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Eng, verstellt und gescheitert

Bruce Naumann muss man nicht mehr vorstellen, er ist in allen modernen Kunstmuseen der Welt vertreten: Er macht Skulpturen, Filme und Videos, aber sein Markenzeichen sind Neonröhren. Sprache, die leuchtet, Texte aus zum Teil vielfarbigen schmalen Lichtbändern, Wortskulpturen aus Licht. Eine umfangreiche Werkschau des Künstlers ist jetzt in Berlin zu sehen.

Von Carsten Probst | 28.05.2010
    Zwei Ausstellungen, wie sie unterschiedlicher nicht sein könnten, zwei Ausstellungen zum selben Künstler, Bruce Nauman. Die eine, vor zwölf Jahren in der Hamburger Galerie der Gegenwart, eher klein, auf beschränktem Raum, die andere, ab jetzt zu sehen im Hamburger Bahnhof in Berlin, groß auf geradezu unbeschränktem Raum.

    Paradoxerweise wirkte aber die Hamburger Ausstellung mit ihren beschränkten Möglichkeiten viel geräumiger und, um es vorweg zu nehmen, auch viel beeindruckender als die opulente Berliner Schau heute. Diese wirkt eng, verstellt und gescheitert. Die Werke steigern sich nicht in ihrer Wirkung, wie man es bei Nauman eigentlich erwarten kann. Sie scheinen sich zu erschlagen. Wie kann das sein?

    Es mag nahe liegen, einige von Naumans berühmten Korridor-Installationen in einem Parcours zu so dicht nebeneinander zu platzieren, dass die körperliche Erfahrung des atemlos Bedrängten, der ständigen Wiederkehr des Gleichen, der ironischen Endlosschleifen der Selbstbilder und der totalen physischen und psychischen Isolation auch durch das Zusammenrücken dieser Arbeiten begünstigt wird. In der riesigen Haupthalle des Hamburger Bahnhofs nivelliert sich jedoch die Erfahrung zur Aufzählung. Liegt es daran, dass der Raum zu hell, zu hoch, zu luftig ist? Funktionieren Naumans Werke am besten in lichtarmen, engen Kammern?

    Zum Vergleich: In der sehr gelungenen Hamburger Ausstellung mit ihren kleinen, niedrigen Räumen hatte Uwe M. Schneede 1998 einen kammermusikalisch anmutenden Rundgang inszeniert, in dem sich die Arbeiten von Raum zu Raum antworteten, durch Klänge, Sichtachsen und Motive. Naumans berühmter "Musical Chair" aber wurde damals trotz Platzknappheit ein Raum für sich gegönnt und entfaltete dadurch seine ganze mysteriös-hinterhältige Bedeutung einer imaginären Folterszene ohne Ausweg, in die die berüchtigten Schmerzensschreie von Nauman-Videos aus anderen Kabinetten herüberdrangen. In Berlin hängt der "Musical Chair" dagegen dicht zwischen anderen Installationen und wirkt dadurch, als sei ihm sein Resonanzkörper abhanden gekommen.

    So sehr Naumans Werk mit der Abwesenheit von Raum, mit Atemnot und Isolation spielt, so sehr benötigt es anscheinend und paradoxerweise gerade doch Raum um sich herum. Das mag mit seiner Herkunft zu tun haben, mit der Erfahrung von Leere, die am Beginn von Naumans überaus bemerkenswerter Künstlerlaufbahn stand: mit dem monatelangen, depressiven Herumhängen in seinem leeren Atelier, als er nicht wusste, wie er Künstler werden sollte, ohne dann eben einfach Künstler zu sein, die üblichen Erwartungen an Kunst zu erfüllen. Aus dieser Selbstisolation sind lauter Arbeiten, zuerst Videos, Perfomances, dann auch Fotos und Skulpturen entstanden, die den Raum ins Negative verkehren, ihn zu einem massiven Block werden lassen, ja zu einem Grabstein, unter dem sich die Figur des Künstlers mühsam wieder herauszuwühlen versucht; später dann zu engen, ausweglosen Korridoren, den Mühlen einer zweifelhaften und dabei höchst ironischen Künstlerexistenz.

    Ungeheuerliche Arbeiten wie der "Kassel Corridor", erstmals auf der documenta 1972 gezeigt, eine gekrümmte, doppelwandige Installation, die den Besucher unsichtbar macht, den Körper auslöscht, verschluckt vom Raum, geht in der Berliner Ausstellung geradezu unter in den von anderen Werken verstellten Passagen. Das körperliche Verstehen wird erschwert.

    Die benachbarten fensterlosen Rieck-Hallen hätten sich für eine "Dream Passage" durch Naumans Werk vielleicht besser geeignet. Hier hatten die Kuratoren jedoch eine andere Idee und gesellten einzelne Nauman-Werke zu Arbeiten anderer "Klassiker" wie Robert Morris, Dan Flavin, Richard Serra, Dieter Roth oder Donald Judd. Die formalen Bezüge, die sie herstellen, bleiben jedoch an der Oberfläche und entbehren zuweilen auch nicht einer gewissen missverständlichen Beliebigkeit. Das eigentliche Hauptwerk dieser Ausstellung wiederum ist eine Realisierung der aus drei sich kreuzenden Korridoren bestehenden Großinstallation mit dem Titel "Room with my soul left out, Room that does not care" von 1984. Sie findet sich geradezu versteckt, im allerletzten Raum der dreihundert Meter langen Rieck-Hallen.

    Vermutlich waren museumstechnische Sachzwänge für diese unpassend randständige Platzierung verantwortlich, weil für dieses Werk auch ein Schacht im Boden ausgehoben werden musste und die Installation dauerhaft stehen bleiben soll. Doch unfreiwillig passt sie damit auch zum erstaunlich ungelenk wirkenden kuratorischen Konzept, mit dem der Hamburger Bahnhof die Chance zu einer herausragenden Schau vergeben hat.