Freitag, 29. März 2024

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Engagement gegen Antisemitismus
"Eine Kippa aufzusetzen, bringt erst mal gar nichts"

Eine Gegendemo zu der israelfeindlichen Al-Kuds-Demo zu veranstalten, sei in Ordnung, sagte die Schriftstellerin Barbara Honigmann im Dlf. Ihr sei wichtig, dass Leute sich gegen Übergriffe auf Juden und andere stellten. Doch sich eine Kippa aufzusetzen, sei scheinheilig und albern.

Barbara Honigmann im Gespräch mit Michael Köhler | 31.05.2019
Die Schriftstellerin Barbara Honigmann während der Pressekonferenz zur Uraufführung der Oper Charlotte Salomon in der Kulisse im Festspielhaus in Salzburg, 28.07.2014
Wenn wir Zeuge von Gewalt werden, dann werden wir eingreifen, werden uns dazwischen stellen. Das ist wichtig, sagte Schriftstellerin Honigmann im Dlf. (imago / Rudolf Gigler)
Michael Köhler: Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier hat heute mit Josef Schuster, dem Präsidenten des Zentralrates der Juden in Deutschland, telefoniert und seine Sorge über den wachsenden Antisemitismus in Deutschland geäußert. Zugleich betonte er die Schutzpflicht des Staates für jüdisches Leben in Deutschland. Denn morgen findet in Berlin-Charlottenburg die israelfeindliche Al-Kuds-Demo statt. Zugleich ist eine Solidar-Aktion der Kritiker beabsichtigt wie vor einem Jahr. Die "Bild" rief dazu auf, basteln Sie sich eine Kippa, eine jüdische Kopfbedeckung. Ein Grund für uns, mit der Schriftstellerin Barbara Honigmann zu sprechen. Sie ist nach dem Krieg in Ostberlin geboren und Kind deutsch-jüdischer Emigranten. Ich habe sie gefragt: Ist das nicht das richtige, sinnvolle Zeichen zur richtigen Zeit, wenn auch Nicht-Juden eine Kippa aufsetzen?
Barbara Honigmann: Also ich finde es, ehrlich gesagt, ich nenne es mal scheinheilig, ich finde es ein bisschen schwachsinnig, also albern. Einfach weil, das kostet ja nichts, also, eine Gegendemo finde ich schon in Ordnung. Ich weiß noch vom letzten Jahr, da haben mir meine Freunde erzählt, bei der Gegendemo waren hauptsächlich Juden. Und ich weiß auch nicht, warum man diese Demo, diese "Al-Kuds-Demo" nicht verbieten kann. Die hat ja schon genug bewiesen, wie sehr sie über die Grenzen des Erlaubten, wenn man das so sagen kann, hinaus geht. Und das jeder sich eine Kippa aufsetzt, ich finde das ... Verstehen Sie, das kostet nichts, ist irgendwie … macht so … Also, ich finde das irgendwie scheinheilig und albern und sinnlos.
Sich eine Kippa aufsetzen löse das Problem nicht
Köhler: Der Antisemitismusbeauftragte der Bundesregierung, Frau Honigmann, hat nicht ohne Grund – denn im letzten Jahr sind etwa ein Fünftel mehr antisemitische Straftaten begangen worden –, er hat gesagt, ich kann Juden nicht empfehlen jederzeit in Deutschland die Kippa zu tragen. Politiker und Prominente folgen jetzt also dem öffentlichen Aufruf. Darf man den öffentlichen Raum denn wehrlos den Feinden der jüdischen Bevölkerung überlassen?
Honigmann: Nee, natürlich nicht, aber da sich eine Kippa aufzusetzen … Ja, das Problem liegt irgendwie tiefer und die, die Juden angreifen wollen, die finden sie auch ohne Kippa, weil es gibt jüdische Schulen und Synagogen und was weiß ich, die werden sich schon ihre Ziele da suchen. Ich glaube, das Problem liegt tiefer und es ist ja auch nicht auf Deutschland beschränkt, sondern es ist sogar in der ganzen Welt nimmt es zu, abgesehen davon, dass es eine sehr alte Problematik ist. Und da muss man wohl auf so komplexe Fragen auch etwas komplexere Antworten haben.
