragen sie sie mit. Das war Professor Ortwin Renn, wissenschaftlicher Direktor des Instituts für transformative Nachhaltigkeitsforschung in Potsdam. Herr Professor Renn, schönen Dank für das Gespräch heute Früh.
    Renn: Ich danke Ihnen auch, Herr Heckmann.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.