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Energiewende nicht ohne Versorgungssicherheit

Zwischen zehn bis 15 Jahre dauert die Realisierung einer neuen Hochspannungsleitung. Viel zu lange, sagt EU-Energiekommissar Günther Oettinger und setzt auf eine neue Verordnung der EU-Kommission, mit der die Planung und Genehmigung wichtiger Stromtrassen auf drei Jahre verkürzt werden soll.

Günther Oettinger im Gespräch mit Jasper Barenberg | 19.10.2011
    Jasper Barenberg: Eine neue Hochspannungsleitung zu bauen, ist oft eine langwierige Angelegenheit. Zehn Jahre gehen im Durchschnitt von der Antragstellung bis zur Fertigstellung ins Land. Auch deshalb sind in Deutschland in den letzten Jahren gerade einmal 100 Kilometer neue Stromautobahnen entstanden. Achtmal so viel sind aber nötig, mindestens, in den nächsten Jahren. Für mehr Tempo will jetzt die EU-Kommission sorgen. Die Vorgabe: Drei Jahre müssen reichen, um ein Projekt zu planen und zu genehmigen. Verantwortlich für dieses Konzept ist Energiekommissar Günther Oettinger. Ihn begrüße ich jetzt am Telefon. Schönen guten Morgen!

    Günther Oettinger: Guten Morgen!

    Barenberg: Herr Oettinger, das geplante Schnellverfahren für die Planung und Umsetzung solcher Strom- und Gastrassen, setzen Sie das auch ins Werk, um der Energiewende in Deutschland zum Durchbruch zu verhelfen?

    Oettinger: Wir haben ja eine Energieentwicklung in Europa, die immer mehr erneuerbare Energien, Wind und Sonne, Wasserkraft zum Gegenstand hat, und wir brauchen immer mehr gemeinsame und gegenseitige Hilfen, um im Notfall Versorgungssicherheit zu wahren. Das heißt, wir brauchen mit oder auch ohne der deutschen Energiewende ein europäisches Energienetz mit Interkonnektoren, das heißt mit Brücken über die Grenzen der Mitgliedsstaaten hinweg, mit neuer Qualität, mit IT-Vernetzung, das heißt mit Intelligenz, um nicht nur Strom von A nach B zu leiten, sondern mit beiden Wegen zu operieren, auch um Strom von dezentralen Produzenten ins Netz zu speisen, Smart Grids also. Und deswegen arbeiten wir an einer europäischen Infrastruktur-Strategie und machen auch Vorschläge, wie das ganze finanzierbar sein soll, und bis wann es denn dastehen soll, das heißt wie lange Planung und Genehmigung dauern darf.

    Barenberg: Und das soll im besten Fall nur noch drei Jahre dauern und nicht mehr im Durchschnitt zehn, wie Sie errechnet haben?

    Oettinger: Wir haben bisher einen völlig unbefriedigenden Zustand. Es dauert 10, 12, 15 Jahre Planung, Beratung, Genehmigung. Damit ist niemandem gedient. Es geht darum, dass wir die Abwägung Landschaftsinteressen, Umweltinteressen, die Abwägung, was die beste Trasse ist, die den geringst möglichen Eingriff in Natur, Landschaft und für die Bürger bedeutet, dass die Abwägung von Eigentümerinteressen, von lokaler Mitwirkung, dass die schneller geschieht, trotzdem gründlich geschieht, und da sind drei bis vier Jahre allemal ausreichend.

    Barenberg: Schneller und gründlicher wollen Sie die Bürger beteiligen. Wie soll das zusammengehen? Im Moment hat man eher den Eindruck, man müsste sie mehr und länger beteiligen an solchen Großprojekten.

    Oettinger: Wenn man einer Trasse länger herumwirkt, dient man damit niemandem, nicht dem Bürger, nicht der Energiesicherheit, nicht dem Fortschritt für erneuerbare Energien, nicht dem Umweltschutz. Wenn wir sehr früh und transparent über die Trassenabwägungen die Bürger mitnehmen und wenn wir eine Behörde federführend beauftragen und dort sich jeder auch melden kann, und wenn wir genügend Personal einstellen, sowohl in den Fachverwaltungen wie bei den Fachgerichten, dann kann man in drei bis vier Jahren in aller Gründlichkeit mit jedem Schritt, der ergebnisoffen gemacht wird, zu einem Ergebnis kommen und damit sowohl der Energie- wie der Umweltpolitik einen großen Dienst leisten.

    Barenberg: Und das heißt, die Rechte der Umweltschützer, der Grundeigentümer beispielsweise bleiben auch insofern gewahrt, als sie nach Ihrem Vorschlag jedenfalls auch in Zukunft klagen können mit aufschiebender Wirkung?

    Oettinger: Die Klagen werden im Rechtsstaat unverändert möglich sein. Da sind die Verfahrenswege in den Mitgliedsstaaten abhängig von der Verfassung und von der Rechtsordnung im Verwaltungsrecht unterschiedlich. Aber wir wollen keine Trasse bauen, bevor nicht endgültig klar ist, dass die ganz konkrete Trassenentscheidung in der Güterabwägung die beste war.

    Barenberg: Die Regierung in Berlin, die Bundesregierung, hat ja im Sommer bereits ein Gesetz beschlossen, um den Netzausbau zu beschleunigen. Warum brauchen wir jetzt noch eine Regelung aus Brüssel?