Friedhofsschändung "gibt es regelmäßig"
Köhler: Ich erreiche Sie in Frankreich. Im Elsaß sind vor kurzem noch Gräber eines jüdischen Friedhofs in großer Zahl geschändet worden. Der Antisemitismus in Frankreich ist nach den Angriffen auch auf den Philosophen Finkielkraut ein großes Thema. Was erwarten Sie sich von Politik und Gesellschaft?
Honigmann: Das kann man schwer sagen. Apropos der Friedhofsschändung, das ist leider überhaupt nicht neu, sondern das findet regelmäßig statt. Das ist quasi eine Nachkriegserfindung, weil wir haben da mal den Präfekten gehört, der gesagt hat, das gab es früher nicht, aber das gibt es hier und auch in Deutschland regelmäßig. Also das gab es in den 50ern, in den 60er, in den 70er, in den 80er, das gab es immer. Weil es offensichtlich eine einfache und feige Methode ist, seine extremen Meinungen und Judenhass zur Geltung zu bringen.
Sehen Sie, bei Antisemitismus muss der Staat seiner Rolle gerecht werden und seine Juden so wie alle anderen Bürger schützen und entsprechende Maßnahmen ergreifen, wenn sie irgendwie gefährdet sind, und eben offensichtlich wird da auch oft Nachsicht geübt. Ich habe das immer mal wieder gehört, dass da so etwas banalisiert wird, das passiert ja auch in Schulen. Na ja, also hier im Elsaß diese Friedhofsschändung gab es und gibt es immer weiter. Straßburg ist ansonsten verschont, ist so ein bisschen Insel der Seligen. Paris, vor allem in der Banlieue, geht es etwas heißer her. Aber das gab es auch irgendwie schon immer, das hat sich jetzt noch … Ich weiß nicht, ob es sich noch mal verschärft hat, es ist einfach, weil sozusagen Terrorismus sich insgesamt ausgebreitet hat.
Ich meine, die Attentate in Frankreich hatten manchmal auch einen antisemitischen Hintergrund, aber durchaus nicht immer. Charlie Hebdo und Bataclan, diese Attentate galten ausnahmsweise nicht unbedingt Juden, da wurde nebenbei noch das Hyper Cacher, um diesen Aspekt nicht zu vernachlässigen, offensichtlich von den Terroristen auch noch attackiert. Aber das ist einfach ein Problem des Terrorismus, der sich hier jetzt in Europa breitgemacht hat.
"Eine Gegendemo finde ich auch in Ordnung"
Köhler: Wir haben unser Gespräch angefangen damit, dass Sie gesagt haben, Sie empfinden das Tragen oder die Solidaritätsaktion als scheinheilig. Wie wäre es denn umgekehrt, wenn die ausbleiben würden, das wäre doch wahrscheinlich noch schlechter.
Honigmann: Ja, nee, ich finde auch nicht. Das ist richtig, ich finde schon, dass Leute sich dagegenstellen sollen, dass Juden oder auch andere übrigens angegriffen werden, und deutlich zum Ausdruck bringen. Und auch jetzt, wenn es da eine Gegendemo gibt, das finde ich auch in Ordnung. Nur sich sozusagen eine Kippa aufzusetzen, dazu braucht man sich ja keine Kippa aufzusetzen. Man soll dann gerade sagen, wir sind Deutsche und wir sind keine Juden und wir tolerieren das nicht und wir werden uns immer dagegenstellen und wenn wir irgendwie Zeuge von solchen Pöbeleien oder Randaliererei werden, dann werden wir eingreifen, werden uns dazwischen stellen. Das finde ich, so etwas ist wichtig. Aber sich einfach eine Kippa aufzusetzen, bringt erst mal gar nichts.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.