    Oettinger: Wir können ja nur im Gleichklang vorangehen. Sehen Sie einmal die Offshore-Windparks, also große Windparks in der Nordsee, nehmen wir an vor der Küste von Schottland. Wir brauchen einen Nordseering, das heißt ein Seekabel, ein leistungsfähiges Kabel rund um die entsprechenden Grenzen der Nordsee herum. Wir brauchen mit Norwegen ein Abkommen und dann ein Kabel von Norwegen, wo man Strom speisen kann nach Zentraleuropa. Wir brauchen grenzüberschreitende Leitungen, nehmen Sie an im Elsass zwischen Frankreich und Deutschland. Hinzu kommt: Wir brauchen Partnerabkommen mit Nicht-EU-Mitgliedern wie die Schweiz zum Beispiel. Wir brauchen Speichermöglichkeiten in den Zentralalpen, Österreich und wiederum die Schweiz. Und wir brauchen Leitungen aus dem sonnigen Süden, wo man mit Solarthermie und Photovoltaik viel besser operieren kann mit mehr Sonnenstunden als bei uns. Das heißt, es geht nur europäisch, es geht nur grenzüberschreitend. Deswegen müssen die Planungen zeitlich und fachlich abgestimmt sein.

    Barenberg: Um 7:22 Uhr sprechen wir im Deutschlandfunk in den "Informationen am Morgen" mit dem CDU-Politiker Günther Oettinger. – Herr Oettinger, vor dem EU-Gipfel am Wochenende ist Europa ganz gewaltig unter Druck, endlich durchzugreifen, endlich eine Antwort, und zwar eine gute Antwort zu finden auf die Schuldenkrise, um diese auf Dauer in den Griff zu bekommen. Wie zuversichtlich sind Sie, dass es so etwas wie einen Masterplan, einen erfolgreichen Befreiungsschlag am Wochenende geben wird?

    Oettinger: Befreiungsschlag wäre eine zu große Erwartung. Es geht nicht darum, dass in einem Tag alle Probleme weggeblasen werden. Aber entlang der fünf Punkte, um die es geht, sehen sich alle Verantwortlichen, die Finanzminister der Europäischen Union in der Eurozone, mein Kollege Rehn, Präsident Barroso, Herman van Rompuy und auch die Bundesregierung, an der Spitze die Bundeskanzlerin im Klaren, was getan werden muss. Wir brauchen jetzt eine haltbare dauerhafte Regelung für Griechenland. Wir müssen den Schirm, EFSF genannt, handlungsfähig machen, müssen entscheiden, was er darf und was ihm nicht an Kompetenzen gegeben wird. Und wir müssen weitergehende Maßnahmen ergreifen, dass andere Länder nicht in Schwierigkeiten kommen. Namentlich, wir müssen sicherstellen, dass Italien und Spanien aus eigener Kraft in der Lage sind, die Märkte zu beruhigen und Vertrauen in die Stabilität ihrer Haushalte endgültig zu sichern.

    Barenberg: Und dazu gehört auch, Herr Oettinger, dass sich Deutschland und Frankreich ja offenbar darauf geeinigt haben, den neuen Rettungsschirm erheblich aufzustocken. Mit Ihrer Zustimmung?

    Oettinger: Es geht um einen seriösen Hebel, und den halte ich für richtig. Schauen Sie, ein normaler Anleger hat derzeit seine Probleme damit, Italien eine Staatsanleihe abzukaufen. Wenn er aber von einem europäischen Garantieschirm, von allen Mitgliedsstaaten gesichert, gesagt bekommt, 20 Prozent oder 30 Prozent Verlust im Falle eines Verlustes übernimmt eine solidarische Garantie, dann wäre er bereit, diese Anleihe zu zeichnen. Die Anleihe ist nicht wertlos, sie hat nur wieder höhere Risiken, und diese gewissen Risiken prozentual zu beziffern und dann zu versichern, ist eine ganz normale marktwirtschaftliche Angelegenheit, die unterstütze ich.

    Barenberg: Sollten auch die Banken stärker an die Kandare genommen werden? Das sind ja Forderungen, die auch von vielen Bürgern kommen, die jetzt nicht nur an der Wallstreet, sondern auch in Frankfurt am Main demonstrieren dieser Tage.

    Oettinger: Da will ich jetzt nicht öffentlich spekulieren. Die Banken haben Fehler gemacht, aber es hilft nichts zu sagen, die Banken oder die Politik. Beide haben Fehler gemacht. Die Banken haben auf Bitten der Politik Staatsanleihen gezeichnet und mussten nach Entscheidung der Politik kein Eigenkapital dafür hinterlegen. Das heißt, die rechtlichen Vorgaben waren, so wie sie jetzt eine Folge gebracht haben, nämlich Staatsanleihen als Risiken in den Kellern der Banken. Die Hauptverantwortung liegt bei der Politik. Aber klar ist: Die Banken haben auch daran verdient und können deswegen auch bei Verlusten herangezogen werden. Und wie hoch der Prozentsatz ist, ob der 21 Prozent sein soll oder 40 oder 50 Prozent, das sollen jetzt die Fachleute ermitteln entlang dessen, was man braucht, damit ein Land wie Griechenland wieder schuldentragfähig wird. Das heißt, wie stark man Griechenland entlasten muss, damit es danach zumutbar mit Einsparungen, Entbehrungen, mit Steuererhöhungen und mehr Leistung seine Schulden selbst bewältigen kann.

    Barenberg: Der CDU-Politiker Günther Oettinger, Kommissar in Brüssel bei der europäischen Kommission für Energiefragen. Herr Oettinger, danke für das Gespräch und auf Wiederhören.

    Oettinger: Ich danke auch. Einen guten Tag!

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.